Die ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes hat die russischen Streitkräfte offenbar völlig überstürzt fliehen lassen. "Sie ließen ihre Gewehre einfach auf den Boden fallen", berichten Bewohner von Salisnytschne in der Oblast Saporischschja in der "Washington Post". Die Hälfte der Soldaten sei in den ersten Stunden der Offensive in ihren Fahrzeugen geflüchtet. Die Zurückgebliebenen seien immer verzweifelter geworden. Einige Dorfbewohner hörten der Zeitung zufolge, wie sie über Funk die Kommandeure ihrer Einheiten gebeten hätten, sie abzuholen. Die Kommandeure hätten das jedoch abgelehnt.
Ukraine erobert russische Panzer und Ausrüstung
"Sie sagten: 'Ihr seid auf euch allein gestellt'", schildert die Anwohnerin Olena Matvienko in dem Blatt die Geschehnisse. Die Soldaten hätten sich daraufhin Fahrzeuge und Zivilkleidung besorgt, um auf eigene Faust zu fliehen. "Sie kamen in unsere Häuser, um uns die Kleidung wegzunehmen, damit die Drohnen sie nicht in Uniformen sehen konnten. Sie nahmen unsere Fahrräder mit. Zwei von ihnen richteten Waffen auf meinen Ex-Mann, bis er ihnen seine Autoschlüssel übergab."
Ähnliches berichtet die "Financial Times": Die Kremltruppen im Südosten von Charkiw hätten bereits kurz vor der Panik gestanden, schreibt die Zeitung. Viele hatten es demnach so eilig, dass die Mahlzeiten noch auf den Kantinentischen standen und Kisten mit wertvoller Munition und anderen Waffen in der Nähe der Schützengräben liegen geblieben waren. "Sie ließen ihre Panzer und ihre Ausrüstung zurück. [...] Sie haben sich sogar Fahrräder geschnappt, um zu fliehen. [...] Sie sind geflohen wie olympische Sprinter", zitiert die Zeitung Petro Kuzyk, Kommandeur in der ukrainischen Nationalgarde, der an der Offensive beteiligt ist.
Bei der Rückeroberung der strategisch wichtigen Kleinstadt Isjum 140 Kilometer südöstlich von Charkiw hätten die ukrainischen Streitkräfte von den russischen Einheiten "ihr gesamtes Waffenarsenal entlang der Isjum-Achse erbeutet", sagte Kuzan. "Die Russen sind waffentechnisch im Vorteil, aber die Schnelligkeit unserer Truppen hat es ihnen nicht erlaubt, diesen Vorteil auszunutzen." Journalisten der Nachrichtenagentur AFP bestätigten, dass die Kremltruppen ihre Aurüstung zurückließen.
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Mehrere vom US-Sender CNN analysierte und verifizierte Videos sowie lokale Berichte zeigen einen chaotischen Rückzug russischer Einheiten, bei dem große Mengen an Munition und Ausrüstung zurückgeblieben seien.
Die ukrainische Armee konnte in den vergangenen Tagen erhebliche Geländegewinne erzielen und mehrere strategisch wichtige Ortschaften zurückerobern. Vor allem in den Regionen Charkiw und Donezk komme die Gegenoffensive gegen die Truppen von Russlands Präsident Wladimir Putin und seinen Verbündeten weiter voran, teilte Kiew am Montag in seinem morgendlichen Lagebericht mit. Der russische Generalstab räumte den weitestgehenden Rückzug aus dem Gebiet Charkiw ein, bezeichnete diesen aber als "Umgruppierung" zur Verstärkung der Einheiten im Donezker Gebiet.
Quellen: "Washington Post", "Financial Times", CNN, Associated Press