Offene Aufrufe zum Mord, Verherrlichung der Vernichtung ganzer Kontinente, die Heraufbeschwörung des Armageddon – all das gehört für die Kreml-Propaganda zu den üblichen Arbeitsmitteln. Doch nun ist es einem Zahnrädchen in diesem Gefüge des Hasses gelungen, einen Tiefpunkt zu erreichen, der selbst die blutrünstigsten Scharfmacher zu einem Schritt zurück vom Abgrund bringt. So mag es zumindest auf einen Außenstehenden auf den ersten Blick wirken.
Anton Krassowski heißt dieses Zahnrädchen. Der Chef des russischsprachigen Programms des Senders RT ist für den Propaganda-Apparat ein Phänomen für sich. Als Homosexueller, der auch noch aus seinem positivem HIV-Status kein Geheimnis macht, wäre er für seine Kollegen ein ideales Hassobjekt.
Doch Krassowski hat einen Weg für sich gefunden, in diesem Haifischbecken zu überleben. Um nicht selbst zum Hassobjekt zu werden, macht er lieber andere dazu. In den letzten Monaten waren es vor allem die Ukrainer, die Krassowski am liebsten vom Erdboden getilgt haben wollte. Wie das Morden vonstatten gehen sollte, erzählte er in der vergangenen Woche in seiner Sendung "Antonyme". Ihm gegenüber saß der Schriftsteller Sergej Lukjanenko.
Doch anstatt mit dem erfolgreichsten russischen Science-Fiction- und Fantasyautor der Gegenwart über seine fantastischen Werke zu sprechen, erging sich Krassowski lieber in seinen eigenen Fantasien.
"Heute habe ich 14 80-jährige Ukrainerinnen vergewaltigt"
Den Marathon der Perfidie startete er mit Witzen über Vergewaltigungen. "Alte Weiber würden noch ihr letztes Geld dafür geben, damit russische Soldaten sie vergewaltigen", legte er los. Diese sollten ihrerseits Fotos von den Frauen, oder auch Männern schießen, die sie vergewaltigen – um danach Bericht zu erstatten. "Heute habe ich 14 80-jährige Ukrainerinnen vergewaltigt", sollten die russischen Soldaten prahlen können.
Von Vergewaltigungsfantasien ging Krassowski zu mittelalterlichen Hinrichtungsarten über. Genüsslich schwadronierte er darüber, dass die Briten viel mehr Menschen getötet hätten als die Deutschen in ihren Konzentrationslagern. "Sie haben sie buchstäblich verbrannt", führte er aus. Ein zutiefst verstörendes freudigen Grinsen begleitete diese Worte. "Das ist Europa. Das sind sie, die europäischen Werte", setzte er hämisch dazu. Nur um gleich seine eigenen Werte eindrücklich vorzuführen.
Imperialer Chauvinismus in seiner reinsten Form
"Soll die Ukraine überhaupt auf der Weltkarte bestehen bleiben", wollte Krassowski von seinem Gast wissen und bekam die frappierte Antwort: "Ich denke schon. Denn dort werden auf jeden Fall genügend Menschen übrigbleiben, mit denen ich nicht in einem gemeinsamem Staat leben will", erklärte Lukjanenko seinen Standpunkt. Doch für dieses Problem weiß Krassowski die Lösung: "Nun, dann erschießen wir sie."
Diese Worte kommen aus dem Mund eines Mannes, der sich noch wenige Minuten zuvor über die mittelalterliche Barbarei der Europäer echauffiert hat. Dass Massenerschießungen den Methoden der Inquisition oder der Nazis im Nichts nachstehen, leuchtet ihm nicht ein. Lieber überlegt er sich zusammen mit seinem Gast, welches Schicksal die Ukraine erleiden sollte. Ihre gemeinsame Vision: ein kleines Fetzen von einem Land, dessen Bevölkerung nichts anderes macht, als für russische Touristen Nationaltänze aufzuführen. "Ohne all diese bösen Erfindungen wie Fabriken oder Minen", fabulierte der Schriftsteller. "Das brauchen sie nicht." Imperialer Chauvinismus in seiner reinsten Form.
