Trotz der Tötung von Hamas-Chef Yahya Sinwar im Gazastreifen erwartet Sicherheitsexperte Christian Mölling vorerst keine Beruhigung der Lage im Nahen Osten. Er zweifle daran, dass es zurzeit das Ziel von Israels Regierungschef Netanjahu und seiner Regierung sei, den Krieg zu beenden, sagte Mölling am Freitag im stern-Podcast "Die Lage – International".
"Ich glaube nicht, dass Israel jetzt schon aufhören wird, solange die Frage, welche Bedrohung der Iran ist, noch nicht geklärt ist", so Mölling. Allerdings dürfte bei Israels weiterer Kriegsplanung der Faktor der knapper werdenden Munition zur Luftabwehr zunehmend eine Rolle spielen. Erst diese Woche hatten die USA als zusätzliche Schutzmaßnahme gegen künftige iranische Angriffe ein THAAD-Raketenabwehrsystem samt US-Crew in Israel stationiert. "Der Iran dürfte noch einiges an Raketen haben. Das heißt, Israel muss sich sehr genau überlegen, zu welchem Zeitpunkt es in der Lage ist, einen Angriff zu fahren", so Mölling, Direktor des Europa-Programms der Bertelsmann-Stiftung. Ein Vergeltungsschlag Israels für den iranischen Raketen-Angriff vor zweieinhalb Wochen wird seit Tagen erwartet.
Israel und Ukraine: "Konflikt der Ressourcen"
Gerade bei der Luftverteidigung sei ein "Konflikt der Ressourcen" zwischen Israel und der Ukraine inzwischen relativ offensichtlich, so der Experte. Erst kürzlich hatte die "Financial Times" berichtet, der US-Rüstungsindustrie fehlten gegenwärtig die Kapazitäten, Israel und die Ukraine auf Dauer parallel mit der jeweils benötigten Luftabwehr-Munition zu versorgen. "Dass man nicht genug im Arsenal hat," so Mölling, "liegt auch daran, dass man offensichtlich nicht damit gerechnet hat, in eine solche Situation hineinzukommen." Als Folge müssen nun möglicherweise auch Israel seine Strategie anpassen, zum Beispiel, in dem es stärker als bisher eigene Kampfjets zur Raketen-Abwehr einsetze.
Dem heutigen Treffen von US-Präsident Joe Biden mit Bundeskanzler Olaf Scholz und den Premierministern Frankreichs und Großbritanniens in Berlin sieht der Experte mit gedämpften Erwartungen entgegen. Mit allen vieren hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in den vergangenen Wochen seinen diese Woche vorgestellten "Siegesplan" abgestimmt. Fraglich sei aber, ob der Westen sich zum jetzigen Zeitpunkt zu einer größeren Unterstützung der Ukraine durchringen könne. Sowohl für die Ukraine als auch für Russland sei der Krieg ein Kampf gegen die Zeit. Doch, so Mölling: "Nach jetzigem Stand der Dinge ist die Zeitachse für Selenskyj kürzer als für Putin."