Boykottieren? Ignorieren? Totschweigen? Angesichts der fragwürdigen Anti-Homosexuellengesetze stellt sich die Frage, wie man in Zukunft mit Russland und seinem Präsidenten Wladimir Putin umgehen sollte. Erst recht, da mit den Olympischen Winterspielen im nächsten Jahr und der Fußball Weltmeisterschaft 2018 zwei sportliche Großereignisse in Putins Reich stattfinden.
Eine besonders wirksame Methode, dem weltweiten Protest auch in Russland Gehör zu verschaffen, hat jetzt der US-Journalist James Kirchick im russischen Staatsfernsehen RT vorgemacht. Der Reporter war ursprünglich eingeladen, um in einer Talkrunde auf dem englischsprachigen Kanal zum Urteil gegen den Wikileaks-Informanten Bradley Manning Stellung zu nehmen. Stattdessen nutzte der offen homosexuelle Journalist das Forum zu einer furiosen Abrechnung mit der Homophobie in Russland.
Kirchicks-Auftritt in voller Länge
Er könne "nicht schweigen im Angesicht des Bösen", sagte Kirchick, der mit Hosenträgern in Regenbogenfarben seinen Protest auch optisch untermauerte. "Hier, auf diesem vom Kreml geschaffenen Propagandasender, werde ich meine Gay-Pride-Hosenträger tragen und dieses schreckliche Gesetz verurteilen, das Präsident Wladimir Putin unterzeichnet und die russische Duma verabschiedet hat", sagte Kirchick.
Das russische Verbot von "Homosexuellen-Propaganda"
Wer sich in Russland im Beisein von Minderjährigen positiv über Homo-, Bi- oder Transsexualität äußert, muss mit hohen Geldstrafen rechnen. Das von Kremlchef Wladimir Putin unterzeichnete Gesetz gegen die "Propaganda nicht traditioneller sexueller Orientierung" dient nach offiziellen Angaben dem Jugendschutz. Homosexualität selbst ist im größten Land der Erde nicht strafbar.
Unklar ist nach Ansicht von Kommentatoren aber, für welche Vergehen eine Geldstrafe von umgerechnet bis zu 25.000 Euro droht. Der Text sei schwammig formuliert und biete Raum für Missbrauch, klagen Kritiker. Bürgerrechtler betonen zudem, das Gesetz schüre den Hass gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle. Ausländern drohen Arreststrafen und Abschiebung.
Perplexte Moderatorin kickt Reporter aus der Sendung
Den Zuschauern auf dem Staatskanal dürften die Ohren geklungen haben angesichts des flammenden Plädoyers gegen die "furchtbare Atmosphäre der Homophobie" in Russland. Kirchick griff auch die RT-Journalisten an und fragte die Moderatorin, wie sie und ihre Kollegen überhaupt nachts schlafen könnten. "Sie lügen 24 Stunden lang über die Ereignisse in den Vereinigten Staaten, ignorieren aber, was sich in Russland abspielt", schimpfte Kirchick. "Ich werde mir zwei Minuten nehmen, um die Wahrheit zu sagen."
Die sichtlich perplexe Moderatorin versuchte mehrfach, Kirchicks Redeschwall zu unterbrechen. Am Ende wusste sich der Sender nicht anders zu helfen, als den Reporter der aus Stockholm zugeschaltet war, aus der Liveschalte auszublenden.
Russland steht seit Monaten in der Kritik wegen einem Gesetz, das positive Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder über Medien wie das Internet unter Strafe stellt. Die westlichen Politiker beschränken ihren Protest auf die üblichen diplomatischen Floskeln. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bezeichnete den Umgang mit Homosexuellen in Russland als "nicht akzeptabel". Einen Olympia-Boykott hält er aber ebenso wie Kanzlerin Angela Merkel für "kontraproduktiv". Und auch die Sportfunktionäre vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dem Fußball-Weltverband Fifa fassen das Thema nur mit Samthandschuhen an.
Beißender Spott im Netz über Putin
Solidarität und Zuspruch erhalten die Homosexuellen in Russland dagegen im Netz. Dort ist beißende Ironie das Mittel der Wahl. Auf dem US-Portal Buzzfeed beispielsweise kursiert eine Fotoliste mit den 16 homoerotischsten Motiven Wladimir Putins. Ebenfalls mit Putin-Bildern ist auf dem Blog "Mutti der Libero" eine Satire-Galerie mit den fünf schwulsten Sportarten Russlands bebildert.
Wie es scheint, formiert sich in den sozialen Netzwerken gerade eine Form des Protests, die womöglich für Putin und Russland durchaus noch gefährlich werden kann. Dann nämlich, wenn der virale Widerstand so groß wird, dass auch Politiker und Sportfunktionäre ihre zögerliche Haltung überdenken müssen.
Für die Twitter-Gemeinde ist Kirchick ein Held
Für Kirchick hätte sein Auftritt beinahe noch unangehehme Folgen gehabt. Er twitterte einige Zeit später vom Weg zum Flughafen, dass der Sender die Taxifirma angerufen habe, um die Fahrt zu stoppen und ihn am Autobahnrand auszusetzen. Der zurzeit in Berlin lebende Journalist, Jahrgang 1983, schreibt unter anderem für "The Washington Post", "The Wall Street Journal", "Ha'aretz" und das US-Gay-Magazin "Advocate". 2007 wurde er von der National Lesbian and Gay Journalists Association als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet.
Auf Twitter wird Kirchick inzwischen für seinen Auftritt als Held gefeiert. Der britische Schauspieler Stephen Fry etwa begrüßte die "wunderbaren" Äußerungen Kirchicks als "genau das, was es brauchte". Der wehrte jedoch ab und twitterte, Helden seien all jene, die in Russland gegen die Schwulenhetze kämpfen.