Nordirak Simulation einer Invasion

Von Christoph Reuter
300 türkische Soldaten sind in den Nordirak einmarschiert. Ist dies die groß angekündigte Invasion? Nein, denn dem Einmarsch liegt eine stille Übereinkunft aller Seiten zugrunde, durch die ein großer Krieg verhindert wird und jeder das Gesicht wahren kann.

Der nun seit Monaten angekündigte Feldzug der türkischen Streitkräfte gegen die kurdische Separatistentruppe der PKK im Nordirak hat Züge eines bizarren Doppelspiels: Seit Jahresbeginn hat der türkische Generalsstab immer wieder darauf gedrungen, die rund 3000 PKK-Kämpfer anzugreifen, die sich seit Jahren in den unzugänglichen Bergzügen der autonomen kurdischen Zone im Nordirak verschanzt haben. Obwohl türkische Truppen dies in den vergangenen Jahrzehnten bereits mehr als ein Dutzend Mal erfolglos versucht haben.

Obwohl sich das Gros der PKK-Freischärler auf türkischem Terrain aufhält, wo sie mit ihren Anschlägen auf Soldaten Gegenschläge provozieren. Obwohl letztlich die PKK kaum alleiniges Ziel der türkischen Generalsstabspläne sein kann, denn dafür wären die seit Februar an der Grenze zusammengezogenen Panzerverbände nutzlos. Die könnte man einsetzen, um etwa die Annexion der umkämpften Ölstadt Kirkuk ans irakische Kurdengebiet zu verhindern. Aber ins Hochgebirge zu den PKK-Berglagern kommen selbst Maultiere nur mit Not. Panzer sicher nicht.

Es geht weniger um die PKK

Im Wesentlichen scheint es dem Militär weniger um die PKK zu gehen, als um die eigene Innenpolitik und die Verhinderung eines de facto unabhängigen kurdischen Staats der irakischen Kurden. Da ihnen angesichts der wiederholten Wahlsiege der gemäßigten Islamisten unter Tayyib Erdogan die jahrzehntelang gehaltene Kontrolle über den Staat weiter entgleitet, wollten sie Erdogan mit ihren Kriegsposen unter Druck setzen: Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung ist unter dem Eindruck der PKK-Anschläge zunehmend ins nationalistische Lager gerückt und fordert Vergeltung. Erdogan aber hat sich lange gesträubt, sich auf das militärische Abenteuer einer Invasion einzulassen, deren Ausgang völlig unabsehbar wäre.

Nun sind vergangene Nacht nach wiederholten Luftangriffen etwa 300 türkische Soldaten tatsächlich in den Nordirak einmarschiert. Sie seien leicht bewaffnet und hielten sich in der Bergregion Gali Rash auf, hieß es. Ist dies die groß angekündigte Invasion? Eben gerade nicht. Denn bereits im November gab es intensive Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung, irakischen Politikern in Bagdad und der kurdischen Hauptstadt Erbil - und der US-Regierung, die unbedingt verhindern will, dass zwei ihrer wichtigsten Verbündeten, Türkei und irakische Kurden, gegeneinander Krieg führen.

Washington sorgt für stille Übereinkunft

Washington habe dabei, so heißt es aus Kreisen beteiligter irakischer Politiker, eine stille Übereinkunft aller Seiten erreicht: Die Türken verzichten auf eine Invasion über die unmittelbare Grenzregion hinaus (wo ohnehin seit den neunziger Jahren türkisches Militär auf irakischem Grund stationiert ist). Dafür bekommen sie weiter US-Militärhilfe. Die irakischen Kurden schließen die Büros der PKK, verhindern zumindest das Einsickern weiterer Kämpfer, die aus Europa zur PKK stoßen wollen und akzeptieren türkisches Militär im Grenzgebirge. Vor allem aber: Sie lassen das fürs Jahresende angekündigte Referendum über den Verleib von Kirkuk vorläufig ruhen. Dort klagt zum einen die türkischstämmige Minderheit der Turkmenen über kurdische Unterdrückung, zum anderen wäre ein kurdischer Staat inklusive Kirkuks Öl wirtschaftlich lebensfähig. Die PKK wiederum zieht sich aus der Grenzgegend zurück. Ein großer Krieg ist verhindert, alle Seiten haben das Gesicht gewahrt.

Jeder scheint sich an die Vereinbarung zu halten. Teil des Ganzen ist ein Etikettenschwindel, der in den vergangenen Wochen sichtbar wurde: Tatsächlich verließen PKK-Kämpfer ihre Stellungen, die von unmittelbar nachrückenden Gruppen der Pejak eingenommen wurden. Offiziell eine unabhängige Kurdenmiliz, die gegen den Iran kämpft, de facto die iranische Abteilung der PKK. Die sind den Türken egal und den USA willkommen. Den Iranern wiederum ist ihr Einfluss im Gesamtirak wichtiger als der politische Showdown im Kleinkrieg gegen die steten Angriffe der Pejak.

Insofern dürfte der jetzige Einmarsch eher die Simulation einer Invasion sein. Dafür spräche auch die laue Reaktion eines Sprechers der kurdischen Regionalregierung: Wenn das türkische Militär begrenzte Operationen gegen die PKK-Kämpfer durchführe, sei das deren Angelegenheit. Man möge nur acht geben, dass keine Zivilisten zu Schaden kommen.