Um 6.03 Uhr morgens erschütterte am 8. Oktober eine Explosion die Krim-Brücke – die einzige Landverbindung zwischen der annektierten Krim und dem russischen Festland. Der dabei in Brand geratene Zug stand noch in Flammen, da erklang aus Moskau bereits die Erklärung für den für den Kreml höchst blamablen Vorfall. Das russische Nationale Anti-Terror-Komitee teilte mit, es sei ein Lastwagen explodiert. Infolgedessen seien sieben Kraftstofftanks des Zuges in Brand geraten, der zu dem Augenblick auf dem Gleis unterwegs war.
Eine Erklärung, an der es massive Zweifel gibt. Doch wie so oft: Wird aus Moskau ein Kurs vorgegeben, gibt es kein zurück. Und so war der russische Geheimdienst FSB, dem der Schutz der Brücke obliegt und der nun sich den Vorwurf eines massiven Versagens gefallen lassen muss, in den vergangenen Tagen bemüht, Beweise für die Theorie aus Moskau zu liefern. (Warum sich der FSB für die Explosion wird verantworten müssen, lesen Sie hier.)
So erklärt der FSB die Explosion auf der Krim-Brücke
Am Mittwoch präsentierte der FSB die Ergebnisse seiner Bemühungen: Vier Tage nach der Explosion führte der Inlandsgeheimdienst acht festgenommene Männer vor, die den "terroristischen Angriff" ausgeführt haben sollen. Wie der Zufall es will, hatte Präsident Wladimir Putin bereits vor Tagen verkündet, dass der ukrainische Militärgeheimdienst für den Anschlag verantwortlich sei, und von einem "terroristischen Angriff" gesprochen.
Der Version des FSB zufolge, soll der Sprengstoff in Rollen von Bau-Polyethylenfolie versteckt gewesen sein. Die Ladung habe noch im September auf einem Boot den ukrainischen Hafen Odessa in Richtung Bulgarien verlassen. Über den georgischen Hafen Poti sei sie dann über Land durch Armenien und schließlich nach Russland gelangt. Am 7. Oktober soll der Sprengstoff schließlich auf einen Lkw verladen worden sein, der sich aus Krasnodar in Richtung Simferopol aufmachte.
Um seine Version des Geschehens zu belegen, veröffentlichte der FSB Aufnahmen einer Überwachungskamera, die die Inspektion des besagten Lastwagens zeigen sollen – bevor der Wagen am Morgen des 8. Oktober die Krim-Brücke befahren durfte. Der Aufnahme nach zu urteilen, dauerte der gesamte Vorgang nur wenige Sekunden: Der Fahrer stieg aus, öffnete die Türen des Lkw, ein Polizist schaute hinein, und schon konnte der Lastwagen seinen Weg fortsetzen.
Eine vermeintliche Röntgenaufnahme des Lkw soll zudem der Darstellung des FSB Gewicht verleihen. Das ebenfalls am Mittwoch veröffentlichte Bild stimmt jedoch nicht mit der Videoaufnahme überein, die die Inspektion des Lkw zeigen soll. Recherchen des gemeinsamen Verifikationsteams von stern und RTL zeigen, dass die Zugmaschine bei der Kontrolle im Video insgesamt drei Achsen aufweist, zwei davon hinten. Auf der Röntgenaufnahme, die vom FSB veröffentlich wurde, ist jedoch nur eine Hinterachse zu sehen.
Beim Röntgenbild fehlt auch eine Art Gitter unter dem Sattelzug. Die Position des Reserverads ist auf der Röntgenaufnahme zudem frei, stimmt also nicht mit der Position auf dem Überwachungsvideo überein.

Außerdem fällt auf, dass die sogenannte Deichselstütze des Aufliegers runtergeklappt zu sein scheint, sich also in Parkposition befindet. "Im Normalfall stützt sie den Auflieger, wenn keine Zugmaschine davor hängt", erklärt RTL-Verifizierungsexperte Jonas Gerhards. Das Ausklappen passiere in den meisten Fällen durch Kurbeln mit der Hand. Und auch nur, wenn der Auflieger abgestellt sei. "Warum sollte man sich für das kurze Röntgen-Screening des Lkw also diese Mühe geben?"
Präsentierte FSB-Beweise stimmen nicht überein
Das Video und die Röntgenaufnahme zeigen also nicht denselben Lkw – entgegen der Behauptung des FSB. Auch der Analytiker Oliver Alexander kommt zu dieser Schlussfolgerung. "Der auf den Überwachungsvideoaufnahmen sichtbare Lkw ist ein International ProStar mit doppelter Hinterachse. Der Lkw auf dem Röntgenbild hatte nur einen", schrieb er auf Twitter.
Zuvor hatte der oppositionelle Telegram-Kanal Baza berichtet, dass der Mann, der hinter dem Steuer des explodierten Lkw gesessen haben soll, einen International ProStar gefahren habe. Daher gibt es Vermutungen, dass das Röntgenbild nicht den explodierten Lkw zeigt, sondern den, der laut dem FSB den Sprengsatz über die Grenze zwischen Georgien und Russland gebracht hat. Baza veröffentlichte eine Aufnahme, die diesen Truck zeigen sollen.
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