Die USA haben sich schon mehrmals das Recht auf einen Militärschlag gegen ein feindlich gesinntes Land genommen. In Panama zum Beispiel, in Libyen, zuletzt in Afghanistan. US-Präsident George W. Bush hat aber erstmals das Recht auf einen Präventivschlag zum zentralen Punkt der außenpolitischen Doktrin erhoben. Inmitten der Vorbereitungen für einen Angriff auf Irak wächst auch in den USA die Kritik an Bushs Linie.
Seine Gegner argumentieren, andere Nuklearmächte könnten sich gleichfalls zum Erstschlag legitimiert sehen. "Wenn wir präventiv handeln, könnten sich Indien und Pakistan ebenso entscheiden, einen Präventivschlag gegen den feindlichen Nachbarn zu unternehmen", sagt Senator Joseph Biden, ein früherer Vorsitzender des Senatskomitees für auswärtige Beziehungen. "Wir können andere Länder ja zwingen, bestimmte Dinge zu tun. Aber es hängt davon ab, wie wir es tun."
Leise Töne sind des Präsidenten Sache nicht. Vergangene Woche drohte er Irak, für Diplomatie blieben nur noch "Wochen, nicht Monate". Deutlich wurde der Politikwechsel der amerikanischen Regierung in einem Kongressbericht Bushs vom September vergangenen Jahres. "Angesichts der Ziele von Schurkenstaaten und Terroristen können die USA nicht mehr wie in der Vergangenheit reagieren", schrieb der Präsident. "Wir können unsere Feinde nicht zuerst schlagen lassen."
Die konsequente Verfolgung der Strategie wurde im vergangenen Herbst von Nordkorea in Frage gestellt, das sein Atomprogramm wieder aufnahm. Ungeachtet der Kriegsdrohungen gegen Irak werde man mit Pjöngjang auf diplomatischem Wege verhandeln, teilte die US-Regierung mit. Dabei stellt Nordkorea aus Sicht vieler Amerikaner eine weit größere Bedrohung für die eigenen Soldaten und Interessen dar.
Sandy Berger, Sicherheitsberater von Bushs Vorgänger Bill Clinton, meint, der nordkoreanische Präsident werde sich ins Fäustchen lachen. "Kim Jong Il wird sich sagen, dass sich Saddam Hussein die Atomwaffen einfach nicht rechtzeitig besorgt hat." Die Politik von Bush sei "durcheinander und konfus", die Prävention zur wichtigsten strategischen Doktrin erhoben zu haben "ein Fehler".
"Wenn ein Staat für sich alleine handelt, riskiert er Konsequenzen", warnt der kanadische Außenminister, Bill Graham, vor einem Alleingang Bushs gegen Irak ohne Mandat der Vereinten Nationen. Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter, sagt, dass Schlimmste sei "die Bestrafung Iraks wegen Missachtung der UN, wobei wir selbst die UN missachten. Und während dessen wird nichts gegen Nordkorea unternommen."
"Das Risiko ist groß"
Ins selbe Horn stößt Michel Flournoy, einflussreicher Politikberater vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington. Ein präventiver Schlag wäre höchstens bei einer "akuten und diplomatisch unabwendbaren Bedrohung" gerechtfertigt. Das sei jedoch nicht gegeben. "Das Risiko ist groß, dass wir einen Irak-Krieg militärisch gewinnen, aber der Frieden danach viel größere Probleme macht." Nicht zuletzt wegen der starken Zunahme von Antiamerikanismus in der ganzen Welt.