Wladimir Putin und seine Getreuen werden nicht müde zu betonen, dass Russland gar nicht allein in der Welt dasteht. Alles Hetze und Lügen aus dem Westen. Man habe viele treue Freunde und Verbündete, schwadroniert mal Außenminister Lawrow, mal Kreml-Sprecher Peskow, mal der Oberbefehlshaber Wladimir Putin persönlich. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg wurden sie aber alle Lügen gestraft. Als größte Stars der Veranstaltung, die einstmals als "Russische Davos" galt, entpuppten sich eine große Delegation der afghanischen Taliban und der russische King of Pop Filipp Kirkorow. Wie der schrille Künstler die größten Wirtschaftsköpfe dieser Welt ersetzten sollte, konnte aber auch selbst die wildeste Kreml-Propaganda nicht erklären.
Als einziger Staatschef stattete Kasachstans frisch gebackener Machthaber Kassym-Schomart Tokajew seinem russischen Kollegen Putin einen Besuch ab. Erst Anfang dieses Jahres hatte er seinen Vorgänger und 30-jährigen Herrscher Kasachstans Nursultan Nasarbajew gestürzt. Mit Hilfe Putins und seiner Truppen gelang ihm die Machtübernahme. Nun zeigte Tokajew, wo die Grenzen der Freundschaft zwischen Russland und Kasachstan liegen.
Als Ehrengast nahm Tokajew auf dem Podium neben Putin Platz und beantwortete Fragen der Diskussionsmoderatorin Margarita Simonjan, der Chefredakteurin des Propaganda-Senders RT. Wie Kasachstan zu der sogenannten "Sonderoperation in der Ukraine" stehe, wollte sie wissen. Die Antwort fiel ernüchternd aus. "Es gibt verschiedene Meinungen, wir sind eine offene Gesellschaft", entgegnete Tokajew. Kasachstan werde zudem die Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine nicht als selbstständige Staaten anerkennen.
"Dies ist eine ehrliche Antwort"
In Bezug auf die separatistischen Republiken stellte er fest, dass die beiden Hauptprinzipien der UN-Charta – das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und die territoriale Integrität der Staaten – miteinander in Konflikt geraten seien. Das von der UN verbriefte Recht auf Selbstbestimmung kollidiere mit dem Recht von Staaten auf territoriale Unversehrtheit.
"Es wurde berechnet, dass, wenn das Selbstbestimmungsrecht einer Nation auf der ganzen Welt realisiert werden würde, es statt 193 Staaten, die jetzt Mitglieder der UNO sind, 500 oder 600 Staaten auf der Erde geben würde. Das würde natürlich zu Chaos führen. Deshalb erkennen wir weder Taiwan noch das Kosovo noch Abchasien oder Süd-Ossetien an. Und dieses Prinzip gilt offensichtlich auch für solche pseudo-staatlichen Gebilde, wie Donezk und Luhansk es in unseren Augen sind", erklärte der Tokajew. "Dies ist eine ehrliche Antwort auf Ihre ehrliche Frage."
Wladimir Putin muss einstecken
Diesen Hieb ließ Putin auf sich sitzen. Weder kommentierte er Tokajews Äußerungen noch erwiderte er etwas. Mag sein, dass der Kreml-Chef zu perplex war. Mag sein, dass er mit einer Antwort Tokajew nicht noch mehr Aufmerksamkeit bescheren wollte. Mag auch sein, dass dieses Statement die Bedingung für das Erscheinen Tokajews bei dem Wirtschaftsforum war. Schließlich erschien kein einziger anderer Staatenlenker – von all den Freunden und Verbündeten, von denen Putin so gerne erzählt.
Nur wenige Augenblicke zuvor hatte Putin auf demselben Podium erklärt, dass die von ihm anerkannten Separatisten-Republiken die ukrainische Regierung nicht um "Erlaubnis" hätten bitten müssen, um ihre Unabhängigkeit zu erklären.
Zusammenarbeit statt Selbstisolation
Tokajew widersprach Putin aber auch noch in anderen Punkten. Auf eine Frage zur Importsubstitution, zu denen Russland nun gezwungen ist, antwortete der Staatschef, dass dies in der modernen Welt weitgehend unmöglich sei. Kasachstan sei für internationale Zusammenarbeit und gegen Selbstisolation. Auch diesen Hieb musste Putin einstecken.
Seiner Bevölkerung lässt Putin nur allzu gerne eintrichtern, dass die Sanktionen die russische Wirtschaft nur stärken. Man werde schon alles mit eigenen Produkten ersetzten, die viel besser seien als die Originale aus dem Westen – so das ständige Narrativ aus dem Kreml.
Tokajew lehnt russischen Orden ab
Der nächste Hieb gegen Putin folgte am Tag nach dem gemeinsamen Auftritt auf dem Wirtschaftsforum. Tokajew weigerte sich, den russischen Alexander-Newski-Orden anzunehmen, den Moskau ihm angeboten hatte. Sein Pressedienst teilte mit, er habe beschlossen, während seiner Amtszeit keine Auszeichnungen entgegenzunehmen, so die offizielle Begründung.
Der Alexander-Newski-Orden wird ausländischen Politikern für ihre Verdienste um die Entwicklung der multilateralen Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation und ihre Unterstützung bei ihrer sozioökonomischen Entwicklung verliehen.
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