Präsidentschaftswahlen Vom Sohn-Trick und einem tanzenden General: Das müssen Sie zu den Wahlen in Indonesien wissen

Umstrittenes Duo: Präsidentschaftskandidat Prabowo Subianto steht neben Gibran Rakabuming Raka.  Zwei Männer in Hemd und Weste.
Umstrittenes Duo: Präsidentschaftskandidat Prabowo Subianto (links) eilt ein brutaler Ruf voraus. Sein Stellvertreter soll Gibran Rakabuming Raka werden, der Sohn des Amtsinhabers
© Tatan Syuflana / AP
Am Mittwoch wählt Indonesien. Der beliebte Präsident Joko Widodo muss nach zehn Jahren im Amt abtreten. Doch seine Ära wird weitergehen, ganz unabhängig vom Ergebnis. Fünf Fragen und fünf Antworten zum Urnengang.

Selbst im Superwahljahr 2024, in dem Putin sich erneut widerstandslos krönen lassen wird, Trump das Weiße Haus stürmen könnte und auch Globalisierungsmacht Indien zu den Urnen bittet, ist die Stimmabgabe in Indonesien eine der Superlative. Mehr als 200 Millionen Menschen entscheiden an diesem Mittwoch über ihren neuen Präsidenten. In keinem Land der Welt sind so viele Bürgerinnen und Bürger gleichzeitig – an nur einem Tag – in ihrer Pflicht oder besser: in Wahlkabinen auf über 6.000 bewohnten Inseln und drei Zeitzonen. 

Es ist ein enormer logistischer Aufwand, der da betrieben wird, um den Nachfolger von Joko Widodo zu küren, dem noch amtierenden, so zwiespältigen Präsidenten, der zwar offiziell abtritt, aber irgendwie auch doch nicht. Nun bemühen sich drei Kandidaten um seine Nachfolge, mit dünnen Wahlkampfheftchen, die wirken wie voneinander abgepaust. Und unter ihnen: ein Ex-General, der einst politische Gegner gefoltert haben soll und nun Tanzvideos auf TikTok teilt. Etwas wirr, das alles? Einblicke in die Wahlen des größten Inselstaats der Welt.

Wieso sind Wahlen in Indonesien wichtig? 

Wer noch einen Globus besitzt, der drehe ihn nun ein wenig und erkenne recht schnell: Über knapp 4000 Kilometer erstreckt sich Indonesien vom Indischen Ozean im Westen bis zum Pazifik im Osten, wie eine eigene Inselgalaxie. In ihr liegt nicht nur die Straße von Malakka, eine der meistbefahrenen Schifffahrtrouten weltweit, sondern auch das Südchinesische Meer, in dem die beiden Großmächte USA und China um Hoheitsgebiete und Deutungshoheit streiten. 

Auf dieser rauen See gilt Indonesien als Anker, der sich mittels der Gemeinschaft südostasiatischer Staaten ASEAN für eine friedliche Konfliktbewältigung einsetzt. Schon während des Kalten Kriegs blieb das Land blockfrei. "Indonesien will sich dezidiert von niemandem vor den Karren spannen lassen. Die außenpolitische Traditionslinie ist die strategische Autonomie", sagt Felix Heiduk, Leiter der Forschungsgruppe Asien bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Indonesien sitzt zwischen den Stühlen, könnte man auf gut Deutsch auch dazu sagen. Und wer auf keinem Stuhl sitzt, der liegt irgendwann auf dem Boden. Im großen Archipelstaat sehen sie das anders, dort ist die Rede von "mendayung antara dua karang", was so viel heißt wie: "Zwischen zwei Riffen segeln". Auf klarem Kurs bleiben also, ohne Aufschlag, ohne Kentern. 

Das macht Indonesien für Deutschland und Europa zu einem genehmen Partner in einer ziemlich unangenehmen Weltregion. Auch handelstechnisch: Seit 2016 feilscht die EU mit Jakarta um ein Freihandelsabkommen. Indonesien ist die stärkste Volkswirtschaft Südostasien, das bevölkerungsreichste muslimische Land überhaupt und – sieht man von ein paar Makeln ab – die drittgrößte Demokratie weltweit. Nicht nur auf einem Globus schlicht nicht wegzudenken.

