Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj – von Paddingtons Stimme zu Putins Widersacher

Wolodymyr Selenskyj iim Video vor seinem Amtssitz in Kiew
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seinem inzwischen ikonischen Selfie-Video vom 26. Februar
© Facebook / Volodymyr Zelensky / AFP
Als die Ukraine mit Wolodymyr Selenskyj einen Schauspieler, der einen Präsidenten spielt, zum Staatschef wählte, schüttelte die Welt den Kopf. Die Zweifel sind längst verflogen. Im Krieg ist Selenskyj zum Staatsmann gereift.

Es waren nur 40 Sekunden. Ein Video-Selfie. Eine kurze Botschaft. 40 Sekunden, die Wolodymyr Selenskyj wohl unsterblich gemacht haben. Man musste kein Wort verstehen, um zu wissen: Hier spricht jemand, der Mut und Zuversicht vermitteln will. Jemand, der genau weiß, wie man das macht. Und jemand, der sich wohl auch selbst Mut macht. Weil er sich nicht davon machen wird; sei die Lage auch noch so schlimm.

Wolodymyr Selenskyj ist der wohl unwahrscheinlichste Präsident, den man sich denken kann. Ein Schauspieler, ein Comedian, der nun sein Volk im wahren Leben in einem Krieg im eigenen Land anführt – noch dazu gegen einen übermächtigen Feind.  Gegen Russland. Sicher, es gab Ronald Reagan als US-Präsident, oder Arnold Schwarzenegger als Gouverneur Kaliforniens, doch sie waren nicht mit einer existenziellen Bedrohung auf eigenem Grund und Boden konfrontiert.

Wolodymyr Selenskyj, der "Diener des Volkes"

Vor allem aber haben sie in ihrer Schauspieler-Karriere ihr politisches Amt nicht vorweg genommen. Bei Selenskyj ist das anders. Er spielte bekanntlich in der satirischen TV-Serie "Diener des Volkes" ("Sluha narodu") einen Geschichtslehrer, der angewidert von der allgegegenwärtigen Korruption über Social Media Wahlkampf betreibt, den er mittels Crowdfunding finanziert, und tatsächlich gewählt wird. Um ihm die Nachricht vom Wahlsieg zu überbringen, muss Selenskyj bzw. seine Figur Wassilyj Holoborodko in der Serie vom Klo geholt werden, steht im Unterhemd da. Man kann sich das alles derzeit in der Arte-Mediathek anschauen (deutsch untertitelt).

Regelrecht surreal fühlt es sich an, dass sich die Serie und die Realität eigentlich nicht (mehr) voneinander trennen lassen. Der Coup, der in der Serienhandlung gelang, gelang auch in der Realität – finanziert freilich nicht durch Crowdfunding, sondern durch den ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj, der die Mehrheit am TV-Sender 1+1 hält – eine Verbindung, durch die der Name Selenskyjs in den "Pandora Papers" auftaucht. Es begann mit der Registrierung der Partei "Diener des Volkes" 2017 durch einen Anwalt von Selenskyjs Filmstudio "Studija Kwartal-95" – gewollt oder nicht lag der heute 44-Jährige, ohne für die Präsidentenwahlen 2019 zu kandidieren, ein Jahr später in Umfragen auf Platz 2; schon vor dem damaligen Amtsinhaber Petro Poroschenko.

Am Silvesterabend 2018 gab Selenskyj auf dem Sender 1+1, wo auch seine Serie lief, schließlich seine Kandidatur bekannt. Er gewann den ersten Wahlgang im März und die Stichwahl im April klar gegen Poroschenko. Die Ukrainer:innen hatten Wassilyi Holoborodko zum Präsidenten gewählt; angeführt werden sie jedoch von Wolodymyr Selenskyj, wie sich nicht erst jetzt zeigt. Der Krieg hat ihn zu einem echten Anführer und Volkshelden gemacht; zu einem Gegner, den Russlands Präsident Wladimir Putin – so wird immer wieder berichtet – angeblich jagen und ausschalten lassen will.

"Das wäre bei uns nicht erlaubt"

In Kontakt mit der realen Politik war Selenskyj auch schon als einer der besten Kabarettisten und Satiriker des Landes. Mit seiner Truppe "Kwartal 95" brachte er offenbar selbst den autoritären Ex-Präsidenten Janukowitsch zum Lachen, obwohl er diesen meist als Provinztrottel darstellte und – was damals freilich noch nicht zu ahnen war – später in der Wahl schlagen sollte. Nach einem Auftritt vor Poroschenko und dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew sollen beide Politiker begeistert gewesen sein, berichtet stern-Korrespondentin Betinna Sengling. Selenskyj erzählt demnach gerne die Anekdote, dass Medwedew ihn nach der Show zu sich rief und sagte: "Es hat mir sehr gefallen. Aber bei uns ist so etwas nicht erlaubt." Selenskyj will darauf erwidert haben, dass ein Mitglied seiner Truppe sogar einen russischen Pass habe. "Dann ist ja gut, dass er hier ist", habe Medwedew erwidert.

Heute könnte sich der frühere Kabarettist mit dem russischen Präsidenten nicht mehr so angeregt unterhalten. Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin stehen sich als erbitterte Feinde gegenüber. Nicht einmal ernsthafte Gespräche über einen Waffenstillstand sind derzeit möglich. Putin verunglimpft sein ukrainisches Pendant vielmehr als Faschisten und Nazi – trotz dessen jüdischer Herkunft und obwohl drei Mitglieder der Familie Selenskyjs während des Holocaust ermordet wurden. Schon in diesem Punkt erscheint Putins Rechtfertigung für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine absurd.

Bild von Olena Selenska wird in den sozialen Medien verbreitet – handelt es sich bei dem Foto um einen Fake?
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Besonders große Provokation für Putin?

Ob es für den russischen Präsidenten eine besonders starke Provokation ist, dass ihm ausgerechnet ein solcher Mann gemeinsam mit seinem Volk die Stirn bietet, ist nicht bekannt. Denkbar wäre es. Putin wähnt sich nach Einschätzung politischer Beobachter auf einer Art historischen Feldzug. Ihm entgegen steht nun ein Mann, der nicht durch Machtpolitik, sondern durch seine Tanzkünste in der ukrainischen Version von "Let's dance" bekannt und berühmt wurde. Ein Mann, der im rosafarbenen Anzug eine russische Olympiasiegerin verkörperte, und der in der ukrainischen TV-Übersetzung Paddington, dem Bär, seine Stimme lieh.

Von Paddingtons Stimme zu Putins Widersacher hat Wolodymyr Selenskyj einen weiten Weg zurückgelegt. Ebenso vom Präsidentendarsteller zum Präsidenten, der im Ernstfall über sich hinauswächst. Seine Vergangenheit als Schauspieler hat ihm dabei durchaus geholfen. Um das zu zeigen, brauchte Selenskyj nur ein 40-Sekunden-Video. 40 Sekunden, die ihn wohl unsterblich gemacht haben.

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