Während Russland sich im WM-Trubel befindet und ein eigenes Sommermärchen feiert, setzt Wladimir Putin harte Reformen durch. Zum einen wird die Mehrwertsteuer ab 2019 von 18 auf 20 Prozent angehoben. Zum anderen wird das Renteneintrittsalter stufenweise erhöht, für Männer von 60 auf 65 Jahre, für Frauen von 55 auf 63 Jahre. Insbesondere die Rentenreform stößt auf große Empörung, werden doch statistisch gesehen rund 40 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen gar nicht lange genug leben, um ihre Rente noch in Anspruch nehmen zu können. Die durchschnittliche Lebenserwartung für russische Männer liegt gerade bei 66 Jahren, die der Frauen bei 77.
Und so ist es wenig verwunderlich, dass besonders listige Bürger sich nun etwas einfallen lassen, um doch noch ihre Rente genießen zu können. Die am weitesten verbreitete Methode, ist der Kauf eines gefälschten Behindertenausweises, berichtet das russische Magazin "Life". Behinderte Menschen können in Russland nicht nur viel früher in den Ruhestand gehen, sondern genießen auch einige Vergünstigungen, z.B. beim Kauf von Medikamenten oder im öffentlichen Verkehr.
Nach Informationen von "Life" sind die Preise für einen gefälschten Behindertenausweis seit der Bekanntgabe der Reform explosionsartig gestiegen. Dem Bericht zufolge kostet eine solche Fälschung derzeit zwischen 100.000 und 700.000 Rubel - abhängig von der Region. Umgerechnet sind es ca. 1360 bis 9500 Euro.
Korrupte Ärzte sind die erste Station
Meistens läuft der Erwerb gefälschter Atteste nach demselben Schema ab. Korrupte Ärzte sind die erste Station auf dem Weg zum ersehnten Status als Behinderter. Sie bieten ihren Patienten passende "Diagnosen" an. Der einfachste Weg zu einer "Behinderung" ist eine fiktive Operation, die angeblich eine lange Rehabilitation erfordert. Dies hat jedoch den Nachteil, dass je nach Diagnose eine zweite fiktive Operation von Nöten sein kann, damit der vermeintliche Patient als nicht genesend eingestuft wird. Und das kostet natürlich wieder Bestechungsgelder.
Ein anderer Weg ist es, gleich die ganze Kommission, die über den Verleih des Behindertenstatus entscheidet, zu bestechen. Gegen einen entsprechenden Betrag organisieren sogenannte "medizinische Geschäftsmänner" die notwendige Diagnose und den entsprechenden Beschluss.
Wie sich Bestechung in Russland lohnt
Ein Mann, der sich einen gefälschten Behindertenausweis gekauft hat, erzählte den Aktivisten des regierungskritischen Blogs "Adskie Babki", warum er sich für die Bestechung entschieden hat. "Ich bin 36 Jahre alt und bin ehemaliger Sportler. Für 550.000 Rubel habe ich einen Behinderten-Status bekommen", berichtete er. "Ich bekomme sofort meine Rente, auf die ich sonst bis zum 65. Lebensjahr hätte warten müssen. Wenn ich alle Vergünstigungen mit einberechne, beläuft sich meine Rente auf 40.000 Rubel monatlich. Ich werde die Investitionssumme innerhalb eines Jahres wiederhaben. Und ich arbeite natürlich weiter. Außerdem helfe ich Bekannten, ebenfalls einen Behindertenausweis zu bekommen", gestand er schamlos. "Natürlich nicht umsonst."
Aber es ist nicht nur die vorzeitige Rente, auf die es die vermeintlichen Behinderten abgesehen haben. So einige wollen nichts weiter als die Möglichkeit, überall kostenlos parken zu dürfen.
Gefährliche Folgen für kranke Menschen
Die Behörden sind sich der Problematik bewusst. So erklärte der regierende Gouverneur der russischen Republik Dagestan erst vor Kurzem: "Ermittlungen haben gezeigt, dass es bei uns hunderte Menschen gibt, die illegal den Behindertenstatus erlangt haben."
Dabei machen sich die Käufer der Behindertenausweise nicht nur der Bestechung schuldig, sondern erschweren auch das Leben der Menschen, die tatsächlich behindert sind. Denn so manche Ärzte gehen dazu über, nicht nur von den Gesunden Geld für ihre Atteste zu verlangen, sondern auch von den Kranken, die es sich nicht leisten können.