Wer tritt ab?

In seinen zehn Jahren im Präsidentenamt segelte Joko Widodo, kurz: Jokowi, routiniert zwischen allen Riffen. Als erster Staatschef Asiens besuchte er nach dem russischen Überfall der Ukraine sowohl Moskau als auch Kiew. Zum heimischen G20-Gipfel auf Bali 2022 lud er Selenskyj ein und Putin nicht aus. Doch all die strategische Autonomie auf internationaler Bühne diente immer nur einem übergeordneten Zweck: dem Wohle des eigenen Landes, der Weiterentwicklung Indonesiens, vor allem wirtschaftlich.

Unter dem inzwischen 62-jährigen Jokowi wuchs Indonesiens Wirtschaft – die Corona-Zeit herausgerechnet – jährlich um fünf Prozent. Der Präsident senkte die Unternehmenssteuern, weichte Kündigungsrechte auf und machte sein Land so im umkämpften Markt der Globalisierung attraktiver. Gleichzeitig verhängte er ein Exportverbot für Nickel, um den üppig verbreiteten Rohstoff im Land zu halten, die verarbeitende Industrie ins Land zu locken und aus Indonesien so ein Land der Batterieproduktion zu machen.

Und er rühmte sich gigantischer Infrastrukturprojekte, baute Flughäfen, eröffnete einen Hochgeschwindigkeitszug, plante für mehr als 30 Milliarden US-Dollar eine neue Hauptstadt: Jakarta, dieses Elf-Millionen-Menschen-Moloch auf der Hauptinsel Java, ächzt so sehr unter seiner Bevölkerung, dass es jährlich um einige Zentimeter absinkt. Neuer Regierungssitz soll die klimaneutral entworfene Planstadt Nusantara auf Borneo werden.  

Demokratisches Antlitz mit Kratzern: Joko Widodo war zehn Jahre Präsident Indonesiens. Er stärkte die Wirtschaft und schwächte die Opposition
Demokratisches Antlitz mit Kratzern: Joko Widodo war zehn Jahre Präsident Indonesiens. Er stärkte die Wirtschaft und schwächte die Opposition
© Achmad Ibrahim / AP

Das Jokowi-Jahrzehnt war für die Indonesier eines des Aufschwungs und der Stabilität. "Er gilt als Macher", sagt Politikwissenschaftler Heiduk. "Kein anderer Präsident in der demokratischen Ära Indonesiens hatte zum Ende seiner zweiten Amtszeit Zustimmungsraten von über 70 Prozent.“ 

Vom einfachen Möbelfabrikanten aus Zentral-Java in den Präsidentenpalast – zu seiner Erstwahl 2014 galt Jokowi als Sensation in seiner von Politikdynastien geprägten Heimat. Doch spätestens zur zweiten Amtszeit bekam das demokratische Antlitz Kratzer. Er schwächte die Antikorruptionsbehörde, schmälerte den Meinungskorridor vor allem im Internet, politisierte das Oberste Gericht. Politikwissenschaftler Heiduk zieht Bilanz: "Sie fällt gemischt aus. Jokowi hat die Rechte der Zivilgesellschaft ein Stück weit beschnitten.“

Eigentlich wollte sich der Präsident eine dritte Periode genehmigen und dafür die Verfassung ändern. Er scheiterte aber ausgerechnet an jenem Parlament, das die Regierungsparteien mit über 80 Prozent der Sitze dominieren. Seine Finger bei den aktuellen Wahlen hat Jokowi dennoch im Spiel. 

Wer tritt an? 

Als aussichtsreichster von drei Kandidaten gilt Prabowo Subianto, ein 72-jähriger Herr mit Vergangenheit als Präsidentschaftskandidat und einer zweifelhaften Verbindung in die dunklen Zeiten Indonesiens. Als General unter Diktator Suharto, mit dessen Tochter er lange verheiratet war, soll er in den 1990er Jahren an der Verschleppung und Folter von Demokratie-Aktivisten beteiligt gewesen sein. Subianto bestreitet das bis heute. Bereits zweimal, 2014 und 2019, trat er gegen Amtsinhaber Jokowi an. Beide Male misslang die Strategie, sich als harter militärischer Führer zu präsentieren. 

