Der 87-jährige Hans Dichand ist einer der mächtigsten Männer Österreichs. Er ist Herausgeber der "Kronen-Zeitung". Die ist, gemessen am Verhältnis Leser pro Einwohner, die größte Zeitung der Welt: 40 Prozent der Österreicher studieren regelmäßig das kleinformatige Blatt mit Schlagzeilen über "kriminelle Ausländer" und EU-Wahnsinn aus Brüssel.
Volksabstimmungen über EU-Verträge
Ausgerechnet in dieser Boulevardumgebung verkündeten der neue SPÖ-Chef Werner Faymann und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer via Leserbrief eine Änderung ihrer Parteilinie in Europafragen: Künftig solle es auch in Österreich Volksabstimmungen über wichtige EU-Verträge geben, schrieben sie. Und machten damit einen Kotau vor Dichand, von Faymann "Onkel Hans" genannt, und den Lesern der "Krone".
Es sollte eigentlich ein Befreiungsschlag werden. Denn laut "Eurobarometer" ist die Europäische Union nur in Großbritannien unbeliebter als in Österreich. Mit lautstarker EU-Skepsis, so das Kalkül der SPÖ-Spitze, könne man gerade bei Arbeitern und wenig Gebildeten punkten. Doch der Kniefall vor der "Krone" geriet zum Schuss ins eigene Knie: SPÖ-Spitzenpolitiker geißelten die Kehrtwende in der EU-Linie - und die ÖVP forderte sofort zu einer Korrektur der Korrektur auf. Vergeblich. Nun zog die ÖVP die Konsequenzen und ließ die Große Koalition scheitern.
Sie hätten nur alles richtig machen können
Der EU-Schwenk lieferte den Konservativen einen willkommenen Anlass, aus der ungeliebten Verbindung auszusteigen. Dabei hätten SPÖ und ÖVP in den vergangenen 18 Monate eigentlich nur alle richtig und nichts falsch machen können. In Österreich herrscht Hochkonjunktur, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Steuereinnahmen sprudeln. Paradevoraussetzungen also, um mit ruhiger Hand regieren und einige populäre Geschenke an das Wahlvolk machen zu können. Doch die rot-schwarze Koalition war vom Start weg vor allem nur ein Bündnis zweier verfeindeter Einzelparteien. Gerade die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land überstand sie noch. Nur eine Woche später beendete ÖVP-Chef Wilhelm Molterer die Koalition mit den dürren Worten: "Es reicht."
Diese Aufkündigung der Zusammenarbeit passt zum Stil der Regierung. Seit Beginn der Zusammenarbeit im Januar 2007 stand auf der Agenda ihrer wöchentlichen Ministerratssitzung meist nur ein Tagesordnungspunkt: Gezänk. Beide Parteien einigten sich lieber nicht auf Gesundheits- oder Steuerreform, als dem Partner einen Erfolg zu gönnen.
Mit dieser Verhinderungspolitik aber konnte die ÖVP bis zuletzt viel besser leben. Sie hatte von 2000 bis 2007 mit der Freiheitlichen regiert und vieles von dem beschlossen, was die SPÖ in ihrer Oppositionszeit noch als "unsozial" bekämpft hatte. Warum also sollten die Konservativen an ihren Beschlüssen von damals irgendetwas ändern? Zumal die ÖVP es nicht gewohnt was und ist, Kompromisse mit einem starken Partner schließen zu müssen - die Regierungsjahre von 2000 bis 2007 waren de facto eine schwarze Alleinregierung mit einem Pro-Forma-Regierungspartner.
Vor allem der SPÖ hat der Dauerstreit geschadet
Geschadet hat der Dauerstreit vor allem der SPÖ und ihrem Kanzler Alfred Gusenbauer. Er wurde auch das Opfer seines eigenen Wahlkampfs: Damals, im Frühjahr 2006, wurde der größte Bankenskandal Österreichs bekannt, die (mehrheitlich rote) Gewerkschaft hatte die eigene Bank Bawag mit riskanten Spekulationen verzockt. Die Aktien der SPÖ sanken - und Gusenbauer versprach in seiner Not den Wählern, alles was sie hören wollten: Ende der Studiengebühren, höhere Pensionen, keine neuen Abfangjäger für die Armee. Allerdings hatte die SPÖ nicht damit gerechnet, die Wahlversprechen auch einlösen zu müssen. Doch dann gewann sie unerwartet die Wahlen - und das Ergebnis ließ nur eine Große Koalition zu. Gusenbauer also musste ein Wahlversprechen nach dem anderen begraben und wurde so zum "Umfaller": Die Studiengebühren gibt es noch, die Abfangjäger auch - und die Wähler liefen den Sozialdemokraten bei den anschließenden Landtagswahlen in Scharen davon. Dem Sekundentriumph folgte der Katzenjammer: Die SPÖ war zwar, nach den acht Jahren in der Opposition, wieder an der Regierung. Doch die von Gusenbauer versprochene "Wende" wollte sich nicht einstellen.
Die SPÖ wurde ungeduldig und kritisierte ihren eigenen Kanzler immer schärfer: Abgehoben sei er, ein Besserwisser, er finde nie die richtigen Worte und lasse sich von der ÖVP ständig über den Tisch ziehen. Gusenbauer trat die Flucht nach vorne an und übergab vor Mitte Juni den SPÖ-Vorsitz an Werner Faymann - exakt dem Gegenteil Gusenbauers: Ein immer adrett geföhnter Charmebolzen, der, falls er Bücher gelesen haben sollte, nie davon erzählt.
Das Gegenteil Gusenbauers
Faymann ist das derartige Gegenteil Gusenbauers, dass selbst die ÖVP vor ihm Respekt hat und dem neuen SPÖ-Vorsitzenden deshalb lieber so wenig Zeit wie möglich zum Profilieren lassen wollte. Denn ihrem eigenen Spitzenmann Molterer ist Strahlkraft fremd, er kann nur mit Verlässlichkeit punkten. Alle erwarten, dass die Freiheitlichen nun die großen Sieger der Neuwahl werden. Denn im Populismus und in den Anti-EU-Attacken ist sie selbst dem boulevardesken Faymann überlegen.
Die Autorin Eva Linsinger ist Redakteurin des österreichischen Nachrichtenmagazins "Profil" und beschäftigt sich mit der dortigen Innenpolitik