PARLAMENTSWAHL Giftiges Klima vor der Wahl

Das politische Klima vor der Parlamentswahl in den Niederlanden ist bis zuletzt giftig geblieben. Vor allem Vorwürfe gegen etablierte Parteien und Politiker, an der Ermordung des Rechtspopulisten Pim Fortuyn mitschuldig zu sein, sorgten für Empörung. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Wim Kok wies entrüstet Beschuldigungen des neuen Vorsitzenden der Liste Pim Fortuyn, Peter Langendam, zurück. Der Nachfolger des am 6. Mai erschossenen Fortuyn hatte in einem Interview unter anderem behauptet: »Die Kugel kam von links.«

Der Wahlkampf um die Stimmen der 12 Millionen Wahlberechtigten war unmittelbar nach dem Mord unterbrochen worden. Eine Umfrage für das niederländische Fernsehen unter 2100 Beteiligten zeigte am Montagabend einen weiteren Stimmenzuwachs für die Liste Pim Fortuyn. Im 150 Sitze umfassenden Parlament soll danach die Fortuyn-Partei hinter den bisher oppositionellen Christdemokraten (CDA) zweitstärkste Fraktion werden. Die Parteien der Regierungskoalition - Sozialdemokraten, Liberale und Linksliberale - haben laut Umfrage schwere Verluste zu erwarten.

Ausschuss untersucht Attentat auf Fortuyn

In einer Sondersitzung berief das Kabinett am Dienstag einen fünfköpfigen Untersuchungsausschuss zum Attentat auf Fortuyn. Unter dem Vorsitz eines früheren Gerichtspräsidenten soll ermittelt werden, ob die Behörden alles Notwendige zum Schutz des umstrittenen Politikers getan hatten.

Der Spitzenkandidat der linksliberalen Partei D66, Thom de Graaf, wehrte sich unterdessen gegen eine Strafanzeige von Anwälten Fortuyns, dass er zusammen mit anderen Politikern und Journalisten zum Hass gegen ihren Mandanten aufgerufen habe. Dies sei übelste Nachrede, sagte de Graaf.

Prognosen und erste Hochrechnungen sollen am Mittwoch kurz nach Schließung der Wahllokale um 21.00 Uhr veröffentlicht werden. Das vorläufige Endergebnis wird noch in der Nacht erwartet.

Themen und Parteien

Seit 1994 wird das Land von einer Koalition der Partei der Arbeit (PvdA) mit den liberalen Parteien Demokraten 66 (D66) und der Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) regiert. PvdA: Die sozialdemokratische Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Wim Kok steht für das niederländische Modell zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: Die Gewerkschaften sollen Lohnzurückhaltung üben, um die Berufsaus- und -fortbildung zu verbessern und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen. Diesem Ziel dienten auch Kürzungen bei Sozialleistungen, Renten, Schulbildung und Kindergeld. Innerparteilich stieß der Kurs auch auf Kritik: Kok wurde Verrat an sozialistischen Prinzipien und Vernachlässigung der Armen vorgeworfen. Nach einem vernichtenden offiziellen Bericht über die Rolle niederländischer UNO-Soldaten beim Massaker in Srebrenica während des Bosnien-Krieges trat das Kabinett Kok im April zurück. Für die Partei tritt ihr zum rechten Flügel gerechnete Chef Ad Melkert an.

VVD:

Die wirtschaftsliberale Partei von Ex-Innenminister Hans Dijkstal gilt auch in gesellschaftspolitischen Fragen wie Sterbehilfe und Ehe unter Homosexuellen als liberal. Gleichzeitig fährt sie einen strikt marktwirtschaftlichen Kurs und tritt für strenge Ausgabendisziplin ein. Sie hat am rechten Rand Anhänger an Fortuyn verloren.

D66:

Die Linksliberalen - der Name steht für das Gründungsjahr 1966 - verstehen sich als Anhänger der direkten Demokratie. Sie stehen der Monarchie kritisch gegenüber und sind für eine Wahlrechtsreform zur Direktwahl des Ministerpräsidenten. Sie waren die Hauptantriebskraft hinter den Gesetzen zur Sterbehilfe und zur Homo-Ehe.

CDA:

Der Christlich Demokratische Appell ist die größte Oppositionspartei. Umfragen zufolge ist es dem neuen Parteichef Jan Peter Balkenende gelungen, den Niedergang der wertkonservativen Partei zu stoppen. Ob er eher Teil einer Mitte-links- oder Teil einer Mitte-rechts-Koaltion sein wolle, ließ Balkenende offen.

Die Umweltpartei der 1990 gegründeten linken Grünen unter ihrem populären Chef Paul Rosenmoeller tritt für einen »neuen Ausgleich« von Arm und Reich, Umwelt und Wirtschaft sowie Arbeits- und Privatleben ein. Umfragen zufolge könnte sie in einer Mitte-links-Regierung erstmals in einem Kabinett vertreten sein.

Liste Pim Fortuyn:

Die LPF wurde erst in diesem Jahr von Fortuyn gegründet. Er äußerte sich ausländerfeindlich und bewertete den Islam als rückständig. Die Liste wendet sich gegen politisches Elitentum, Bürokratie, steigende Kriminalität und Probleme im Gesundheitswesen, ohne jedoch Vorschläge zur Finanzierung ihrer Politik zu unterbreiten. Experten halten es für möglich, dass die Partei nach dem Anschlag die meisten Stimmen erhalten könnte.