Auf den ersten Blick könnte mann Alexej Schurawljow für einen fast perfekten Poliker-Prototypus halten. Ebenmäßige gerade Gesichtszüge, gepflegter grauer Bart, maßgeschneiderte Anzüge. Doch macht Schurawljow den Mund auf, verfliegt dieser trügerische Eindruck mit dem ersten ausgesprochenen Wort. Der Vorsitzende der nationalistischen Partei Rodina (Heimat) ist in den russischen Propaganda-Talk-Runden Dauergast.
Der Duma-Abgeordnete haut eine bizarre Äußerung nach der anderen raus. Die Bandbreite der Geschmacklosigkeiten, zu denen er sich versteigt, ist unermesslich. Mal fordert er die "Vernichtung" von zwei Millionen Ukrainern, die in seinem wirren Kopf bereit sind, die "SS wieder auferstehen zu lassen". Mal schwadroniert er über Schildkröten, die in dänischen Bordellen vergewaltigt werden, was ihm den Spitznamen Mister "Schildkröten-Bordell" einbrachte.
Seit dem Tod von Wladimir Schirinowski im vergangenen April, der als der Hof-Narr des Kremls verschrien war, gibt Schurawljow alles, um diesen vakanten Platz einzunehmen.
In einer stundenlangen Propaganda-Sendung auf dem Sender Rossija 1 demonstriert er nun aufs Neue, was einem russischen Ultra-Putinisten Freudenrufe entlockt: das Leid anderer.
Ein frierendes Deutschland versetzt die Propaganda in Ekstase
Zunächst erging er sich in Schadenfreude wegen den gestoppten Gaslieferungen an Deutschland. Seit vergangenem Montag wird durch Nord Stream 1 wegen Wartungsarbeiten kein Gas mehr geliefert. Die Arbeiten sollen bis zum 21. Juli dauern. "Ich will Gasprom sagen: Hier müssen wir mit Vorsicht herangehen. Das ist ein feindliches Land. Da muss man alles genau checken, ganz ohne Eile", erklärt er mit offensichtlicher Häme. "Vielleicht drei oder vier Monate lang. Zu Silvester können wir den Hahn dann wieder aufdrehen."
Ein fierendes Europa – diese Vorstellung versetzt die Kreml-Propagandisten seit Monaten in wahre Ekstase. Schurawljow ist keine Ausnahme. "Sie können sich nicht mehr waschen, nicht mehr heizen, und müssen bei Nahrungsmitteln sparen", zählt er an Fingern auf. Der Moderator der Sendung und ebenfalls Duma-Abgeordneter Ewgenij Popow setzt zufrieden hinzu: "Dort werden bereits Einschränkungen für Warmwasser und den Gas-Verbrauch eingeführt", frohlockt der Talk-Master, der seit 2016 den Zuschauern eintrichtert, wie verkommen der Westen, wie bösartig die unabhängige Ukraine und wie gesegnet Russland unter Putin sei – und das jeden Tag. Mehr über Popow erfahren Sie hier.
"Wenn du gegessen, dich gewaschen, es in deinem Haus warm ist, dann bist du als Russe geboren worden. Dann hast du Glück mit deinem Land gehabt", erklärt Schurawljow unterdessen in Versen seinen Landsleuten.
29 Prozent der Russen haben keinen Gasanschluss
Ob seine Landleute ihr Glück zu schätzen wissen? Wo doch in vielen Regionen Russlands die Menschen nur von einem Gasanschluss träumen können. Nach offiziellen Angaben des russischen Föderationsrates haben 29 Prozent der russischen Bürger keinen Zugang zu Gas. Das heißt: Sie haben kein Warmwasser und müssen ihre Häuser mit kleinen Öfen beheizen – mit Kohle oder Holz. In manchen Regionen kennt nur ein Bruchteil der Bevölkerung die Freuden eines Gasanschlusses. In der Altai-Region waren es zu Beginn des Jahres 2021 nur 13,1 Prozent, klagte im vergangenen Jahr der Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des Föderationsrates.
Erst vor kurzem zeigte sich Wladimir Putin ganz erstaunt darüber, wie viele Schulen in Russland nicht an das Gasnetz angeschlossen sind. "In unserem Land haben leider noch viele Schulen keinen Gasanschluss. Ich habe mir die Dokumente angesehen: Ehrlich gesagt war ich sogar sehr überrascht – es sind sehr viele", sagte der Präsident, der seit 22 Jahren das besagte Land regiert.
Doch was kümmert es die Propagandisten von dem Kaliber eines Schurawljow oder Popow, dass russische Schüler in eiskalten Klassenzimmern bibbern müssen; oder dass Rentner nur mit Holzkohle durch den russischen Winter kommen; oder dass ihr Präsident, nach mehr als 20 Jahren öffentlich zugibt, dass er keine Ahnung von den Zuständen in seinem Reich hat.
Hauptsache Europa friert. Und die Ukraine stirbt aus: Die Vorstellung, dass es in dem von Russland zerstörten Land bald niemanden mehr geben würde, der die westlichen Kredite zurückzahlen könnte, beschert Schurawljow einen regelrechten Lachanfall, bei dem er sein rundum erneuertes Gebiss vorzeigt. Auch das Schicksal von Millionen von ukrainischen Flüchtlingen amüsiert den Politiker sichtlich – und den Moderator Popow.
Der strahlt vor Schadenfreude, als er sich über die angeblichen Familienprobleme, die auf die Europäer zukommen würden, lustig macht. Weil die Ukrainerinnen Jagd auf Ehemänner europäischer Frauen machen würden. "Warum lässt Großbritannien sie nicht ins Land? Weil sie alle Männer stehlen werden. Da habe ich gar keine Zweifel", lacht Schurawljow.
Der Mann, der vorgibt den Westen mit jeder Faser seines Körpers zu hassen, hat aber so gar nichts gegen die Annehmlichkeiten aus Europa und dem "feindlichen" Deutschland einzuwenden. Erst kürzlich machte er mit einem Unfall Schlagzeilen. Der 59-Jährige war mit einem Motorrad unterwegs und verlor die Kontrolle, was zum Umkippen des Fahrzeugs führte. Es war ein BMW S1000RR.
"Goldene Elite Russlands": Diese Kreml-Kinder ziehen den "verwesenden Westen" Russland vor

Lesen Sie auch:
- Das Who's who der Putin-Propagandisten: Wer bald Russland mitregieren wird
- Einst gewann er einen Oscar – heute erfindet dieser Mann Nazis für Putin
- Die italienischen Villen des patriotischsten aller Patrioten Putins
- Neuer Feind, alte Mär – oder die homosexuellen wundersamen Elfen-Bataillone der Ukraine