STAATSBESUCH Spott und Häme für das »Genie der Revolution«

Herr Kim ist Diktator. Er kommt aus Nordkorea und ist in Russland per Zug unterwegs. Denn Herr Kim hat Flugangst, geerbt von seinem Vater. Gewohnheiten sind schwer zu ändern. So besuchte Kim den toten Lenin, bevor er Putin traf.

Kein ausländischer Machthaber wurde beim Besuch in Russland bislang mit so viel Spott und Häme überhäuft wie Nordkoreas »Geliebter Führer« Kim Jong Il. In die abfälligen Bemerkungen von Medien über das »Gespenst des Kommunismus«, das mit der Bahn neun Tage lang quer durch das riesige Land nach Moskau fuhr, mischen sich in Russland aber auch Erinnerungen an die eigene Vergangenheit im Stalinismus. Selbst der ansonsten über jeder Kritik stehende Präsident Wladimir Putin blieb, als Gastgeber des Gewaltherrschers aus Nordkorea, in den Medien nicht ungeschoren.

Mit bösen Strichen karikierte das Moskauer Boulevardblatt »Moskwoski Komsomolez« Putin, wie er mit Brot und Salz am Ende eines Schienenstrangs den Gast Kim erwartet: Den Präsidenten scheint nicht zu kümmern, dass unter der Last der Gleise das einfache Volk als Eisenbahnschwellen liegt und ächzt.

Selbst die im Umgang mit der totalitären Sowjetgeschichte wenig einsichtige Regierungszeitung »Rossijskaja Gaseta« konnte sich einen Vergleich Kim Jong Ils mit Stalin nicht verkneifen. Staatsbesuche mit der Bahn seien ein Relikt aus jenen Zeiten, hieß

es. In den Tagen, die Kim tatenlos im Zug verbrachte, habe Putin mit der US-Regierung verhandelt, in der Ukraine die Schwarzmeerflotte besucht und die Staatschefs der früheren Sowjetrepubliken getroffen, schrieb die Zeitung in ihrer Wochenendausgabe.

Von totalitärer Ideologie abgerückt

Die Reaktionen auf den ranghohen Besuch aus dem einstigen Bruderland zehn Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion zeigen, wie weit die meisten Russen von kommunistischer Ideologie und totalitärer Herrschaft abgerückt sind. Die Orientierung in Richtung Westen ist eindeutig. Dass Kim sich als enger Verbündeter Putins in dessen Widerstand gegen die Raketenabwehrpläne der USA präsentiert, scheint in Moskau niemandem zu imponieren.

In Anlehnung an das Kommunistische Manifest von Karl Marx verulkte die Zeitung »Iswestija« Kim als »das Gespenst des Kommunismus«. Der sonderbare Besuch des Staatsführers sei eine Herausforderung für das neue Russland. »Er zwingt uns zurückzublicken und zugleich über unsere eigene Zukunft nachzudenken«, kommentierte die Zeitung. Kim sei »der Spiegel, in dem wir uns selbst sehen«.

Kalte Schulter

Im Gegensatz zu den jubelnden Menschen in Pjöngjang beim Putin-Besuch vor einem Jahr zeigten die Moskauer Kim die kalte Schulter. »Ist doch egal, ob uns ein Führer der Tschetschenen oder der Nordkoreaner besucht«, ließ der Fernsehsender NTW einen verärgerten Mann zu Wort kommen. Der Moskauer hatte stundenlang auf dem abgesperrten Bahnhof warten müssen, an dem Kims Sonderzug nach neun Tagen und mehr als 9000 Kilometern Fahrt eintraf.

Immerhin ließen sich im breiten politischen Spektrum Russlands auch Anhänger des stalinistischen Machthabers finden. »Von Kim Jong Il können wir lernen, wie man als unabhängige Nation überlebt«, sagte der Politiker Wladimir Schirinowski. Für den Ultranationalisten zählt nur der gemeinsame Hass auf die Amerikaner: »Einen ebenso warmherzigen Empfang in Moskau können sonst nur Fidel Castro, Muammar el Gaddafi und Saddam Hussein erwarten«, tönte der stellvertretende Vorsitzende der russischen Staatsduma.

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