Bei aller Sorge über das iranische Atomwaffenprogramm herrscht in Israel eine gewisse Genugtuung. Erstmals hat eine unabhängige internationale Organisation laut und deutlich bestätigt, wovor Israel seit Jahren warnt: Teheran arbeitet heimlich an Atomwaffen. Mit ihrem dramatischen Bericht habe die Internationale Atomenergiebehörde IAEA "eine Bombe abgeworfen", titelte die israelische Zeitung "Jediot Achronot" am Mittwoch in fetten roten Lettern. Es bedeute "das Ende der Unklarheit", schrieb ein Kommentator.
Aus israelischer Sicht ist der Inhalt des Berichts allerdings keine Überraschung. "Die meisten Informationen waren Israel und den westlichen Geheimdiensten schon seit Jahren bekannt", sagte der israelische Iran-Experte Eitan Livne am Mittwoch. Der frühere IAEA-Chef Mohammed el Baradei habe sie jedoch stets unter dem Deckel gehalten oder weichgespült. "Dieser Bericht hätte schon vor Jahren veröffentlicht werden können, aber El Baradei hat es vorgezogen, die belastenden Beweismittel nicht preiszugeben", sagte Livne. Auf diese Weise sei kostbare Zeit vergeudet worden.
Der neue Bericht verändert aus Sicht des Experten nun grundlegend die Spielregeln bei der Debatte über das iranische Atomprogramm. "Der Streit über die iranischen Absichten ist entschieden und damit vorbei", sagte er. "Wer sich von diesem Bericht nicht überzeugen lässt, will offenbar einfach nicht überzeugt werden."
Livni: "Nicht nur Israels Problem"
Im Rennen gegen eine atomare Aufrüstung des Erzfeinds in Teheran steht der Zeiger für Israel auf fünf vor zwölf. Es sieht jetzt besonders den wichtigsten Bündnispartner, die USA, unter Zugzwang. Immer wieder betonen israelische Politiker, ihr Land könne beim Kampf gegen eine nukleare Aufrüstung des Mullah-Regimes nicht die Speerspitze bilden.
"Dies ist nicht nur ein Problem Israels", sagte die israelische Oppositionsführerin Zipi Livni (Kadima) am Mittwoch. Die ganze Welt müsse vereint gegen Teheran vorgehen. "Nur wenn ganz deutlich wird, dass für die Weltöffentlichkeit alle Optionen auf dem Tisch liegen, wird der Iran noch einmal abwägen, ob er nicht besser zurückweicht", sagte Livni. Bisher hätten sich viele Länder damit herausgeredet, dass es keine klaren Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm gebe. Dies sei nun vorbei.
Israel bezweifelt jedoch den Willen der internationalen Gemeinschaft, ausreichend harte Sanktionen gegen Teheran zu verhängen - insbesondere angesichts des Widerstands von russischer und chinesischer Seite. "Russland und China sind die Schlüsselstaaten", sagte Experte Livne. Auch sie müssten begreifen, dass das iranische Atomprogramm "eine Gefahr für den Weltfrieden" darstelle. Niemand habe ein Interesse an einem Militärschlag gegen den Iran und auch für Israel sei es nur "die letzte Option".
Besondere Kopfschmerzen bereitet israelischen Experten die Möglichkeit, das iranische Atomwaffenprogramm könnte noch viel weiter entwickelt sein, als es sich in dem Bericht darstellt. "Es ist zu befürchten, dass es noch viele Dinge gibt, von denen wir gar nichts wissen", sagte Livne. Immerhin habe Teheran systematisch gelogen und bisher alles versucht, um die internationalen Inspektoren in die Irre zu führen. "Es kann sehr gut sein, dass es noch eine geheime Atomanlage gibt."