Sie halten rote Rosen in der Hand und tragen weiße T-Shirts mit der Aufschrift "Heute sind wir alle AUF-Aktivisten". Die jungen Leute strecken Plakate in die Luft auf denen steht: "AUF Norwegen, wir vermissen euch." Zwar ist die die Insel Utoya knapp 2000 Kilometer entfernt vom österreichischen Attersee. Doch sind die Horror-Ereignisse von Norwegen hier so nahe wie sonst kaum. Denn an dem See in der Nähe von Salzburg haben sich rund 3000 Jungsozialisten aus aller Welt zu einem Sommercamp getroffen - vor Alpenpanoramao und bei Sonnenschein. Und das nur wenige Tage nach dem Massaker im Lager der norwegischen AUF-Sozialisten auf Utoya.
Alle zwei bis drei Jahre trifft sich die Sozialistische Jugend (IUSY) zu ihrem "IUSY World Festival". Aus mehr als 100 Ländern kommen politisch interessierte junge Leute zusammen, um über Themen wie den Israel-Palästina-Konflikt oder die soziale Ungleichheit zu sprechen, aber auch um abends am Feuer zusammenzusitzen und zu feiern. Auch in diesem Jahr sollte das Festival am Attersee ein fröhliches einwöchiges Polit-Party-Spektakel werden. Von den norwegischen Junglinken der AUF hatten einige ihr Kommen angesagt, sie wollten direkt von der Insel Utøya nach Österreich aufbrechen. Doch nicht nur ihre Pläne hat Anders Breivik mit seinem Doppelanschlag auf grausame Weise durchkreuzt. "Wir sind absolut geschockt", sagt Johan Hassel, schwedischer IUSY-Generalsekretär zu stern.de.
Frederike Boll leitet die 60-köpfige Delegation aus Nordrhein-Westfalen. Am Montagmorgen sind sie und ihre Kameraden am Attersee angekommen. Hinter ihnen lagen Tage voller Trauer und Diskussionen. "Wir haben uns am Wochenende getroffen, nachdem das Ausmaß der Anschläge klar war", sagt Boll. "Wir wollten unserem Schmerz Raum geben, aber auch überlegen, was das für uns für Konsequenzen hat." Schnell sei aber klar gewesen, erzählt Boll, dass man die Fahrt nach Österreich antreten werde. "Wir wollten das Signal aussenden: Jetzt erst recht. Wir lassen uns von so einem nicht einschüchtern."
Das Camp - "die richtige Reaktion"
Eine Absage des Lagers wäre auch nach Ansicht der Veranstalter die falsche Reaktion gewesen. "Die Tat in Norwegen war eine politisch motivierte Tat. Deshalb ist es enorm wichtig, dass wir zusammenstehen und zeigen, dass wir gegen Gewalt und Rechtsextremismus vorgehen wollen", sagt Generalsekretär Hassel. Zudem hätten ihn seine norwegischen Kameraden darin bestärkt, das Festival nicht abzublasen. Jonas Olson von den dänischen Jungsozialisten kennt die norwegischen Genossen von vielen Treffen, wahrscheinlich auch einige der Todesopfer. "Die Trauer ist natürlich groß, und natürlich waren wir uns unsicher, ob wir nach Österreich fahren sollen. Aber ich habe mit den Norwegern telefoniert. Und sie haben mir gesagt, dass wir an dem Camp teilnehmen sollen, dies sei die richtige Reaktion."
Die Veranstalter mussten aber auf die neue Situation reagieren - mehr Sicherheit als üblich ist angesagt. In Absprache mit der Polizei habe man zusätzliche Maßnahmen getroffen, sagt Hassel. Genauer könne er nicht darauf eingehen. Die österreichische Zeitung "Standard" merkt kritisch an, die rund zwei Meter hohen Gitterzäune um das Lager herum würden, "nicht unbedingt ein Gefühl von Sicherheit" vermitteln. Und außer den Verkehrspolizisten seien keine Männer oder Frauen in Uniform in der Nähe des Camps zu sehen. "Nur Beamte in Zivil durchstreifen das Zeltlager." Die Teilnehmer fühlen sich jedoch sicher, bekräftigt Frederike Boll. "Es gibt wie in den Jahren zuvor Einlasskontrollen und einige Sicherheitskräfte. Das reicht, denn wir wollen nicht hunderte Polizisten um uns herum. Das kann nicht die Antwort auf diese Tat sein."
Eröffnung mit Prominenz
Wie ihre Antwort aussieht, dass haben die Jungsozialisten bereits gezeigt. Die Eröffnungsparty am Montagabend bliesen sie ab, stattdessen gedachten die Teilnehmer mit Kerzen und Fackeln an ihre toten Gesinnungsgenossen. An der Gedenkveranstaltung nahm Österreichs Kanzler Werner Faymann teil. SPD-Chef Sigmar Gabiel war ebenfalls an den Attersee gereist. Bei seiner Rede forderte er die Jungsozialisten in aller Welt auf, sich weiter für ihre Ideale einzusetzen.
Genau das wollen IUSY-Generalsekretär Hassel und Frederike Boll tun. Sie sind sich einig, dass Breiviks Massenmord Signalwirkung haben muss. Hassel: "Die Tat dieses Mannes hatte ja seinen Grund, in ihm stecken rechtsextreme Ideen und Vorstellungen. Und offensichtlich gibt es in Europa noch genug Raum, wo solche rechtsextremen Ideen entstehen können. Dagegen müssen wir kämpfen."
Trotz all der Trauer schaffen es die Jugendlichen am Attersee offensichtlich, sich die Lebensfreunde nicht nehmen zu lassen. Sie schwimmen, lachen, spielen Basketball. Es sieht aus, wie es lange auch auf Utøya ausgesehen hat.