Etwas mehr als zwei Tage ist es her, als Streitkräfte der israelischen Armee nach tagelangen Gefechten das Schifa-Krankenhaus in Gaza erstürmten. Auf Grundlage nachrichtendienstlicher Informationen führe man "eine präzise und gezielte Operation gegen die Hamas aus", hieß es in einer am frühen Mittwochmorgen veröffentlichten Erklärung des Militärs.
Einige Stunden später präsentierten die Streitkräfte erste Videos und Bilder des Einsatzes. Neben einer Drohnenaufnahme, die das nächtliche Eindringen ins Gebäude zeigen soll, zeigten andere Sequenzen, wie Soldaten verschiedene Hilfsgüter in die größte Klinik des Gazastreifens tragen. Was die Welt zunächst nicht zu sehen bekam: Bilder aus dem Inneren des Krankenhauses, von dem nicht nur Israel überzeugt ist, dass es der Hamas als wichtigste, größtenteils unterirdisch errichtete Kommandozentrale dient. Auch der US-Geheimdienst will eigenen Angaben nach über Informationen verfügen, wonach sich auf dem Gelände das Hamas-Hauptquartier befindet. Die Terroristen bestreiten dies.
Israels Armee löschte erstes Video aus Schifa-Krankenhaus
Am Mittwochabend dann legte Israels Armee mit einem knapp siebenminütigen Video nach, auf dem IDF-Sprecher und Oberstleutnant Jonathan Conricus den Zuschauern angeblich gemachte Entdeckungen präsentiert. In den Eingangsszenen ist klar der Schriftzug "Prince Nayef Center for Radiodiagnostics and Radiotherapy“ erkennbar. Der 2004 errichtete Bereich gehört zweifelsfrei zur Klinik. Aufgenommen wurde das Video mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bereits einige Stunden zuvor. Wie ein Beobachter feststellte, ist in einer Szene auf Conricus' Armbanduhr 13:18 Uhr zu erkennen, was für einen Dreh am frühen Mittwochnachmittag spricht. Ungewöhnlich ist die zeitversetzte Ausstrahlung nicht. Und doch: Was offensichtlich die eigenen Vorwürfe einer militärischen Nutzung der Klinik untermauern sollte, stellte sich zumindest in einem Punkt als Bumerang für Israels Armee heraus.
Man werde das Video ohne Schnitte drehen und keine Bearbeitung vornehmen, sagt Conricus, bevor er das Gebäude betritt. Auch im zugehörigen Posting auf X betonte die IDF, es gebe "keine Schnitte, keine Bearbeitung, nur die unbestreitbare Wahrheit“. Kurz darauf wird der Beitrag allerdings gelöscht – und geht einige Zeit später in leicht gekürzter und dann doch bearbeiteter Version neu online.
So ist der Bildschirm eines angeblich entdeckten Hamas-Laptops plötzlich gepixelt, während er in der ersten Version noch unverpixelt gezeigt worden war. Im Original ist auf dem Display ein Foto der israelischen Soldatin Ori Megidish zu erkennen, die Conricus sogar namentlich erwähnt. Warum man den Laptop nachträglich unkenntlich machte und die Passage zu Megidish entfernte, erklärte die Armee nicht.
Auch die Behauptung, dass Video sei ohne Cuts gedreht worden, ist zumindest ungenau. Im Video ist bei Minute 6:27 ganz klar ein Schnitt zu erkennen, als Conricus einen zuvor inspizierten Raum verlässt.
Zweite Waffe extra für TV-Besuch platziert?
Conricus führt die Zuschauer im Verlauf des Videos über Korridore und in verschiedene Räume. Tunnelsysteme oder eine Kommandozentrale zeigt er nicht, stattdessen sind es vor allem – teils angeblich in Verstecken gefundene – Ausrüstungsgegenstände und Waffen, die er präsentiert. Für Conricus nur "die Spitze des Eisberges" von dem, was man noch zu finden glaubt.
Vor allem einer dieser unabhängig zunächst nicht verifizierbaren Waffenfunde jedoch kratzt an der Glaubwürdigkeit des Gezeigten. In einem Raum mit einem MRT-Gerät sagt Conricus an die Zuschauer gewandt: "Wenn Sie mir hinter die Maschine folgen, werden Sie sehen, was unsere Truppen erst vor wenigen Minuten entdeckt haben." Der Oberstleutnant zeigt eine Tasche, in der sich ein AK47-Sturmgewehr samt Munition sowie Granaten und eine Uniform befinde, erklärt er.
Das Problem: Auch Kamerateams des US-Senders Fox News sowie der britischen BBC durften den Raum Stunden später in der Nacht auf Donnerstag in Anwesenheit von Conricus inspizieren. Obwohl sie dabei haargenau an derselben Stelle des IDF-Videos drehten, befinden sich auf ihren Aufnahmen nun auch ein Paar Schuhe und andere Dinge hinter dem MRT-Gerät, die zuvor nicht dort lagen. Allen voran: eine zweite Waffe.


Das markante Gewehr mit kurzem Lauf und grünem Schultergurt ist im IDF-Video vermutlich auch in einem Schrank eines anderen Raums zu sehen. Ferner taucht es auf einem Bild aller Waffenfunde auf, das laut Dateinamen (WhatsApp_Image_2023-11-15_at_17.53.35.jpeg) wahrscheinlich Mittwochnachmittags aufgenommenen wurde. Es ist daher anzunehmen, dass die Waffe nachträglich für den nächtlichen Besuch der TV-Sender im MRT-Raum platziert worden ist. Dies könnte auch für das Paar Schuhe gelten, wie der US-Investigativjournalist Joe Galvin bemerkte.
Israel-Kritiker sehen sich bestätigt
Vor allem Kritiker des israelischen Vorgehens am und im Schifa-Krankenhaus sehen sich nun bestätigt, dass sich die IDF ihre Wahrheit zurechtbiegt, wie sie sie braucht. Dass die Aufnahme – obgleich nicht alle gezeigten Gebäudeteile mangels Vergleichsbildern mit 100 Prozent Sicherheit in der Klinik zu verorten sind – insgesamt betrachtet authentisch wirkt, geht teilweise völlig unter.
Die israelische Armee hat bislang nicht auf die Vorwürfe reagiert. Stattdessen teilte sie am Freitag mit, der Einsatz von Spezialeinheiten auf dem Klinikgelände gehe unverändert weiter. Gewonnene Erkenntnisse würden nun geheimdienstlich ausgewertet, hieß es.
Quellen: Israel Defense Forces / X (Twitter) / Telegram