Israel will nach dem Kurswechsel in der US- Nahostpolitik den Bau in großen Siedlungen im Westjordanland verstärken. Dies sagte ein Vertrauter des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon am Freitag nach der Rückkehr des Regierungschefs aus Washington. In isoliert gelegenen Siedlungen sollten die Bauaktivitäten hingegen nicht weiter ausgeweitet werden. Die Siedlungen im Gazastreifen will Israel nach der Räumung voraussichtlich palästinensischen Flüchtlingen überlassen.
In Abkehr von der bisherigen Nahost-Politik hatte US-Präsident George W. Bush am Mittwoch gesagt, ein Abzug Israels aus dem gesamten Westjordanland sei nicht realistisch. Er verwies dabei auf die "bestehenden großen israelischen Bevölkerungszentren". Dies wurde als Zustimmung für eine künftige Annexion Israels der großen Siedlungsgebiete gewertet.
Powell relativiert
US-Außenminister Colin Powell erklärte am Donnerstag, durch den Brief, den Bush am Vortag Scharon überreicht habe, sei einer endgültigen Friedenslösung "nichts vorweg genommen". Die endgültige Entscheidung bleibe nach wie vor Gesprächen zwischen Israelis und Palästinensern vorbehalten. Bush habe "keine bestimmten Siedlungen" genehmigt, sagte Powell. Die USA hätten ihre Rolle als fairer Vermittler "keinesfalls aufgegeben". Scharons Plan biete erstmals in 37 Jahren die Gelegenheit, "Siedlungen leer oder beseitigt zu sehen".
Schröder mahnt Beteiligung der Palästinenser an
Bundeskanzler Gerhard Schröder warnte unterdessen davor, über die Köpfe der Palästinenser hinweg zu entscheiden. Schröder begrüßte am Freitag nach einem Treffen mit Ägyptens Präsident Husni Mubarak in Hannover zwar die Ankündigung Israels zum Teilrückzug aus den Palästinenser-Gebieten. Dieser müsse aber im Rahmen des internationalen Friedensplans erfolgen. Es dürften damit nicht die endgültigen Verhandlungen über den Status vorweggenommen werden. Der internationale Friedensplan des "Nahost-Quartetts" (USA, Russland, EU und UN) fordert einen kompletten Baustopp in den jüdischen Siedlungen und die Räumung der zahlreichen Siedlungs- Außenposten, die ohne Genehmigung der israelischen Regierung errichtet wurden.
Palästinenser empört
Die Palästinenserführung hatte die Wende Bushs mit großer Bestürzung und Empörung aufgenommen. Die Freitagsgebete auf dem Tempelberg in Jerusalem, von Muslimen als "Haram el Scharif" (Edles Heiligtum) verehrt, verliefen jedoch friedlich. Israels Polizei hatte die Teilnahme auf Männer im Alter von mehr als 45 Jahren mit israelischer Identitätskarte beschränkt.
Notfalls droht der Totalabriss
Der israelische Armeesender zitierte am Freitag nach der Rückkehr Scharons ein Delegationsmitglied mit den Worten, Israel sei daran interessiert, dass die Häuser in den geräumten Siedlungen im Gazastreifen "an Flüchtlinge gehen und nicht als Villen für die Reichen Gazas dienen". Gleichzeitig betonte er, Israel werde nicht zögern, die zu räumenden Siedlungen "innerhalb eines Tages abzureißen", sollte sich herausstellen, dass es nicht in Israels Interesse wäre, sie intakt zu lassen.
Nach Medienberichten soll der Abzug im Frühjahr kommenden Jahres beginnen und bis Ende 2005 abgeschlossen werden. In seinem Brief an Bush hat Scharon die Räumung von Militäreinrichtungen sowie aller Siedlungen im Gazastreifen und einiger Siedlungen im Westjordanland angekündigt.