Ukraine-Krieg Selenskyj: Mögliche Neutralität der Ukraine wird "gründlich" geprüft – neue Verhandlungen Anfang der Woche

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft Putin vor, die Friedensverhandlungen zu verzögern
© Ukraine Presidency / Planet Pix via ZUMA Press Wire / DPA
Am 32. Kriegstag dauern die Kämpfe in der Ukraine weiter an. Die Folgen werden auch Deutschland für lange Zeit treffen, warnt Bundespräsident Steinmeier. Zudem ist eine neue Verhandlungsrunde geplant. Der Überblick am Abend.

Mehr als einen Monat nach Kriegsbeginn hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Interview mit russischen Journalisten Kremlchef Wladimir Putin eine Verzögerung der Friedensverhandlungen vorgeworfen. In dem rund anderthalbstündigen Video-Gespräch, das unter anderen das kritische Portal Meduza am Sonntagabend veröffentlichte, forderte Selenskyj einmal mehr einen Abzug russischer Truppen von ukrainischem Territorium. Erst dann könne es Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben, die wiederum Grundlage für den von Moskau geforderten Nato-Verzicht der Ukraine seien, sagte der ukrainische Staatschef. Selenskyj erneuerte zudem seine Ankündigung, dass über einen möglichen neutralen Status der Ukraine letztendlich nur die ukrainischen Bürger per Referendum entscheiden könnten.

Einen Tag zuvor hatte US-Präsident Joe Biden mit einer Verbalattacke gegen Kremlchef Wladimir Putin Wirbel ausgelöst. Biden hatte am Ende einer Rede in Warschau am Samstagabend gesagt: "Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben." Das Weiße Haus versuchte schnell, die Aussage zu relativieren und betonte, dies sei kein Aufruf zum Umsturz. Doch Moskau reagierte empört. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, Biden entscheide nicht, wer in Russland Präsident sei. Prominente russische Abgeordnete warfen Biden Schwäche vor.

Neue Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland geplant

Nach rund zweiwöchigen Friedensverhandlungen im Online-Format wollen die Delegationen aus der Ukraine und Russland nun wieder persönlich zusammenkommen. Für Dienstag und Mittwoch sei ein Treffen geplant, schrieb der russische Delegationsleiter Wladimir Medinski am Sonntag auf Telegram. Der ukrainische Unterhändler David Arachamija bestätigte auf Facebook ein geplantes persönliches Treffen – sprach allerdings vom Beginn bereits am Montag. Das Treffen finde in Istanbul statt, teilte das türkische Präsidialamt am Sonntagabend mit. Ein Zeitpunkt wurde nicht genannt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlangte am Wochenende zudem erneut die Lieferung schwerer Waffen wie Panzer oder Kampfjets. Auch die ukrainische Luftwaffenführung erklärte: "Um im Luftraum auf Augenhöhe mit den Kräften des Gegners zu kämpfen, braucht es sowohl mengenmäßig als auch technologisch Aufrüstung." Die ukrainische Regierung kaufte auf eigene Rechnung bei einem deutschen Waffenhersteller 5100 Panzerabwehrwaffen, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Zuvor hatten die "Welt" und die "Bild"-Zeitung über den Kauf berichtet.

Prorussische Separatisten planen Referendum

Unterdessen dauern die Kämpfe in der Ukraine an. Russland hat Teile des Landes im Norden, Osten und Süden unter Kontrolle, trifft dort aber auf ukrainischen Widerstand. Der ukrainische Generalstab meldete Kämpfe um die Stadt Tschernihiw im Norden sowie im Südosten um die Städte Rubischne, Sjewjerodonezk und Mariupol. "Der Feind setzt seine umfassende bewaffnete Aggression gegen die Ukraine fort", hieß es. Der Bürgermeister der Hafenstadt Mariupol, Wadym Bojtschenko, warf den russischen Kräften rücksichtsloses Vorgehen vor. Für das ostukrainische Gebiet Luhansk wurde hingegen ein zweiter Fluchtkorridor ausgewiesen.

Das russische Verteidigungsministerium bestätigte zudem einen Raketenangriff auf das westukrainische Lwiw, das nur etwa 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt. Dort wurde am Samstag ein Brennstofflager getroffen. Raketen wurden nach russischen Angaben auch auf das Gebiet um die Hauptstadt Kiew abgeschossen. Insgesamt seien binnen 24 Stunden 67 Militärobjekte vernichtet worden. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich nicht unabhängig zu prüfen.

Währenddessen kündigten die prorussischen Separatisten in Luhansk am Sonntag an, über einen Beitritt der Region zu Russland abstimmen zu lassen. In nächster Zeit werde ein Referendum abgehalten, sagte der Luhansker Separatistenführer Leonid Passetschnik laut Staatsagentur Tass.

Steinmeier: "Auch auf Deutschland kommen härtere Tage zu"

Bundespräsident Steinmeier sagte in einer Videobotschaft für ein Konzert im Schloss Bellevue: "Es sind furchtbare Tage und Wochen. Wir alle sind erschüttert, wir sind entsetzt über das, was in der Ukraine geschieht". Wegen der Sanktionen gegen Russland kämen unausweichlich auch auf Deutschland härtere Zeiten zu – und zwar für längere Dauer. "Wir werden bereit sein müssen, sie zu tragen, wenn unsere Solidarität nicht nur Lippenbekenntnis sein, wenn sie ernst genommen werden soll", sagte der Bundespräsident.

Gleichzeitig wird im politischen Berlin darüber diskutiert, ein Raketenabwehrschild aufzubauen. "Wir müssen uns besser vor der Bedrohung aus Russland schützen", sagte der SPD-Politiker Andreas Schwarzer der "Bild am Sonntag". "Das israelische System "Arrow 3" ist eine gute Lösung." Geprüft wird derzeit, wie das geplante Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro ausgegeben wird.

DPA · AFP
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