Doch das alte Misstrauen zwischen Ost und West war auch auf dem Gipfeltreffen zu spüren. Teilnehmer verschwiegen nicht, dass sich hinter mancher europäischen Vision eine ebenso graue Wirklichkeit verbirgt wie hinter den vielen überhastet getünchten Fassaden von Petersburg. "In Europa herrscht die Angst vor Einwanderung. Wir brauchen freie Bewegung, aber auch Sicherheit", betonte der EU- Ratspräsident, der griechische Regierungschef Konstantinos Simitis.
Weniger als ein Jahr vor der Präsidentenwahl in Russland wollte der gebürtige Petersburger Putin große Steine ins Rollen bringen. In Anspielung auf die Schrecken der Berliner Mauer, des Symbols des Kalten Krieges, zog der Kremlchef einen gewagten Vergleich zu den Einreise-Hindernissen in der EU. "Auch die europäischen Partner wollen nicht, dass eine Schengener Mauer Europa teilt", sagte Putin. Auf sein Drängen wurde erstmals im Abschlusskommuniqué festgeschrieben, man wolle gemeinsam die Bedingungen für Reisen ohne Visazwang zwischen dem halbasiatischen Riesenreich Russland und Westeuropa als "langfristige Perspektive" prüfen.
Bereits in der Vergangenheit hatte es Russen und Europäern nicht an Visionen gemangelt. Vor knapp zehn Jahren ebneten beide Seiten den Weg für eine Freihandelszone. Von einem gemeinsamem Wirtschaftsraum sind beide Seiten angesichts von Strafzöllen, Investitionshemmnissen und Dumpingpreisen aber noch immer weit entfernt.
Im Kreise der 25 ständigen und künftigen EU-Mitglieder gab sich der Kremlchef mitunter herrisch wie ein russischer Zar. Obwohl die zwei Stunden Gipfelzeit ohnehin viel zu knapp für die Erörterung strittiger Punkte bemessen waren, zeigte Putin seinen Gästen anfangs einen fast zehnminütigen Film über die Renovierung des Tagungsortes, des bis vor kurzem noch in Trümmern liegenden Konstantin-Palastes. In seinen Begrüßungsworten bekamen die Europäer das Wort "Probleme" gleich im Dutzend zu hören.
Bundeskanzler Schröder wirkte ungeachtet seiner innenpolitischen Sorgen entspannt. Am Sonntag muss sich Schröder auf dem Sonderparteitag seiner SPD in Berlin der Kritik an seinen Sozialreformen stellen. In Petersburg verzog er nur einmal die Miene. Als Tischnachbar von Putin musste der Kanzler ein Glas Wodka auf die "blühende Zukunft" Europas leeren. Diese Prüfung bestand Schröder, ohne zu kneifen. Der Ausgang einer weiteren Prüfung, das Wiedersehen mit US-Präsident George W. Bush auf einem großen Abendempfang, blieb zunächst ungewiss.
Bei all dem weiterhin spürbarem Misstrauen der Europäer aus Ost und West waren sich die Gipfelteilnehmer aber in einem einig. Die Fronten nach der Irak-Krise sollen überwunden werden. In St. Petersburg wurde dafür ein erster Schritt gemacht. Auf dem G-8-Gipfel in Evian will das Trio der Kriegsunwilligen aus Schröder, Putin und Chirac gemeinsam mit Bush die aufgerissen Gräben wieder zuschütten.