Inzwischen ist er sein Verteidigungsminister und versucht es nun als netter Onkel von nebenan, der sich durch kurze Videos auf Instagram und TikTok direkt an die Spitze des Staates tänzelt. Und mit der Hilfe des Präsidenten. Prabowos Vizepräsidentschaftskandidat heißt ausweislich seiner Geburtsurkunde Gibran Rakabuming Raka, ist der Sohn von Joko Widodo und zarte 36 Jahre jung. Alles kein Problem, um dennoch zu kandidieren. Das Oberste Gericht, geleitet von Jokowis Schwager, beugte die eigentliche Altersgrenze von 40 Jahren. 

Der Kandidat von Jokowis eigentlicher Regierungspartei, Ganjar Pranowo, 55, ist lediglich ein Außenseiter. Er gibt sich als Mann für das einfache Volk, war für zwei Amtszeiten Gouverneur der Provinz Zentral-Java und ist deshalb vor allem auch jenseits der Hauptstadt Jakarta beliebt.

Dort regierte einst Anies Baswedan, 54, Präsidentschaftsanwärter Nummer drei und ehemals ein Berater Jokowis, bevor er sich vor allem konservativen muslimischen Gruppierungen im Land zuwandte, ohne jedoch in islamistische Gefilde abzudriften.

Die vergangenen Wahlen in Indonesien galten als fair und frei. Insgesamt werden am Mittwoch neben dem Präsidenten 20.000 Amtsträger gewählt – ins Nationalparlament, in 38 Provinzparlamente, auf Landratssitze und in Bürgermeisterbüros.

Wie wird es ausgehen?

Den Schlüssel zum Wahlsieg hält die junge Bevölkerung in den Händen. Gut die Hälfte aller registrierten Wähler ist unter 40. Ihr geht es vor allem um Berufsaussichten, die wirtschaftliche Entwicklung Indonesiens und den Kampf gegen Korruption und Armut. 

Der zukünftige Präsident muss über 50 Prozent aller Stimmen und mindestens 20 Prozent der Stimmen in mehr als der Hälfte der 38 Provinzen hinter sich vereinen. Prabowo kratzt zwar an dieser Marke, die anderen beiden Kontrahenten liegen gut 30 Prozentpunkte hinter ihm. Doch als wahrscheinlichstes Szenario gilt immer noch eine Stichwahl am 26. Juni. 

Die ersten Hochrechnungen sollen am Freitagvormittag deutscher Zeit kommen, 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale in Indonesien. Wie gesagt: Eine Wahl in einem Land der tausenden Inseln ist eine Herausforderung. Das amtliche Endergebnis wird wohl erst einen Monat später stehen. Die Vereidigung des neuen Präsidenten findet dann im Oktober statt, womöglich sogar im neuen Präsidentenpalast von Nusantara. 

Und was ändert sich nach den Wahlen?

Tatsächlich wohl nicht viel. Das gilt zunächst für den wahrscheinlichen Fall, dass aus dem amtierenden Präsidentensohn der neue Vizepräsident wird. Zwar ist der Stellvertreter des Staatschefs im politischen System Indonesiens formell fast machtlos. Faktisch aber könne der scheidende Jokowi durchaus Einfluss nehmen, glaubt Experte Heiduk: "Das hat er in mehreren Interviews mehr oder weniger selbst bestätigt."

Doch auch sonst wird die Ära Jokowis weiter gehen, nur ohne ihren Kopf. "Die Kandidaten unterscheiden sich wirklich nur in Nuancen", sagt Felix Heiduk. "Und das, obwohl ihre Wahlprogramme ohnehin schon klein und dünn sind. Das von Prabowo etwa umfasst nur 14 Seiten." Alle drei Kandidaten wollen die Jokowinomics fortsetzen, sie versprechen ein steigendes Bruttosozialprodukt, den Ausbau der Sozialfürsorge, den Kampf gegen Armut. Das Nickelexportverbot soll bleiben. 

Indonesien wird nach den Präsidentschaftswahlen politisch denselben Kurs fahren wie zehn Jahre lang unter Jokowi: Außenpolitisch zwischen den Riffen, innenpolitisch auf der Welle des Wirtschaftswachstums.