In der Griechenland-Krise steht nicht nur für Ministerpräsident Alexis Tsipras viel auf dem Spiel - sondern auch für die Kanzlerin. Für den Griechen geht es um finanziellen, für Angela Merkel um politischen Kredit. Und den könnte sie verspielen, wenn sie weiterhin etliche Nachtstunden in ergebnislosen Gipfel-Gesprächen mit François Hollande und Alexis Tsipras vergeudet.
Vergangene Nacht wieder ein Déjà-vu: Die Dreier-Runde beschloss die Gespräche zu intensivieren - na das ist ja ein Ding! Es war die fünfte Begegnung zwischen dem griechischen Regierungschef und der Kanzlerin. Und der schon unfreiwillig komische Tweet von Regierungssprecher Steffen Seibert um 9 Minuten nach Mitternacht legte offen, dass auch diesmal kein Ergebnis in Sicht war:
Angela Merkel hat die Verhandlungen mit Tsipras an sich gezogen und damit ihr politisches Kapital in den Griechenland-Poker eingebracht. Das ist riskant. Mit der Merkel-Binse "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg" lässt sich das Spiel jedenfalls nicht gewinnen.
Den ersten politischen Sieg hat im Übrigen Tsipras eingeheimst - auch auf Kosten der Kanzlerin: Er hat es geschafft, dass die Probleme seines Landes auf höchster Ebene diskutiert werden, und das war seit dem Syriza-Wahlsieg sein erklärtes Ziel. Keine kleinlichen Zahlenschiebereien bitteschön, sondern ein großer politischer Wurf, der am besten gleich die gesamte europäische Politik umkrempelt.
Finanzminister raus
Normalerweise laufen die Verhandlungen zwischen der Troika und den Griechen auf der Ebene der Euro-Working-Group. Dort rechnen politische Spitzenbeamte aller Seiten, wie der nah an der Zahlungsunfähigkeit taumelnde Staat seine Schulden in der Zukunft tragen könnte. Die Ergebnisse werden dann auf Staatssekretär-Ebene diskutiert und schließlich den 19 Finanzministern der Eurogruppe vorgelegt. Diese Runde entscheidet, ob innerhalb des am 30. Juni auslaufenden zweiten Hilfsprogramms die ausstehenden 7,2 Milliarden ausgezahlt werden können. Soweit das übliche Prozedere.
Nun aber beobachten Wolfgang Schäuble und seine Kollegen argwöhnisch bis angesäuert, wie Europas Chef-Duo Merkel und Hollande direkt mit Tsipras in den Ring steigt. Das Beiseiteschieben der Fachminister kann sinnvoll sein, wenn ein Kompromiss nur noch auf dem Level der Regierungschefs erreichbar ist. Normalerweise wird aber auch so ein Spitzengespräch von den engsten Beratern vorsondiert, um den Prestigeverlust eines Scheiterns zu vermeiden. Das ist - keine Überraschung - im Fall Griechenland misslungen.
Vorteil Tsipras
Tsipras hat genau hingehört, als Merkel mehrmals gesagt hat, Griechenland unbedingt in der Eurozone halten zu wollen. Damit - so richtig das Ziel auch ist - hat sie die Verhandlungsposition der Griechen deutlich gestärkt. Es war eine frohe Botschaft für Tsipras, die allerdings andere europäische Politiker beispielsweise in Spanien, Portugal, Irland und Finnland schwer irritiert hat. Sie fühlen sich an die Seite gedrängt. "Dann soll sie das doch alleine machen", trotzte ein Mitarbeiter eines Finanzministers und gab damit die Stimmung seines Chefs wieder.
Union murrt
Merkel geht also volles Risiko. Die bröckelnde Unterstüzung in der Unionsfraktion beim Thema Griechenland nimmt sie ebenfalls in Kauf. Am 28. Juni endet die Sitzungsperiode des Deutschen Bundestages. Bis dahin muss das Parlament über die Auszahlung der restlichen Finanzhilfen aus dem Hilfsprogramm abstimmen - von einem dritten Programm im Umfang von rund 30 Milliarden Euro, das Athen dringend zum Überleben benötigt, noch gar nicht zu reden. Auch eine Verlängerung des zweiten Programms bis März 2016, die Tsipras bei jedem Gespräch auf der Agenda hat, müsste der Bundestag beschließen. Der Haushaltsausschuss alleine kann darüber nicht befinden. Die Regierungsmehrheit dürfte zwar ungefährdet sein, aber die Zeit ist knapp. Scheitert Merkel an dem geschickt agierenden Tsipras, müsste sie ihre erste große politische Niederlage einstecken.
Es spricht ja für die Kanzlerin, dass sie sich persönlich ins Zeug wirft, dass sie alles auf Ihre persönliche Karte setzt. Und sie hat schon so manche Gipfelnacht in den vergangenen Jahren mit Erfolg gekrönt. Aber wie immer dieser Poker endet - sie wird dafür einen großen Teil der Verantwortung tragen. Eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands wäre dann auch ihre Pleite.