Nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala hat der Krieg zwischen Russland und der Ukraine einen Wendepunkt erreicht. "Der Krieg dreht sich jetzt gerade", sagt der Politikprofessor der Bundeswehruniversität München am Dienstag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage". Gleich an mehreren Stellen gerate die Ukraine unter Druck: "Wir haben Kämpfe im Osten, wir haben Kämpfe im Süden, wir haben sozusagen eine zweite belarussische Front, wir haben Beschuss auf die großen Städte", erläutert Masala.

Gegenoffensive "im Prinzip zum Halten gekommen"
"Den Ukrainern ist die Initiative genommen worden", sagt er. Ihre Gegenoffensive in den besetzten Gebieten sei "im Prinzip zum Halten gekommen". Dies ändere jedoch nichts an den massiven Problemen der russischen Streitkräfte. Dass diese jetzt auf einfach konstruierte iranischen Drohnen setzten, während die Ukrainer über modernes Gerät verfügten, sei eine paradoxe Situation. Und zudem "ein weiterer Hinweis darauf, dass das Material bei den Russen knapp wird".
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

Masala spricht von einer "neuen Phase" des Konflikts, in der Russland seine Fähigkeiten beweisen wolle. Es werde "die Vorbereitung dafür geschaffen, dass Putin irgendwann einen Waffenstillstand anbietet". Der Militärexperte verweist auf die Herausforderungen auf beiden Seiten: Wirtschaftliche Schwierigkeiten Russlands, dazu die Probleme mit der Teilmobilmachung und die militärischen Rückschläge. Zugleich könnten im Westen hohe Energiepreise, Fragen der Energiesicherheit und auch der steile Anstieg der Inflation insgesamt Lage und Stimmung verändern. Wenn Putin einen Waffenstillstand anbiete, "haben wir eine neue Situation".

Dr. Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Bundeswehruniversität München.
Russland hat die Ukraine und ihre Verbündeten unterschätzt
Masala hat wiederholt vor einer Waffenstillstandsvereinbarung gewarnt, die den Russen nur Gelegenheit zur Regeneration mit dem Ziel gebe, den militärischen Konflikt dann fortzusetzen. Nach seiner Analyse müsse Präsident Wladimir Putin bei einer realistischen Einschätzung der Lage jedoch erkennen, dass er in der Ukraine nicht viel gewinnen könne. Masala sieht einen Zusammenhang zwischen einem Waffenstillstandsangebot und der russischen Absicht, erst am Jahresende die endgültigen Grenzen der völkerrechtswidrig annektierten Gebiete festzulegen. Russland habe unterschätzt, mit welcher Entschlossenheit und wie lange der Westen die angegriffene Ukraine unterstützen werde.