"Ich habe eine Organisation vorgefunden, die in ihrer Kernaufgabe grundlegend versagt." In einem unabhängigen Bericht fällt die britische Regierungsbeamtin Louise Casey auf 363 Seiten ein vernichtendes Urteil über die Polizeibehörde, die Metropolitan Police (Met). Institutionellen Rassismus, Sexismus und Homophobie, Mobbing und Korruption wirft sie der Polizei vor, die vor allem für den Großraum London zuständig ist. Der neue Polizeikommissar akzeptierte ihre Ergebnisse, wollte aber nicht von "institutionellen" Problemen sprechen.
Die Polizei selbst beauftragte Baroness Casey im Herbst 2021. Casey sitzt als unabhängiges Mitglied im britischen Oberhaus und sollte nach dem Mord an der 33-jährigen Sarah Everard ein unabhängiges Gutachten über die Londoner Metropolitan Polizei erstellen. Everard wurde im März 2021 von einem Polizisten entführt, vergewaltigt und ermordet. Der Fall löste landesweite Proteste von Frauen aus, die unter dem Motto "Holt euch die Straßen zurück" ("Reclaim These Streets") gegen Polizeigewalt demonstrierten.
London: Vertrauen in die Polizei ist auf einem Tiefpunkt

Sarah Everard ist nicht das einzige Opfer von straffällig gewordenen Polizisten. Der Serienvergewaltiger und Polizist David Carrick wurde von seinen Kollegen über Jahre gedeckt, Hinweise wurden nicht ernst genommen. Die Met selbst ermittelt in 1633 Fällen gegen Kollegen und Mitarbeiter wegen mutmaßlichen Sexualdelikten und häuslicher Gewalt. Das Vertrauen in die Londoner Polizei ist deshalb an einem Tiefpunkt. Dieses Vertrauen müsste dringend zurückgewonnen werden, schreibt Casey im Bericht: "Es ist nicht unsere Aufgabe als Öffentlichkeit, uns vor der Polizei zu schützen. Es ist die Aufgabe der Polizei, uns Bürger zu schützen."
Auch innerhalb der Polizei haben es weibliche Angestellte demnach schwer. "Beamtinnen und weibliche Beschäftigte sehen sich routinemäßig mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit konfrontiert", so der Bericht. "Die Met hat ihre weiblichen Angestellten oder Mitglieder der Öffentlichkeit weder vor Tätern in der Polizei geschützt, die häusliche Gewalt anwenden, noch vor denen, die ihre Position für sexuelle Zwecke missbrauchen."
Zahlreiche Beispiele werden im Bericht angeführt. Kolleginnen, die berichten, am Arbeitsplatz angefasst, gemobbt und isoliert worden zu sein. Und wenn sie auf fragwürdiges Verhalten aufmerksam machten, seien sie hinterher als "Unruhestifter" gebrandmarkt und im Kollegium lächerlich gemacht worden. Während die beschuldigten Polizisten häufig Karriere machten, seien qualifizierte Frauen übergangen worden – "es ist dein Wort gegen seins".
Homosexueller Polizist: "Ich vertraue meiner eigenen Organisation nicht"
Auch Angehörigen von Minderheiten wird der Alltag dem Bericht zufolge schwer gemacht. Laut der Untersuchung gibt ein Fünftel der Met-Mitarbeitenden an, gemobbt zu werden. Bei Personen mit Vorerkrankungen oder Behinderung ist es ein Drittel, ebenso bei LGBTQ-Angestellten.
Ein queerer Polizist möchte anonym bleiben. Er berichtet gegenüber Louise Casey und ihrem Team von homophober Sprache und Whatsapp-Gruppen, in denen sich Diensthabende über ihn lustig machten. Es habe Anspielungen gegeben, ihn "gezielt zu durchsuchen". Als er das Verhalten bei Vorgesetzten angesprochen habe, sei er nicht ernstgenommen worden. Er vertraue seiner eigenen Organisation nicht, wird er im nun veröffentlichten Bericht zitiert. Einem muslimischen Beamten soll Speck in die Stiefel gelegt worden sein, einem weiteren Gläubigen wurde demnach der Bart abgeschnitten.
Dieses interne Verhalten zeige sich auch bei der Arbeit auf der Straße. Angehörige der vorwiegend weißen Polizei in London nehmen die nicht-weiße Bevölkerung weniger ernst, zeigt der Bericht. Besonders Schwarze Personen wären "over-policed" – sie werden übermäßig kontrolliert, verhaftet und sind bei vielen schweren Straftaten überrepräsentiert. Auch deshalb ist das Vertrauen in die Polizei in diesem Teil der Bevölkerung noch niedriger, als in allen anderen.
Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan will Probleme schneller angehen
Sadiq Khan ist seit Mai 2016 Bürgermeister von London und gehört der Labour-Partei an. Seit dem Mord an Sarah Everard hat er einen neuen Polizeikommissar berufen sowie neue Führungsteams innerhalb der Polizei ernannt, die diese strukturellen Probleme angehen sollen. Die im Bericht von Louise Casey beschriebenen Probleme erkennt er in einem Statement an und will die Polizei zur Chefsache machen. Casey's Empfehlungen sollten möglichst schnell umgesetzt werden, um das Vertrauen der Londoner zurückzugewinnen, so Khan: "Die Met hat viele engagierte, professionelle Polizeibeamte und Mitarbeiter, die Teil dieses Wandels sein wollen. Ich betrachte die Polizeireform als einen entscheidenden Teil meines Bürgermeisteramtes und werde mich nicht zufrieden geben, bis die Londoner den Polizeidienst haben, den sie verdienen."

Khan selbst hat den neuen Polizeikommissar Mark Rowley vor einem halben Jahr eingesetzt, der zwar nicht von "institutionellen", aber von "strukturellen" Problemen sprechen möchte. Schon bis Ende März will Rowley Ergebnisse vorzeigen können, sagte er in einem Interview mit Sky News: "Wir haben Rassisten, Frauenfeinde und Homophobe in der Organisation." Aber: "Wir haben schon Leute suspendiert. Wir ermitteln gegen Leute. Wir schmeißen sie raus."
Für ihren Bericht haben Baroness Casey und ihr Team mit ehemaligen und aktuellen Mitarbeitenden und Polizeikräften gesprochen, Dienststellen besucht und Meetings angehört sowie Umfragen in der Londoner Bevölkerung durchgeführt. Deren Urteil fällt ähnlich vernichtend aus. Lediglich 66 Prozent der Menschen vertrauen der Polizei, bei marginalisierten Gruppen ist es nur rund die Hälfte. Auch eine Umfrage für "PoliticsHome" von Ende Februar zeigt, dass mit 55 Prozent mehr als die Hälfte der Frauen in London 'kaum' oder 'gar kein Vertrauen' in die Met haben.
Quellen: Metropolitan Police, Statement Sadiq Khan, Baroness Casey Interview, Politics Home, "Evening Standard", "Guardian", Open Access Government