Die meisten Umfragen hatten ihr einen erdrutschartigen Wahlsieg vorausgesagt. Den bekam sie nicht. Mit gerade einmal 431 Stimmen Vorsprung sicherte sich die israelische Außenministerin Zipi Livni knapp den Chefsessel von Kadima. 43,1 Prozent fielen auf sie, während ihr Gegner, Transportminister Shaul Mofaz, 42 Prozent holte. Vor drei Jahren vom einstigen Ministerpräsidenten Ariel Scharon als Gegengewicht zum rechtsgerichteten Likudblock gegründet, ist die Partei im Zentrum des politischen Spektrums angesiedelt. In ihr vereinigen sich sowohl moderatere Stimmen, wie Livni selbst, als auch Konservative wie ihr Wahlgegner Mofaz.
Die Diplomatin und der Hardliner
Viel ist über die Verschiedenheit der beiden gesagt und geschrieben worden. Livni gilt als Diplomatin, der das meiste prompt gelingt, Mofaz als Arbeiter, der sich alles hart erkämpfen muss. Sein Blick auf die Welt ist vor allem sicherheitsorientiert, unter anderem befürwortet er einen Angriff auf den Iran, sie setzt in erster Linie auf Verhandlungen und ist überzeugt, dass es an der Zeit sei, die lange Linie der Generäle an Israels Spitze zu unterbrechen.
Vor zwei Jahren hatte Kadima mit Scharon die allgemeinen Wahlen gewonnen und führte die Koalition mit der Arbeitspartei an, eins der Gründungsmitglieder war die ehemalige Mossad-Agentin Livni. Ein Schlaganfall des Politikveteranen Scharon jedoch erschütterte Kadima zutiefst, Vize Ehud Olmert bescherte er den Vorsitz der Partei. Zwei Monate später wurde der einstige Jerusalemer Bürgermeister Ministerpräsident. Doch er hielt sich nicht lange: Nicht enden wollende Korruptionsvorwürfe führten vor sechs Wochen zu seiner Rücktrittsankündigung. Nach Kadimas Wahlen wolle er sein Amt bedingungslos zur Verfügung stellen, erklärte er.
Dieser Tag ist nun gekommen. Es wird erwartet, dass Olmert am Sonntag Staatspräsident Schimon Peres sein Rücktrittsgesuch überbringen wird. Und dann kann Zipi Livni das werden, was sie schon lange werden will. Nach 34 Jahren die erste Frau an der Spitze des kleinen Staates in Nahost. Doch es ist ein steiniger Weg nach oben. In nur 42 Tagen muss sie es nicht nur schaffen, eine Regierung auf die Beine zu stellen, sondern auch, diese am Leben zu halten. Versagt sie, wird es im nächsten Frühjahr Neuwahlen geben. Und dann, sagen Experten voraus, wird erneut ein Rechtsruck durch das Land gehen. Ex-Premier Benjamin Netanjahu vom oppositionellen Likud steht schon in den Startlöchern.
Ein besonderer Touch Natürlichkeit
Doch Versagen ist nichts, was in Livnis Biographie passt. Sie hat eine der steilsten politischen Karrieren aller Zeiten hinter sich, schaffte es in sieben Jahren zur Außenministerin und Chefunterhändlerin für die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. Deren moderate Kräfte gratulierten ihr nach dem Wahlsieg prompt und machten klar, dass sie an weiteren Gesprächen interessiert seien. Ein Mitglied der Autonomiebehörde erklärte: "Es ist es kein Geheimnis, dass die Arbeit mit ihr viel einfacher ist. Wir müssen mit Livni nicht von Null beginnen, sie kennt sich aus." Ebenso ist es nichts Neues, dass Friedensverhandlungen mit einem Schaul Mofaz auf wesentlich wackeligerem Grund gestanden hätten. Der Minister ist bekannt für seinen harten Kurs und Unwillen, große Konzessionen an die Palästinenser zu machen. Die radikale Organisation Hamas, die die Kontrolle über den Gazastreifen inne hat, jedoch beharrt darauf, dass weder Livni noch Mofaz "die legitimen Rechte der Palästinenser achten". Anders als der Transportminister hat Livni stets auf Verhandlungen mit den Nachbarn bestanden. Statt in der Parteibasis Stärke zu suchen, setzte sie auf Diplomatie.
