Ukraine-Krieg Zerstörter Staudamm am Dnipro – was wir wissen und was nicht

Staudamm Dnipro
Der zerstörte Staudamm bei Cherson. 18 Kubikkilometer Wasser werden auslaufen
© Uncredited/Maxar Technologies/AP / DPA
Ein Staudamm am ukrainischen Dnipro wurde zerstört, 18 Kubikkilometer Wasser überfluten rund 80 Ortschaften. Wer steckt hinter dem Vorfall und welche Auswirkungen wird er auf den Krieg und die Menschen haben? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist in Nowa Kachowka, im Süden der Ukraine passiert?

Am Dienstagmorgen wurde gemeldet, dass im von Russland besetzten Teil der südukrainischen Region Cherson nahe der Front ein Staudamm und das daran angeschlossene Wasserkraftwerk schwer beschädigt wurde, vermutlich durch eine Explosion. Betroffen ist ein etwa 300 Meter langer Abschnitt der Dammmauer. Der von Russland eingesetzte Bürgermeister des Staudamm-Ortes Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew sagte im russischen Staatsfernsehen, bei Angriffen durch die Ukraine seien die Ventile des Damms zerstört und eine "unkontrollierbare Wasserfontäne" ausgelöst worden. Das Kraftwerk könne nicht mehr repariert werden. Auch der ukrainische Betreiber der Anlage sprach von kompletter Zerstörung.

Welche Folgen hat die Zerstörung?

In den nächsten Stunden wird das Reservoir langsam leerlaufen. Etwa 18 Kubikkilometer Wasser ergießen sich dann entlang des linken Ufers des Dnipro. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal spricht von einer Überschwemmungsgefahr für bis zu 80 Ortschaften. 16.000 Menschen leben in dem Gebiet, in dem die Evakuierungen bereits begonnen haben. Auch die von Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson dürfte überflutet werden. "Das Ausmaß der Zerstörung, die Geschwindigkeit und Menge des Wassers sowie die wahrscheinlichen Überschwemmungsgebiete werden gerade bestimmt", sagte der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Prokudin. Er vermutet, dass innerhalb von fünf Stunden der Wasserstand eine kritische Höhe erreichen könnte.

Was ist die Ursache?

Die Ukraine behauptet, dass der Damm von Russland gesprengt wurde. Die russischen Besatzer hingegen machen ukrainischen Beschuss für die Schäden verantwortlich. Spekuliert wird aber auch darüber, dass das Bauwerk aufgrund schlechter Wartung gebrochen sein könnte. Die Angaben beider Seiten können bislang nicht unabhängig überprüft werden.

Hat die Situation Auswirkungen auf das nahegelegene Akw Saporischschja?

Das größte Kernkraftwerk Europas wird durch den Staudamm mit Kühlwasser versorgt, doch die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sieht "kein unmittelbares nukleares Risiko" für das Akw. "Die Experten der IAEA" seien vor Ort und "beobachten die Situation", teilte die Organisation mit.

Ist die Wasserversorgung der südlich des Damms gelegenen Krim betroffen?

Vermutlich. Der Staudamm versorgt die von Russland annektierte Halbinsel. Der Bürgermeister des Ortes Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew befürchtet, dass es zu Problemen bei der Wasserversorgung auf der Schwarzmeer-Halbinsel kommen könnte. Möglicherweise wird dadurch auch die Getreideernte auf der Krim beeinträchtigt.

Welche militärischen Auswirkungen hat der zerstörte Damm?

Durch die Flutung wird der Fluss Dnipro bis auf weiteres unpassierbar sein – etwa für den Fall einer ukrainischen Gegenoffensive. Sollte Russland hinter der Zerstörung stehen, vermuten manche Beobachter daher das Prinzip "verbrannte Erde": also die Gegend für den Feind unbrauchbar zu machen. Im Zweiten Weltkrieg hatte der damalige russische Geheimdienst NKDW den Damm schon einmal gesprengt: um die Infrastruktur wegen der anrückenden deutschen Wehrmacht zu zerstören.

Wie reagiert die Ukraine?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von "Terror" und hat den nationalen Sicherheitsrat einberufen. Sein Berater wirft Russland vor, den Staudamm "gesprengt" zu haben, um das Gebiet zu überfluten und so die geplante ukrainische Offensive zu behindern. Die Ukrainer warnen schon länger vor einem möglichen Sabotageakt der Russen in Nowa Kachowka. Für besondere Beunruhigung sorgte, als die russischen Besatzer im November die Evakuierung der Stadt ankündigten.

Was sagt Russland zu den Vorwürfen?

Die von Moskau eingesetzten Behörden melden, der Staudamm sei "durch mehrere Angriffe" der Ukraine teilweise zerstört worden.

Gibt es weitere Äußerungen?

Die tschechische Regierung beschuldigt Moskau, hinter der Zerstörung zu stecken und wählte dafür einen harten Vergleich: "Der Angriff auf den Staudamm von Nowa Kachowka oberhalb von bewohnten Gebieten ist vergleichbar mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen Zivilisten", schrieb Außenminister Jan Lipavsky auf Twitter. Solch ein brutales Vorgehen müsse bestraft werden. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel hat bereits einen Verantwortlichen ausgemacht. Er sei "schockiert über den beispiellosen Angriff auf den Nowa-Kachowka-Staudamm", schreibt er ebenfalls auf Twitter. "Die Zerstörung ziviler Infrastruktur gilt klar als Kriegsverbrechen - und wir werden Russland und seine Stellvertreter zur Verantwortung ziehen."