Eine schwarze Katze, die über die Straße sprang, konnte ihn dazu veranlassen, seine Wagenkolonne wenden und nach Bagdad zurückkehren zu lassen. Sogar eine Plastiktüte, die über die Fahrbahn wehte, galt als schlechtes Omen und veranlasste ihn dazu, unverrichteter Dinge umzukehren", berichtet Ala Bashir, einer der Leibärzte, über die Marotten des einstigen irakischen Tyrannen Saddam Hussein.
Jahrelang war er der Dämon schlechthin, das schnauzbärtige Böse aus dem Zweistromland. Man wusste wenig, traute ihm aber alles zu: Massaker und Massenvernichtungswaffen, Größenwahn und kilometerlange Tunnelnetze unter seinen Palästen. Dass er abergläubisch bis zum Exzess war, außer an sich selbst vor allem an Geister glaubte, wird erst langsam bekannt, seit seine Verwandten und ehemaligen Weggefährten mehr und mehr Details über ihn preisgeben.
Wie sich Saddam Hussein, der vermeintlich streng rational vorging und glaubte, die Regeln der großen Politik zu verstehen, bis in den eigenen Untergang verrannte, hat jetzt der oberste US-Waffenfahnder im Irak in seinem 1200-seitigen Abschlussbericht aufgedeckt. Charles Duelfer enthüllt, wie Saddam Hussein den USA den Grund für ihre Invasion lieferte - indem er bluffte, doch noch Massenvernichtungswaffen zu besitzen, obwohl er seit einem Jahrzehnt keine mehr hatte.
Absurdestes Missverständnis der jüngeren Geschichte
Monatelang ist gerätselt worden über dieses teuerste, tödlichste und absurdeste Missverständnis der jüngeren Geschichte. Washington und Saddam haben in gegenseitiger Unkenntnis des anderen einander völlig missverstanden. So liest sich Duelfers Bericht über weite Strecken eher wie der Forschungsbericht eines Therapeuten als die Bestandsaufnahme eines Waffenfahnders. Die Regierenden in Washington, aber auch die CIA konnten sich schlichtweg nicht vorstellen, dass Saddam sich und sein Land ein Dutzend Jahre lang den amerikanischen Sanktionen aussetzte, geschätzte 100 Milliarden US-Dollar Öleinnahmen abschrieb, wenn er nicht wirklich etwas zu verstecken hätte.
Hatte er aber nicht. Der Möchtegern-Nebukadnezar ließ seine Bestände an Nervengas und Biogiften nach dem verlorenen Golfkrieg 1991 vernichten. Als Saddams Schwiegersohn Hussein Kamil, Chef der irakischen Rüstungsprogramme, 1995 nach Jordanien floh und bereitwillig auspackte, fanden die UN-Waffeninspektoren noch Restbestände. Kamil hatte im CIA-Verhör auch damals schon erzählt, dass es keine Programme zum Bau neuer Waffen gebe. Aber Washingtons Regierende glaubten lieber an Saddams Täuschungsmanöver. Er ließ leere Lastwagen umherfahren und machte die Arbeit der UN-Waffeninspektoren durch seine Schikanen zusehends unmöglich, bis sie 1998 abgezogen wurden und der damalige US-Präsident Clinton die Bombardierung Bagdads befahl.
Saddam bluffte, um daheim, vor allem aber beim Erzfeind Iran, die Befürchtung aufrechtzuerhalten, er habe immer noch ein letztes vernichtendes Ass in den Arsenalen. Gleichzeitig aber glaubte er fest daran, dass die USA über seinen Bluff im Bilde seien. Heillos überschätzte er die CIA, dachte, die Spione wüssten mehr als sein eigener Militärapparat - dass nämlich alle Massenvernichtungswaffen zerstört waren. Über die Abrüstung war nie akkurat Buch geführt worden, was die irakischen Unterhändler Anfang 2003 vor die unlösbare Aufgabe stellte, beweisen zu müssen, dass etwas nicht mehr existiert.
Kein einziger Informant im Herrschaftszirkel
Saddam dachte, die CIA hätte überall Spitzel, so wie er ja auch alles und jeden ausspionieren ließ. Weit gefehlt: Wie das Geheimdienstkomitee des US-Senats im Juli 2004 mitteilte, besaß die CIA mindestens in den letzten fünf Jahren vor dem Krieg keinen einzigen Informanten im irakischen Herrschaftszirkel. Saddam hielt viel mehr von der CIA als deren oberster Dienstherr Bush, der sich lieber auf windige Überläufer verließ als auf seinen Geheimdienst.