Neben ihrer Zielstrebigkeit hat die 50-jährige Livni ein Attribut, das sie besonders in den letzten Monaten zum Liebling der Israelis werden ließ: Integrität. Nach den endlosen Schmiergeldaffären um Olmert und Co. lässt sie das Sauberfrau-Image wie ein helles Licht in einem düsteren Dickicht aus Korruption und Klüngelei erscheinen. Die Mutter von zwei Söhnen gibt sich stets bescheiden, als "eine aus dem Volk", mag es, unauffällige Hosenanzüge und in der Freizeit Jeans zu tragen. Auch ihre Tätigkeit für den Auslandsgeheimdienst Mossad vor rund 20 Jahren und ihre konstante Weigerung zu berichten, was genau sie dort getan hat, können ihrem positiven Bild nichts anhaben. Ihr liebstes Hobby, das Schlagzeugspielen, verleiht ihr einen besonderen Touch Natürlichkeit.
Obwohl Wärme und Offenheit nicht gerade ihre Stärken sind, hat sie es auf der Beliebtheitsskala der Bürger und Medien gleichermaßen ganz nach oben geschafft. Trotz - oder vielleicht gerade wegen - ihrer unterkühlten Art, hat es Livni dahin gebracht, wo sie jetzt ist. Es scheint, als habe das Land genug von Kumpelgehabe und Blenderei und will endlich jemanden an seiner Spitze, der seinen Job macht und hält, was er verspricht.
Eine Fülle schwieriger Aufgaben
Doch dieser Job ist kein Spaziergang. Hindernis Nummer eins: eine Koalition bilden. Israel ist berühmt-berüchtigt für sein unübersichtliches Parteienwirrwarr. Nicht nur linke und rechte wollen unter einen Hut gebracht werden, sondern dürfen die mehr als eine Million russischen Einwanderer sowie die genau so große Gruppe der arabischen Israelis nicht übergangen werden. Als extrem manipulativ gelten stets die religiösen Parteien, allen voran die orthodoxe Schass- und Degel-Ha-Tora-Partei, die in der Vergangenheit schon oft das Zünglein an der Waage gespielt hatten.
Schafft die neue Kadima-Vorsitzende es tatsächlich, eine funktionierende Regierung zusammenzustellen ohne sich erpressen zu lassen, meinen Experten, fangen ihre Probleme erst an. Die Verhandlungen mit den unter sich völlig verfeindeten Palästinensern müssen weitergehen, ebenso warten die Friedensbefürworter darauf, dass aus den indirekten Gesprächen mit Syrien endlich direkte werden.
Hohe Hürden für die Frau, die sich sichtlich über ihren Wahlsieg gefreut hat. Olmert sicherte ihr bereits zu, die Führung an sie zu übertragen, auch Mofaz gratulierte und gestand damit sein Unterliegen ein. Ihre Wahlgegner erinnerte Livni, dass sie bis gestern Rivalen waren, doch es jetzt an der Zeit sei, eine stabile Regierung zu schaffen. "Wie ich habt ihr so hart gearbeitet, weil ihr wollt, dass dies ein besserer Platz wird." Sich selbst nannte sie eine "vielversprechende Wende in Israels Politik". Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Zipi Livni es tatsächlich schaffen wird, die verschiedenen Fraktionen an einen Tisch und in eine Regierung zu bringen. Und dann als erste Frau nach mehr als drei Dekaden im wenig bequemen Chefsessel Israels Platz zu nehmen.