Kunst oder Pornografie, um diese Frage dreht sich aktuell eine Debatte in den USA. Im Zentrum stehen die weltberühmte David-Statue von Michelangelo und die Direktorin der Tallahassee Classical School im Bundesstaat Florida. Hope Carrasquilla war in der vergangenen Woche vom Vorstand der Schule zum Rücktritt gedrängt worden, nachdem sie einer sechsten Klasse im Kunstunterricht ein David-Bild gezeigt hatte, wie US-Medien berichten. Die Schule hat eine Richtlinie, wonach die Eltern im Voraus informiert werden müssen, wenn "kontroverse" Themen im Unterricht behandelt werden sollen.
Bürgermeister von Florenz nennt Porno-Vorwurf "lächerlich"
Die Berichte haben nun auch in Florenz, wo die fünf Meter hohe Marmorskulptur aus der Zeit der Renaissance in der Galleria dell'Accademia steht, für Aufsehen gesorgt. Sogar der Bürgermeister der mittelitalienischen Stadt meldete sich via Twitter zu Wort. "Kunst mit Pornografie zu verwechseln, ist einfach lächerlich", twitterte Dario Nardella. Er werde die Lehrerin persönlich nach Florenz einladen, "um ihr im Namen der Stadt eine Auszeichnung zu überreichen. Kunst ist Zivilisation und wer sie lehrt, verdient Respekt."
Auch die Direktorin der Galleria dell'Accademia, Cecilie Hollberg, zeigte sich empört und erstaunt über den Vorgang in Tallahassee. "Das ist absurd. Nacktheit ist nicht dasselbe wie Pornografie", zitiert sie die italienische Tageszeitung "La Repubblica". Die David-Statue sei das Symbol der Renaissance, das den Menschen in all seiner Makellosigkeit, wie er von Gott erschaffen wurde, in den Mittelpunkt stellt. Der David sei zudem eine religiöse Figur. "Um eine Assoziation mit Pornografie herzustellen, muss man eine verzerrte Vorstellungskraft haben."
Und der US-Nachrichtenseite "Huffington Post" sagte Hollberg: "Zu glauben, dass David pornografisch sein könnte, bedeutet, den Inhalt der Bibel, die westliche Kultur und die Kunst der Renaissance nicht zu verstehen." Die Museumsdirektorin lud Carrasquilla, den Schulvorstand, die Eltern und die Schülerschaft ein, die "Reinheit" der Statue zu besichtigen.
Die Galleria dell'Accademia in Florenz gehört – vor allem wegen der bekannten David-Skulptur – zu den meistbesuchten Museen Italiens. Die Marmorstatue entstand zwischen 1501 und 1504. Im 16. Jahrhundert schmückte sie zunächst den Eingang des florentinischen Palazzo Vecchio, seit 1873 wird sie in dem Museum aufbewahrt. Michelangelos Kunstwerk zeigt den biblischen David in dem Moment, in dem er, nur mit dem Glauben an Gott und einer Steinschleuder bewaffnet, den Kampf gegen den Riesen Goliath aufnehmen will.
Schuldirektorin aus Florida "total überwältigt"
Carrasquilla fühlt sich durch die Einladungen nach Florenz "sehr geehrt" und will sie vielleicht annehmen. "Ich bin total überwältigt", berichtete sie der "Huffington Post". "Ich war schon einmal in Florenz und habe den 'David' aus nächster Nähe und persönlich gesehen, aber ich würde sehr gerne dorthin reisen und ein Gast des Bürgermeisters sein."
Die Lehrerin glaubt, dass der Vorstand sie ins Visier genommen hat, nachdem sich drei Eltern über eine Unterrichtsstunde, in der die David-Statue Thema war, beschwert hatten. Zwei hätten moniert, dass sie nicht im Voraus darüber informiert worden seien, dass ein Akt gezeigt werden würde, und einer habe die ikonische Statue als pornografisch bezeichnet.
Neue Akte im Stil alter Meister

In Florida läuft derzeit ein von Gouverneur Ron DeSantis vorangetriebener Kulturkampf gegen alles, was der erzkonservative Republikaner als woke ansieht. So hatte DeSantis im vergangenen Jahr durchgesetzt, dass an Grundschulen Unterricht über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nicht mehr erlaubt ist, ein Verbot, dass er auf alle Altersstufen ausweiten will. Der Gouverneur gilt als möglicher Bewerber für die Präsidentschaftswahl 2024.
Marla Stone, Leiterin der geisteswissenschaftlichen Fakultät an der American Academy in Rom, erklärte gegenüber der "Huffington Post", der Vorfall in Florida sei eine weitere Episode in den eskalierenden Kulturkriegen in den USA. "Wir haben es hier mit einem moralischen Kreuzzug gegen den Körper, die Sexualität und den Ausdruck des Geschlechts zu tun und mit einer Ignoranz gegenüber der Geschichte", schrieb Stone in einer E-Mail. "Bei dem Vorfall geht es um Angst, Angst vor Schönheit, vor Unterschieden und vor den Möglichkeiten, die in der Kunst stecken."
Quellen: "Huffington Post", Dario Nardella auf Twitter, DPA