Im Krieg sind alle Mittel erlaubt. Eine alte Weisheit, die sich die Kreml-Propagandisten aber sehr zu Herzen genommen haben. Auch wenn Wladimir Putin und mit ihm Russland gar keinen Krieg führt, sondern in einer "Spezialoperation" ein anderes Land in Schutt und Asche legt. Der Propaganda ist eben jedes Mittel recht – Hauptsache der Mann, der so furchtbar gern ein Zar wäre, ist zufrieden.
Da kommen selbst übernatürliche Kräfte zum Einsatz. Dafür hat die Kreml-Propaganda nun einen neuen militärischen Dienst ins Leben gerufen. In der Sendung "Neue russische Sensationen" präsentierte man tatsächlich ein Novum: einen Kampf-Hellseher des KGB.
Vor zwei Wochen hatte das russische Staatsfernsehen erst die bulgarische Hellseherin Baba Wanga ausgegraben und ihr Sendezeit in der Primetime beschert. 26 Jahre nach dem Tod der berühmten Seherin tauchen nun vermeintliche Freunde, Weggefährten und ähnlich suspekte Persönlichkeiten auf und erzählen von Prophezeiungen, die ihnen nach Jahrzehnten wieder eingefallen sein wollen. Wie der Zufall es will: Zu einer Zeit als wohl nur in der kriminellen Welt Sankt Petersburg eines Nummer war, bediente sich Baba Wanga aus seinem heutigen Handbuch für Propagandisten und klang verdächtig nach Master of Desaster Wladimir Solowjow.
Propaganda erfindet "Unseren Opa Wanga"
Aber Baba Wanga war erst das Vorspiel. Der Hauptpart kommt einem Mann zu, der von den kreativen Köpfen des Senders NTW "unser Opa Wanga" getauft wurde. In der tiefsten russischen Provinz haben sie ihn gefunden, den Iwan Fomin. Dieser "einfache, sympathische Opa durchschaut die Menschen durch und durch, fast wie ein Röntgenapparat. Er stellt genaue Diagnosen und heilt nicht schlechter als Wanga", wird er in einem fast einstündigen Beitrag angepriesen – ganz ohne Ironie.
Der Kampf-Hellseher des KGB, so nennen ihn die Propagandisten. Der einzige Mensch, der sowohl seine Heilkünste als auch seine Errungenschaften beim sowjetischen Geheimdienst bezeugen kann, ist freilich ausschließlich er selbst. Der Kittel, den der betagte Mann in die Kamera hält, sollte in den Fantasien der Szenaristen den Worten ihrer KGB-Schöpfung Gewicht verleihen. In der Realität zeigt er jedoch, dass "Opa Wanga" nie beim Militär war.
Weder Abzeichen noch Sternchen verraten, bei welchen Streitkräften der Hellseher gedient hat. Und so nennt er sich selbst "Oberst aller Art von Streitkräften". Die Propagandisten erfinden mit ihm nicht nur einen neuen Beruf, sondern auch gleich einen neuen Dienstgrad.
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Eine Medaille für 9 Euro
Der Firlefanz, der auf dem Kittel von "Opa Wanga" glitzert, sind Jubiläumsmedaillen. Die Medaille, die er dafür bekommen haben will, dass er irgendeiner Truppe einen magischen Schutzschild aufgestellt hat, kann man mit ein paar Klicks im Netz erwerben. 550 Rubel oder 9 Euro kostet das gute Stück, auf das der KGB-Hellseher so stolz ist. "Donbass-Freiwilliger" lautet die Inschrift auf dem vierzackigen Stern. Angesichts der Verluste der russischen Truppen im Donbass ließ sein magischer Schutzschild wohl zu wünschen übrig.
Auch bei ihm selbst schwächelt sein "außergewöhnliches Talent". Der Mann, der Blinde geheilt haben will, trägt selbst ein Hörgerät. Das Gehör ist dann wohl nicht sein Spezialgebiet. Und so ist er gezwungen, eine teuflische Erfindung aus dem teuflischen Westen zu tragen. Zugegebenermaßen ein tragisches Schicksal.
Die große Prophezeiung
Doch für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sieht es noch düsterer aus, da ist sich der Mann, der sich nach eigenen Angaben nie geirrt hat, sicher. Selenskyj werde bald aus der Ukraine "nach Polen oder in eines der baltischen Länder, höchstwahrscheinlich nach Litauen" fliehen. "Das sehe ich ganz eindeutig", erklärt der 86-Jährige. "Er macht sich große Sorgen, um ehrlich zu sein. Aber er sieht keinen Ausweg, er hat sich verirrt. Er wird irgendwann darauf kommen, aber es wird zu spät sein. Er ist leicht zu beeinflussen, man kann ihn manipulieren. Man kann ihn unter Druck setzen, und er stimmt zu. Mit seiner instabilen Psyche ähnelt er Biden. Sie arbeiten mit ihm auf denselben Schwingungen, wie ich es ausdrücke", wiederholt Fomin ganz zufällig Wort für Wort das Narrativ der Kreml-Propaganda der letzten Jahre.
Und schließlich kommt der Höhepunkt: Das Medium nennt das genaue Datum der Kapitulation von Wolodymyr Selenskyj und das Ende der "Spezialoperation" in der Ukraine. "Er selbst wird auf die Präsidentschaft verzichten ... Ich sehe, dass dort ein neues Regime etabliert wird. Auf seine Stelle wird ein neuer Kandidat benannt werden, vielleicht sogar einer uns bekannter .... Ich denke bis September, irgendwann im September", lallt er mehrmals. "Am 17. Ich sehe die Zahl 17", prophezeit er.
"Der 17. September klingt zu optimistisch", lautet das überrasche Fazit der Macher der Sendung. Zweifelt da jemand am Blitz-Erfolg der russischen Truppen? Aber die NTW-Leute korrigieren gleich ihren Fehler: "Wir haben keinen Grund, ihm nicht zu vertrauen. Wir merken uns das: Einer der stärksten Hellseher des Landes prophezeit, dass die Spezialoperation am 17. September beendet sein wird."
Der Zahlentrick
Aber vielleicht sollten wir uns dieses Datum tatsächlich merken. Kurz vor dem Beginn des Einmarsches in die Ukraine, ließ man schließlich auch Wanga ein großes Ereignis prophezeien. An einem Datum mit fünf Zweien, werde etwas geschehen, was den Lauf der Geschichte verändern würde. Am 22.02.22 erklärte Putin die Anerkennung der Unabhängigkeit der Separatistenrepubliken in der Ostukraine. Der erste Schritt zum Krieg. Dass das besagte Datum sechs Zweien enthält, lässt das russische Staats-TV die Zuschauer mit einem simplen Darstellungstrick vergessen. Oder wo sehen Sie bei 22.02.22 eine sechste Zwei? Wahrsager können aber auch wirklich nützlich sein – wenn sie sagen, was ihnen befohlen wird.
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