Die Kreml-Propaganda hat wieder eine Woche ungeahnter Tiefen hinter sich. Der tschetschenische Führer Ramsan Kadyrow zog in einen heiligen Kampf gegen "Ukra-Nazisten" – auf den sicheren Gefilden von TikTok. Der Chef-Propagandist Dmitri Kisseljow präsentierte einen "Kampf-Päderasten" der ukrainischen Terrorabwehr – der bereitwillig erzählte, wie er seinem Kompaniechef zu Diensten sein musste. Und die Gift-Spritze Wladimir Solowjow weinte seinen verlorenen italienischen Villen nach.
Ein noch größeres Geheul stimmte jedoch Mikita Michalkow an. Einst war er ein gefeierte Regisseur, gewann bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes für seinen Film "Die Sonne, die uns täuscht" den Großen Preis der Jury, 1995 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Mit der antistalinistischen Parabel feierte Michalkow einen der größten Erfolge des zeitgenössischen russischen Kinos.
Doch die Zeiten, in denen der legendäre Regisseur Kritik an der Führung in Moskau übte, sind längst vorbei. Heute ist er einer der treuesten Putin-Anhänger und wirft sich mit Innbrunst für ihn den Propaganda-Kampf. Eingehüllt in eine gemütliche Strickjacke, einen eleganten Schal um den Hals, im Hintergrund eine Wand voller orthodoxer Ikonen – in der Aufmachung eines liebenswerten Professors erklärt der 76-Jährige in seiner Sendung "BessogonTV" seinen Zuschauern, wie die Welt funktioniert.
Im Dienst der Kreml-Propaganda
Wie die Welt zu funktioniert hat, wird vom Kreml diktiert. Und Michalkow schmückt sie gerne mit der Fantasie eines herausragenden Regisseurs aus. Da wird auch den führenden europäischen Politikern ein Nazi-Stammbaum angedichtet. In der letzten Ausgabe seiner Sendung nahm sich Michalkow der Ahnen gleich dreier Männer an: Olaf Scholz, Andrzej Duda und Klaus Martin Schwab.
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Im vollen Brustton der Überzeugung widmete sich der gemütliche Mann mit dem Schnurrbart zunächst dem Vater von Schwab. Dieser ist deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Gründer und geschäftsführender Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums in Davos. Sein Vater Eugen Schwab sei jedoch ein Nazi gewesen, dessen Firma unter einer "besonderen Schirmherrschaft" Hitlers gestanden habe.
Ein Foto, das einen Mann in einer Nazi-Uniform zeigt, dient Michalkow als einziger Beweis. Nur dass die Aufnahme nicht Eugen Schwab zeigt, sondern höchstwahrscheinlich Walter Dybilasz, einen Generalmajor der deutschen Wehrmacht. In der Datenbank des spezialisierten Forums "Wehrmacht Awards" taucht das Bild bereits im Jahr 2010 auf. Der Mann auf dem Bild wird dort als Walter Dybilasz identifiziert.
Michalkow unter den Verschwörungserzählern
Am 24. Mai 2022 verbreitete jedoch ein User unter dem Pseudonym Pacmanpill auf Reddit das Bild – mit der Behauptung, es handele sich um den Vater von Klaus Schwab. Es folgte eine Lawine von Tweets, Facebook-Posts und Blogartikeln, die diese haltlose Geschichte weiterverbreiteten.
Irgendwo muss auch Michalkow auf diese Verschwörungserzählung gestoßen sein – und sie nur zu gerne geglaubt haben.
Dass die Person auf dem Bild eindeutig nicht Eugen Schwab, der Vater von Klaus Schwab, ist, zeigt ein Vergleich mit einem Foto von ihm. Ein Foto eines brasilianischen Einwanderungsdokuments zeigt, wie Eugen Wilhelm Schwab im Jahr 1957 ausgesehen hat.

Die Behauptung, Klaus Schwabs Vater sei ein Nationalsozialist gewesen, ist nicht neu. Welche Einstellung er zum Nazi-Regime hatte, lässt sich zwar nicht restlos klären, es gibt jedoch keine Belege dafür, dass er ein hohes Amt innehatte oder ein Vertrauter von Hitler war.
Ein Nazi-Großvater für Olaf Scholz
Doch Michalkow braucht keine Belege. Er spinnt sein Nazi-Märchen einfach weiter und dichtet auch Olaf Scholz einen Nazi-Großvater an. Der Bundeskanzler soll der Enkel des SS-Gruppenführers Fritz Scholz sein. Dieses Mal präsentiert Michalkow sogar ein echtes Bild von Fritz Scholz – nur das dieser Mann nichts mit der Familie von Olaf Scholz zu tun hat. Er starb 1944 im Kampf gegen die Sowjetunion bei Narwa in Estland und hinterließ keine Kinder.
Polnischer Präsident bekommt auch einen neuen Großvater
Aber Michalkow ist an dieser Stelle noch nicht fertig. Auch der Präsident von Polen, Andrzej Duda, bekommt einen Großvater angedichtet. Der "enge Freund" des ukrainischen Präsidenten Selenskyj soll der Enkel von Michail Duda sein, eines ukrainischen Nationalisten und "guten Freundes" des in Russland verhassten nationalistischen ukrainischen Politikers und Partisanenführers Stepan Bandera.
Doch das Einzige, was Michail Duda mit Andrzej Duda gemeinsam hat, ist der Nachname. Aber an solchen Kleinigkeiten stört sich Michalkow nicht. Lieber ergeht er sich angesichts einer Umarmung der beiden Staatschefs in der Fantasie, Duda wolle Selenskyj "in seiner Umarmung erdrosseln". Diese Geste könnte man auch "als den Wunsch interpretieren, den Juden Selenskyj" zu erwürgen.
Doch solche Meisterleistungen einer kranken Fantasie weiß man im Kreml zu schätzen. Am 12. Juni zeichnete Putin Michalkow höchstpersönlich als "Held der Arbeit" aus.
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