Er sitzt wie ein Gefangener in seinem Hauptquartier in Ramallah, Israel hat ihn für "irrelevant" erklärt, und auch die US-Regierung boykottiert ihn. Doch Jassir Arafat lässt sich nicht abschieben. Schon seit Monaten liefert er sich mit dem von ihm ernannten Ministerpräsidenten Mahmud Abbas einen gnadenlosen Machtkampf, dessen Ende noch nicht absehbar ist. "Ich bin der älteste Führer in der arabischen Welt", sagte der 74-jährige erst vor wenigen Tagen zu einem der wenigen Besucher, die sich noch in sein halb zerstörtes Hauptquartier verirren: "Israel und die USA müssen lernen, dass sie zu mir kommen müssen, wenn sie was erreichen wollen. Sonst geschieht nichts."
"General Arafat"
Der Kampf um die Macht begann bereits vor der Ernennung von Abbas. Wochenlang versuchte Arafat, der sich neuerdings auch "General Arafat" nennt, einen ihm genehmen, persönlichen Bekannten in das unter Druck Israels und der USA geschaffene Amt des Premiers zu drücken. Am Ende blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, als seinen Stellvertreter zum Regierungschef zu machen. Allerdings sicherte er sich ein Stück von der Macht als Oberbefehlshaber der inoffiziellen Palästinenserarmee und zweier Geheimdienste. Außerdem behielt er ein Mitspracherecht bei der Regierungsbildung. Wochenlang verhinderte er dann die Ernennung eines Kabinetts, weil er den heutigen Sicherheitsminister Mohammed Dachlan ablehnte. Erst unter ägyptischem Druck gab Arafat nach.
Doch seither tut er alles, um Mahmud Abbas, auf den der Rest der Welt viele Hoffnungen gesetzt hat, das politische Leben schwer zu machen. Ermutigt durch Arafat weigerten sich wiederholt dessen persönliche Schützlinge, ihre Ämter zu Gunsten neuer, von Abbas ausgewählter Politiker und Experten zu räumen. Höhepunkt dieser offenen Fehde war eine Auseinandersetzung in der vergangenen Woche, als der von Abbas gefeuerte Chef der Zivilverwaltung in Gaza bewaffneten Widerstand gegen seine Ablösung durch Dachlan leistete.
"Nebenregierung" gegen Abbas
Arafat hat inzwischen stillschweigend eine "Nebenregierung" gegen Abbas aufgebaut, indem er etwa 100 alte Kampfgefährten als "Berater" einstellte, die vom neuen Ministerpräsidenten "nicht mehr gebraucht" wurden. Um Dachlan, der bisher nur im Gazastreifen Anhänger hat, das Leben schwer zu machen, ernannte er im August den als skrupellos bekannten Ex-Sicherheitschef im Westjordanland, Dschibril Radschub, zum "Nationalen Sicherheitsberater" der PLO. Zuvor hatte Radschub ein entsprechendes Angebot von Abbas abgelehnt. Damit, so heißt es in Ramallah, macht Arafat es Dachlan praktisch unmöglich, mit seinen Polizeikräften wirkungsvoll gegen militante Palästinensergruppen vorzugehen.
Selbst im Ausland muss Abbas mit dem Störfeuer Arafats rechnen. Dort sind die Palästinenser neuerdings häufig gleich durch zwei Außenminister vertreten: Nabil Schaath, offizieller Repräsentant im Auftragt von Abbas, und Faruk Kadumi, "Außenminister" von PLO-Chef Arafat, der den israelisch-palästinensischen Friedensprozess bis heute nicht anerkannt hat.
Auf die Spitze wurde der Machtkampf zwischen Arafat und Abbas nach dem palästinensischen Selbstmordanschlag am 19. August getrieben, bei dem 22 Menschen getötet wurden. Arafat weigert sich seither vehement, die ihm im April zugestandenen starken Polizeikräfte Abbas - und damit Dachlan - zu unterstellen. Dies aber ist nach Ansicht aller Experten erforderlich, wenn die palästinensische Regierung effektiv gegen die militanten Palästinensergruppen vorgehen soll.
Lähmender Konflikt
Führende palästinensische Persönlichkeiten versuchen seit Tagen fieberhaft, den lähmenden Konflikt zwischen Arafat und seinem Stellvertreter durch einen Kompromiss zu beenden. Bisher jedoch scheint keine Seite zum Einlenken bereit. Am Ende aber, so glaubt der israelische Arafat-Biograf Daniel Rubinstein, dürfte Abbas bei diesem Machtkampf unterliegen. Ihm könnten letztlich seine guten Verbindungen zum Rest der Welt zum Verhängnis werden: Rubinstein schrieb in dieser Woche: "Abbas steht vor dem Problem, dass die Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland immer skeptischer wird, dass seine Regierung ausländischen Interessen dient und nicht den Palästinensern. Zu viele Ausländer wollen den Erfolg dieser Regierung. Die Amerikaner, die Europäer, die Ägypter, Jordanier und selbst die Israelis."
Nun hat Jassir Arafat sogar den den internationalen Friedensplan für den Nahen Osten als tot bezeichnet und den USA eine Mitverantwortung dafür zugewiesen. "Der Friedensplan ist tot, aber nur wegen der militärischen Aggression Israels in den vergangenen Wochen", sagte Arafat in einem am Mittwoch auf der Website des US-Fernsehsenders CNN veröffentlichten Interview. Die US-Regierung habe nicht genug für eine Rettung des Friedensplans getan, weil sie mit dem Wiederaufbau im Irak und den Präsidentenwahlen im kommenden Jahr beschäftigt sei.
Der internationale Friedensplan, der von den USA, der Europäischen Union, den Vereinten Nationen (UNO) und Russland erarbeitet wurde, sieht die Schaffung eines Palästinenser-Staates bis 2005 vor.
Ministerpräsident Mahmud Abbas droht derweil mit seinem Rücktritt, sollte seine Machbefugnis nicht erweitert werden. Abbas werde die Abgeordneten bei der Parlamentssitzung am Donnerstag zur Unterstützung für seine Politik auffordern, sagte Informationsminister Nabil Amr am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Sollte er sie nicht erhalten, werde er zurücktreten.