Ulrich Rauss Die ersten Kriegstage in Kuwait

Reporter Ulrich Rauss hält sich zur Zeit in Kuwait auf und berichtet für den stern von den Auswirkungen des Krieges auf das kleine Emirat.

Reporter Ulrich Rauss hält sich zur Zeit in Kuwait auf und berichtet für den stern von den Auswirkungen des Krieges auf das kleine Emirat.

Die Zivilbevölkerung im Schatten der irakischen Raketen

Der Irak antwortete auf die amerikanische Offensive mit Raketenangriffen auf Nord-Kuwait. Zwei Raketen, so meldete das Verteidigungsministerium, wurden von Patriot-Abwehrraketen abgeschossen. Eine Stunde später, um 12.30 Uhr, heulten in Kuwait erstmals die Alarmsirenen. Ein Angriff Saddams mit chemischen Sprengköpfen - war nun das Szenario eingetreten, das in den vorhergegangenen Wochen von den Zivilschutzbehörden wieder und wieder geübt wurde? Kuwaitische Beamte hasteten aus ihren Büros nach Hause. Am Flughafen, in dessen Abflughallen sich vor allem Westler drängten, brach Panik aus. Das Telefonnetz brach zusammen. In den Hotels flüchteten Gäste mit Gasmasken in die vorbereiteten Schutzräume.

Die meisten der philippinischen und indischen Gastarbeiter mussten sich auf ihr Gottvertrauen verlassen: Selbst die chinesische Gasmasken-Billigversion für umgerechnet 75 Euro war für sie unerschwinglich. Brot wurde auf den Strassen zu Schwarzmarktpreisen feilgeboten, die Regale in den Supermärkten leergekauft, die Schulen geschlossen, die meisten Flüge gestrichen. Zwei weitere irakische Raketen verfehlten die riesigen Öl-Förderanlagen und Verlade-Terminals der "National Petroleum Company" im Industriebezirk Shuaiba südlich von Kuwait-City und schlugen im Meer ein. In den nächsten 24 Stunden heulten die Sirenen noch ein Dutzend Mal.

Lebensbedrohliche Weckrufe für die Soldaten

Neben den Ölanlagen waren US-Soldaten an der Grenze Hauptziele irakischer Gegenattacken. Die ersten Einschläge um 11.32 Uhr im kuwaitischen Teil der Wüste, waren für die meist jungen US-Soldaten in einem Lager unweit des Highway 80 wie ein Weckruf, eine lebensbedrohliche Botschaft. Wenig später hörten Soldaten der 7.Kavallerie-Division weiter oben im Norden Explosionen. "Gas, Gas, Gas!" schallte es durchs Camp. Die Soldaten zogen Gasmasken und ABC-Uniformen über. Nach 40 Minuten Entwarnung: "all clear!".

Auch die Soldaten des 11.Helikopter-Regiments hasteten bei jedem Alarm in Bunkerstellungen und unter ihre Zeltplanen. Nach dem ersten Schreck stellte sich bald Routine ein. Wenn Gasalarm ausgerufen wurde, fotografierten sich Soldaten der 101. Airborne Division gegenseitig. Über Monate waren sie auf ein solches Szenario eingestellt worden, wieder und wieder hatten sie das alles trainiert. Am Morgen des Vortages hatte der Kommandeur der 3.Brigade, Colonel Michael Linnington, seine Männer auf die Aufgabe eingestimmt: "Leute, wir sind wieder einen Tag näher dran, Geschichte zu machen."Specialist" Chris Paxton hatte noch eine E-Mail an seine Frau Julie in Ohio geschickt und sich am frisch eingeflogenen "pre-combat meal" versucht: Hummersteak. Jetzt war er wütend. Die Iraker feuerten Raketen, und seine Einheit wartete noch immer auf den Befehl zum Vormarsch.

Training für den Ernstfall

35 Helikopter-Flugminuten entfernt, drei Dutzend Meilen vor Kuwaits Küste, herrschte an Bord der USS Kearsarge höchste Alarmstufe. Das Schiff, mit dem 1.700 US-Marines nach Kuwait gekommen waren, dient als schwimmendes Krankenhaus. Das Schiff manövrierte ständig, um nicht von feindlichem Radar geortet zu werden. Stunden zuvor hatten die Navy-Seeleute dort ein Kriegsszenario geprobt, das im Weißen Haus besonders gefürchtet wird: eines mit im Kampf getöteten US-Soldaten. Stöhnend und schreiend lagen auf Flugdeck Nummer 3 siebzig tote und verletzte Soldaten, die mit Farbe und Gummihäuten schreckliche Verletzungen simulierten: Magendurchschüsse, weggesprengte Gliedmassen, Verbrennungen, Kopfschüsse. Sirenen schrillten, aus dem Bordlautsprecher und durch Funkgeräte plärrten Befehle. Sanitäter schafften die dringendsten Fälle auf Bahren - "eins, zwei, drei, anheben!" - in einen der vier Operationssäle.

12 nummerierte Kühlschränke

Sergeant Johnson trug eine hautfarbenen Gesichtsmaske mit einem roten Fleck auf der linken Stirnseite. Er war "tot". Ein Formular lag auf seinem Bauch, "Kopfschuss AK-47" stand darauf geschrieben. In die Spalte "Behandlung" trugen die Mediziner ein: "expired", "abgelaufen"... Mit düsteren Mienen trugen vier Seeleute in blauen Uniformen den toten Johnson vom Verwundeten-Sammelpunkt durch einen engen Gang zur "Leichenhalle Nummer 10". Zwölf nummerierte Kühlschränke mit silberfarbenen Stahltüren sind darin untergebracht. Ein Digitalthermometer zeigt die Innentemperatur, 11 Grad Celsius. "Wenn es mehr Tote gibt, müssen wir die Kühlschränke für unsere Nahrungsmittel ein Deck tiefer räumen", sagte ein Seemann. "Die Leichname werden dann schnellstmöglich zu ihren Familien in die USA geflogen".

Erste Opfer

Am Nachmittag des ersten Kriegstages gab es die ersten toten Amerikaner. Ein CH-46 "Sea Knight"-Helikopter der US-Marines war im kuwaitischen Teil der Wüste zu Boden gekracht, vier US-Marines und acht Briten starben.

Längst hatte die Bodenoffensive im Süden des Irak begonnen. Voraus-Kommandos der 1.Marine-Division und der britischen Royal Marines drangen in den Irak ein, kämpften sich in den Grenzorten Umm Qasr und Safwan den Weg frei zu den Ölfeldern in Richtung Rumailah und Basra.

Scouts der 7.Kavalerie-Division stießen Richtung Norden vor, gefolgt von Einheiten der 3.Infanterie-Division. Sporadisch gerieten deren Züge, etwa "Team Heavy Metal" und "Team Rock´n Roll", unter Artilleriefeuer. Angesichts der amerikanischen Übermacht gaben schon bald die ersten Iraker auf. Etliche stellten sich in Zivilkleidung und verhielten sich dabei so, wie sie auf hundertausenden Flugblättern gelesen hatten, die von den Amerikanern über dem Süden des Irak abgeworfen worden waren - mit um den Hals hängenden Ausweispapieren und erhobenen Händen, in denen sie weiße Tücher oder Papiere hochhielten.

Sternenbanner und Union Jack

Bis zum Freitag morgen, so melden US-Militärs, hätte sich bereits jeder fünfte Soldat von Saddams Republikanergarde gestellt. Aus Basra wurden am Morgen schwere Explosionen gemeldet. Am Mittag hissten Marines in der Stadt das Sternenbanner und den Union Jack...

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Ulrich Rauss