Darin einander verblüffend ähnlich, wollten Saddam und Bush überall nur das sehen, woran sie ohnehin glaubten. Alles nur Show, dachte Saddam, als Washington seine Streitmacht in Marsch setzte und seine Verbündeten massiv unter Druck setzte, dem Krieg zuzustimmen. Alles nur Tarnung, vermutete US-Präsident Bush, als bei 731 Inspektionen der UN-Fahnder innerhalb von vier Monaten vor der Invasion keinerlei Beweise für Massenvernichtungswaffen auftauchten. Er hielt Saddam nur für noch gerissener, weil es ihm offenbar gelang, sein ganzes mörderisches Arsenal perfekt zu verbergen.
Selbst die irakische Regierung ließ sich täuschen. Der ahnungslose Rüstungsminister Abdeltawab Mullahweisch machte sich in den Monaten vor der US-Invasion große Sorgen, es könnte in seinem Zuständigkeitsbereich Waffen geben, von denen er nichts wisse, nachdem Präsident Bush in seiner Rede vom Januar 2002 Irak ganz oben in der "Achse des Bösen" eingeordnet hatte - "er konnte nicht verstehen, dass die USA derart drohen, wenn sie nicht glasklare Beweise haben", so Charles Duelfer.
Hatten sie nicht. Sie glaubten weit länger als die meisten Iraker an die boshafte Genialität Saddams. Auch als die US-Truppen Saddam nach seinem Sturz suchten, waren sie überzeugt, dass er seinen Aufenthaltsort "alle drei bis vier Stunden" wechsle und "permanent unterwegs" sei, so Vize-Außenminister Richard Armitage. Der Gesuchte habe Zuflucht gefunden bei Arabern, die er rund um Kirkuk ansiedeln ließ, verkündete Kurdenführer Jalal Talabani. Seine Miliz sei ihm auf der Spur.
Am selben Ort, im selben Loch
Saddam Hussein dürfte es gefallen haben, auch nach seinem Sturz allgegenwärtig zu sein. Er war es nicht. Unabhängig voneinander sagten gegenüber dem stern mehrere Vertraute Saddams sowie Eyman Nameq, einer von Saddams Leibwächtern, in ihren Verstecken aus, wo Saddam sich seit seiner Flucht aus Bagdad die allermeiste Zeit aufgehalten hatte: am selben Ort, im selben Loch. "Zusammen mit Raschid Ayyasch, einem seiner loyalsten Offiziere, kam er Mitte April in einem weißen Pick-up bei uns in al-Dur an", erinnerte sich Eyman Nameq. Sein ältester Bruder Qais hatte in Saddams Palastwache gedient, aber als Taucher, und war Jahre zuvor wegen eines Herzleidens in Ruhestand gegangen. Der ideale Konfident: vertrauenswürdig, aber auf keiner Fahndungsliste, außerdem hat er fünf Brüder, die fortan die neue Leibgarde bildeten.
Buchtipp
"In Bagdad zu leben heißt, in Rufnähe des Grauens zu wohnen. Wir leben dort, fünf Millionen Bagdadis leben dort, aber es ist ein gespaltenes Dasein zwischen Moderne und Barbarei, Internetcafés und Stammesfehden, Briefmarkensammlern und Selbstmordattentätern. "Ruman", Granatapfel, steht ebenso für entspannte Nachmittage in den Saftbars der Stadt, wo der frisch gepresste Granatapfelsaft in Bierhumpen ausgeschenkt wird, wie für eine Handgranate. Eine, wie sie der sunnitische Gotteskrieger aus der Tasche zog, bevor er in unser Auto stieg."
Seit 1990 ist stern-Reporter Christoph Reuter immer wieder im Irak gewesen, hat den Krieg dort erlebt und - zusammen mit seiner Co-Autorin Susanne Fischer - von Herbst 2003 bis Mai 2004 in Bagdad gelebt. Ihr Buch "Café Bagdad" erzählt die Geschichten hinter den immer gleichen Schreckensmeldungen, berichtet vom abenteuerlichen Leben irakischer Freunde - und versucht zu erklären, wie dieses einzigartige Land funktioniert. "Café Bagdad. Der ungeheure Alltag im neuen Irak", Bertelsmann, 19,90 Euro.
