Es klingt wie aus einem schwedischen Krimi, was sich bei der Festnahme des Hauptverdächtigen im Mordfall Anna Lindh im Schatten des Stockholmer Råsunda-Stadions abgespielt hat. Lindhs Ehemann Bo Holmberg nimmt am Dienstagabend beide Söhne David (13) und Filip (9) zum Lokalderby Djurgården gegen Hammarby mit, dem Saisonhöhepunkt mit 35 611 Zuschauern in Schwedens berühmtesten Fußballstadion. Während die drei auf der Westtribüne sitzen und knapp eine Woche nach dem Tod der Mutter und Ehefrau ein bisschen Ablenkung suchen, schlagen in der Kneipe "East End Company" direkt vor der Osttribüne zwei Zivilbeamte zu, kurz nachdem Hammarby den Ausgleich zum 2:2 geschossen hat. Ohne Gegenwehr lässt sich der mutmaßliche Mörder, von Kindesbeinen an Djurgården-Anhänger, abführen. Er hat das Spiel auf einem Großbildschirm verfolgt und wirkt nach Angaben seiner Fußballfreunde «wie immer» bei solchen gemeinsamen Fußball- Erlebnissen.
"Mühsame Fahndungsarbeit"
Der Ehemann der ermordeten schwedischen Außenministerin erhielt die Nachricht von der Ergreifung des 35-jährigen Hauptverdächtigen noch während der zweiten Halbzeit gesteckt. Nach Aussagen der Polizei ist mit diesem Fahndungserfolg aber längst nicht geklärt, ob der Gefasste auch tatsächlich derjenige ist, der Lindh am Mittwoch vergangener Woche mit Messerstichen bei einem Besuch im Kaufhaus tödlich verletzt hat. "Wir stehen vor monatelanger, mühsamer Fahndungsarbeit", sagte Polizeisprecherin Stina Wessling nicht nur einmal und verwies immer wieder auf die Möglichkeit, dass diverse technische Untersuchungen durchaus die Unschuld des 35-Jährigen erweisen könnten.
Trotzdem aber verbreiteten alle führenden Medien in Schweden kurz vor und erst recht nach der Festnahme Details über die Vorgeschichte des Verdächtigen, die fast perfekt zu allen Annahmen der Polizei über den "Grundtypus" des Lindh-Mörders zu passen schienen. Sein langes und höchst gemischtes Register an Vorstrafen von Kreditkartenbetrug über Gewalttaten mit Messern bis hin zu gewalttätiger Bedrohung der eigenen Eltern brachte ihm auch ein rechtspsychiatrisches Gutachten ein, in dem er als erheblich psychisch gestört eingeschätzt wurde. Bekannte berichteten in Zeitungen, er habe «mit Armani-Anzügen und Nazi-Uniform im Kleiderschrank» den Eindruck einer gespaltenen, extrem aggressiven, von Größenwahn geprägten Person gemacht. Sowohl seine Eltern wie eine Ex-Freundin berichteten von Misshandlungen.
Alles passt so gut
All das passte ebenso gut in das nach dem Messer-Attentat von der Polizei verbreitete "Täterprofil" wie die Kokain- und Alkoholabhängigkeit des Mannes sowie der Mangel an festen Wohnstätten. All das aber wird bei der endgültigen Überführung nicht annähernd so wichtig wie die Ergebnisse technischer Analysen. Die Fahnder setzen alle Hoffnungen auf DNA-Proben des Verhafteten, die mit genetischen Spuren am Tatmesser und an sichergestellten Kleidungsstücken abgeglichen werden sollen.
Als eine der ganz großen offenen Fragen für die kommenden Wochen gelten in Stockholm angeblich enge Verbindungen des Verdächtigen zu schwedischen Neonazis. Polizeisprecher spielten entsprechende Berichte in "Aftonbladet" und anderen Medien herunter. Es gebe derzeit nichts, was auf eine Beteiligung von Neonazis hindeute, hieß es am Mittwoch aus der Stockholmer Polizeizentrale. Ganz ausschließen wollten die Fahnder aber auch nichts. Zeitungen berichteten, dass sich der Verdächtige bei seiner Flucht offenbar an einen in der Nähe des Kaufhauses arbeitenden Neonazi gewandt haben soll.