Schwaden von Tränengas wehen durch die Straßen Athens. Beißend legt sich der Geschmack auf die Zunge, die Augen brennen. Auch wenn man noch weit vom Stadtzentrum entfernt ist. Die meisten Geschäfte haben ihre Schaufenster mit schweren Gittern verrammelt, auf den Bürgersteigen türmen sich Berge von Abfall. Fast zwei Wochen ist es jetzt her, dass die Müllabfuhr ihre Arbeit eingestellt hat. An den Straßenecken stehen Polizisten. Sie wirken nervös. Mit ihren schweren Westen, Helmen, Schulter- und Armschützern sehen sie aus als würden sie einen Krieg erwarten.
Es ist Tag zwei des größten Generalstreiks in Griechenland seit Ausbruch der Krise. "Mutter aller Streiks", schreiben die Zeitungen. Es fahren keine Busse und keine Taxen, die Kliniken arbeiten im Notbetrieb, die meisten Apotheken sind geschlossen, selbst die Zeitungskioske haben dichtgemacht. Im Parlament debattieren derweil die Abgeordneten über das nächste Sparpaket der Regierung. Es sieht weitere Kürzungen bei den Sozialleistungen vor und soll die Möglichkeit eröffnen, Beamte zu entlassen. Die Maßnahmen sind eine Forderung der beim griechischen Volk so verhassten Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds.
Parolen gegen Merkel
Seit dem frühen Morgen strömen ununterbrochen Demonstranten auf den Syntagma-Platz vor dem Parlament. Sie sind für den Kampf gerüstet, für eine weitere Schlacht in Athens Straßen, wie sie bereits am gestrigen Mittwoch tobte. Fast alle haben sich Tücher vor Mund und Nase gebunden, viele tragen professionelle Atemschutzmasken, dazu Schwimm- oder Skibrillen - das beste Mittel gegen Tränengas. Niemand weiß genau wie viele Menschen es sind. Die Polizei spricht von einigen Zehntausend. Über Hunderttausend sagen die Demonstranten.
Ihre Plakate mit Parolen gegen die EU, gegen Deutschland, Angela Merkel und die eigene Regierung sind nicht an einfachen Stangen befestigt, sondern an Knüppeln dick wie Baseballschläger, auch sofort als Waffe einsetzbar. Die ganze Zeit schwebt ein Hubschrauber des Privatsenders Sky in der Luft und überträgt live. Die Spannung ist zum ist zum Greifen. Jeder scheint bereit, von einer Sekunde auf die andere die Flucht zu ergreifen. Oder zum Angriff überzugehen.
Athen – eine Stadt im Bürgerkrieg
Immer wieder fliegen Molotowcocktails auf die Polizisten. Und die antworten mit Tränengasgranaten. Wer von einer vollen Dosis erwischt wird, dem helfen auch Maske und Schwimmbrille nicht, sondern nur noch Wasser. Einwanderer aus Afrika haben sich deshalb unter die Demonstranten gemischt. Sie schieben Einkaufswagen vollgepackt mit Flaschen vor sich her und verkaufen das Stück für zwei Euro. Manche haben ihr Angebot kurzfristig noch um Griechenlandfahnen erweitert. Das Geschäft läuft gut.
Am späten Nachmittag eskaliert die Situation endgültig. Autonome und Kommunisten gehen aufeinander los. Ein 53-jähriger Mann wird von einem Stein am Kopf getroffen und stirbt wenig später in einer Klinik an Herzinfarkt. Wer in friedlicher Absicht protestieren wollte, hat längst die Flucht ergriffen. Randalierer liefern sich nun Schlägereien mit der Polizei. Rund ums Parlament brennen Müllberge. Der Rauch steigt als dunkle Säule in den Himmel. Athen ist nun eine Stadt im Bürgerkrieg.