Der palastlose Ex-Diktator wohnte eine Weile im Haus von Qais, der ihm sogar ein westliches Badezimmer einbaute. Bis die Hütte im familieneigenen Anwesen am Flussufer hergerichtet, das anderthalb Meter tiefe Erdloch gegraben, als preisgünstiges Frühwarnsystem ein Rudel Hunde erworben waren sowie eine Schafherde. Die sollte zum einen den Aufenthalt von Qais und seinen Brüdern auf der Farm begründen und zum anderen Saddams großen Appetit auf Lammfleisch stillen. Denn so aufreibend das Verbergen des Mannes war, so entnervend blieben auch seine Marotten: "Gegessen hat er ganz schön viel", mäkelte Eyman zaghaft: "Morgens Fisch, mittags gegrilltes Lamm, und als er das zu langweilig fand, mussten sie Bananen besorgen, Dosenobst, auch Joghurt. Außerdem wollte er immer diese Bounty-Kokosriegel haben."
Gelegentlich schickte er nach gefüllten Weinblättern und gegrilltem Schafskopf. In Mosul mussten sie Mandeln, in Samarra frische Erdbeeren und Saddams Lieblingsfisch Qatan besorgen, in Bagdad britisches Macintosh-Konfekt und Singvögel, die durch den Wolf gedreht und als Kebab gegrillt wurden. Und Zwiebeln - zum Frühstück, mittags, abends, "wir haben sie säckeweise eingekauft, und dann die Pfannen: Es musste ja unbedingt Teflon sein. So was bekommt man gar nicht in Dur, dafür mussten wir nach Tikrit fahren. Und dann hat er selber immer alles desinfiziert, die ganze Hütte roch nach Desinfektionsmittel!"
Auch wechselte Saddam Hussein nicht, wie die US-Geheimdienste gebetsmühlenhaft wiederholten, alle paar Stunden oder Tage das Quartier - sondern lediglich die Unterhose. Und bestand zum Leidwesen seiner Bewacher meist darauf, keine gewaschenen, sondern stets neue, weiße Boxershorts zu tragen. Wozu war man schließlich Präsident?
Legenden von Saddams Genialität
Selbst noch nach Saddams Festnahme glaubten die US-Militärs an die Legenden von dessen Genialität. Wenn schon keine kilometerlangen Tunnel, keine gigantischen unterirdischen Bunker nach dem Krieg aufgetaucht waren, so vermutete Divisionskommandeur General Raymond Odierno nach Saddams Auftauchen aus dem Loch von al-Dur, dass zumindest der ganze Irak mit solchen Löchern übersät sei. Doch wie klein war die Wirklichkeit: Es gab nur dieses eine Loch. Fachmännisch angelegt von jenem Bruder des Leibwächtersextetts, der die meiste Erfahrung mit Gruben hatte, weil er immer die Fischteiche der Familie aushob, in denen Karpfen gezüchtet wurden.
Die Amerikaner haben Saddams Lügen letztlich fast immer für bare Münze genommen, während Saddam ernsthaft daran glaubte, doch eigentlich ihr bester Verbündeter in der Region sein zu können. Es müsste doch, so Saddams Schlussfolgerung, auch im US-Interesse sein, den Iran in Schach zu halten.
Er hat es ihnen nur nie so klar gesagt. Stattdessen zwang er die Besucher, in Bagdads Raschid-Hotel über ein Fußbodenmosaik zu gehen, das Bush seniors Gesicht zeigt. Saddam verwünschte die "ungläubigen Imperialisten" bei jeder Gelegenheit und war stolz darauf, der letzten Supermacht die Stirn zu bieten. Genauso stolz aber, sagte der Verschmähte im kleinen Kreis, wäre er auch darauf, Washingtons Alliierter zu sein.
Nun sitzt er als ihr bestbewachter Gefangener im "Camp Cropper", einem Gefängnis für die ehemalige Führungsclique nahe des Bagdader Flughafens, und rätselt bis heute, wie die Dinge so fatal schief gehen konnten. Zumal er sicher war, dass die US-Regierung sich niemals die enormen Kosten und Verluste aufhalsen würde, den Irak zu besetzen. In diesem Punkt zumindest dürften viele US-Generäle mittlerweile seiner Meinung sein.