In Bussen zusammengekarrt – die peinliche Putin-Show vor den Mauern des Kremls

Imperialisten und ihre Minderwertigkeitskomplexe
Und wo ein russischer Imperialist auftaucht, sind bekanntlich Minderwertigkeitskomplexe nicht weit. Es ist jenes Gefühl, das Wladimir Putin zu dem Blutvergießen in der Ukraine getrieben hat. Und es ist jenes Gefühl, das Lukjanenko so schmerzlich in Erinnerung geblieben ist. Der Autor erzählte Krassowski von seinen Reisen in die Ukraine in den 80er Jahren. Damals habe er sich von den ukrainischen Kindern anhören müssen, ihr Land sei von den "Moskali" (eine abfällige Bezeichnung für Russen) besetzt. Wenn die "Moskali" nicht wären, würden die Ukrainer wie die Franzosen leben, hätten die Kinder ihn gehänselt.
Solch eine Geschichte konnte auch die Minderwertigkeitskomplexe von Krassowski nicht unberührt lassen: "Diese Kinder hätte man direkt ertränken müssen! Diese Kinder ertränken! (...) Ertränken", rief er. Wenn jemand nur davon rede, von den "Moskali" besetzt zu sein, "wirft man ihn direkt in einen Fluss mit einer reißenden Strömung", schilderte Krassowski seine Methode mit denjenigen umzugehen, die die russische imperiale Größe nicht erkennen wollen. Und wieder begleitete ein zufriedenes Grinsen diese Worte.
Krassowski hat aber noch einen alternative Verfahrensmethode, die er genüsslich darlegt: "In ihre Hütten sperren und verbrennen."
Ist der Kreml-Propagandist zu weit gegangen?
Kinder ertränken oder bei lebendigem Leib verbrennen – da wurden selbst die russischen Funktionäre hellhörig, die von der eigenen Propaganda so einige Tiefen gewöhnt sein dürfen. Der Chef des Untersuchungskomitees Russlands, Alexander Bastrykin, wies die Staatsanwaltschaft an, die Äußerungen von Krassowski zu untersuchen. Der Duma-Abgeordnete Dmitri Saweljew forderte, Krassowski sollte "sobald wie möglich festgenommen und nach dem strengsten Gesetz verurteilt werden". "Die Aussage von Anton Krassowski sind eine ungeheuerliche Provokation, dies sind die Worte eines Feindes Russlands, der alles Lebendige hasst. Meiner Meinung nach ist jeder Laut dieser Äußerung ein Verbrechen", so der Abgeordnete der Regierungspartei "Einiges Russland".
Der Sturm der Entrüstung über Krassowski nahm in den vergangenen Tagen solche Ausmaße an, dass seine Chefin – die berüchtigte RT-Chefin Margarita Simonjan – gar ankündigte, die Zusammenarbeit mit dem Propagandisten beenden zu wollen. "Die Aussage von Anton Krassowski ist brutal und widerlich. Vielleicht wird Anton erklären, welche Art von vorübergehendem Wahnsinn dazu geführt hat", schrieb sie auf Telegram.
Wenig später ruderte Somonjan freilich zurück. Man könne nicht einen treuen Untergebenen einfach so fallen lassen, argumentierte sie.
Propaganda kämpft um Platz an der Sonne
Aber warum kommt die Aufregung um Krassowski ausgerechnet jetzt? Hat er doch seine Karriere auf Aufrufen zum Ertränken aufgebaut. Früher waren es die Anhänger von Alexej Nawalny, die er ertränken wollte. Doch damals erwartete ihn die Beförderung zum Chef der russischen Sparte von RT. Jetzt wird er hingegen als Verräter tituliert. Was ist geschehen?
Die Antwort: der Krieg. Während zwischen den verschiedenen Machtgruppierungen im Kreml ein Kampf um die Vormachtstellung entbrannt ist, kämpfen auch die Propagandisten um den stetig kleiner werdenden Platz an der Sonne. Die Luft wird dünner. Die Gelegenheit, einen Konkurrenten um die Nähe zum Führer im Kreml loszuwerden, kommt nicht wenigen gelegen.
In Moskau munkelt man, dass die blutrünstigen Repliken von Krassowski den Unmut des stellvertretenden Stabschefs der russischen Präsidialverwaltung, Alexei Gromow, erregt haben. Ihm obliegt schließlich die Kontrolle über das staatliche Mediensystem. Alles, was nicht nach Plan läuft, fällt auf den Vertrauten Putins zurück.
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