Sie liebt Schokolade, heißt es, und guckt am liebsten noch gegen Mitternacht MTV, heißt es. Sie ist 66 Jahre alt, ihr Lächeln ist faltenfrei, stets angeknipst. Die Dame hat fünf Kinder und fünf Enkelkinder, und wenn ihre Zuhörer bei Reden mal zu laut werden, dann lächelt Nancy Pelosi und sagt, etwas eisiger als sonst: "Soll ich jetzt etwa auf meine "Mutter-von-Fünf-Kindern-Stimme" umschalten?" Das wirkt. Immer.
In den vergangenen vier Jahren war Nancy Pelosi Oppositionsführerin im US-Repräsentantenhaus, ihre Demokraten hatten nichts zu melden. In diesen bitteren Jahren schaffte sie es, ihre Partei auf Einigkeit zu trimmen. Und auch wenn sie nach außen das Bild der modernen Großmutter pflegt - sie regierte mit eiserner Härte. "Wenn sie Dich miesmachen, dann musst Du sie miesmachen", war ihre Strategie gegenüber den Republikanern. Ihr Motto gegenüber Parteigenossen: "Wenn Du mir einen Gefallen tust, werde ich Dir helfen." Es ist besser, sich nicht mit ihr anzulegen, heißt es in der Fraktion. Sie vergisst nichts.
Es war die Nacht des lang ersehnten Sieges für die Demokraten. Überall im Land hatten sie die Republikaner geschlagen, locker, mit satten Stimmenzuwächsen, hatten gleich reihenweise republikanische Hochburgen erobert. Gewannen sogar mehrere Sitze im Senat. So knapp war das Ergebnis im eigentlich sicheren republikanischen Bundesstaat Virginia, dass eine Neuauszählung der Stimmen sicher scheint.
Dieser satte Sieg ist auch Nancy Pelosis Triumph. Jetzt wird sie Parlamentspräsidentin, als erste Frau in der Geschichte der USA. Wird das drittwichtigste Amt im Land innehaben, gleich nach Bush und seinem Vize Richard Cheney. In den kommenden beiden Jahren wird sie das Gesicht der demokratischen Partei sein. Der Partei, die sich gerade aufmacht, die Macht im Weißen Haus zurückzuerobern.
Eine schallende Ohrfeige
Endlich hat das Land den Republikanern eine schallende Ohrfeige verpasst. Ihrer Einparteienherschaft, der erbarmungslosen Politik des Spaltens, der ekelhaften Korruption, den schmierigen Sex-Skandalen. Mit dieser Wahl wollen die Amerikaner die Balance der Macht wiederherstellen. Das althergebrachte System der demokratischen Kontrollen. All das, was die Republikaner in den vergangenen zwölf Jahren zerstört haben.
Vor allem aber will dieses Land jetzt seinen Präsidenten in die Schranken weisen. Den maßlosen, erbarmungslosen Mann, der das Land in den Krieg geführt hat. Den Mann, der sie betrogen hat. George W. Bush. Und deswegen ist der Sieg der Demokraten vor allem die Niederlage des George W. Bush.
"Pretty Woman" im Fliederanzug
Aber das ist an diesem grandiosen, an diesem siegreichen Abend erst einmal egal. Die demokratischen Wahlhelfer feiern im Ballroom des Hyatt Hotels in Washington. Die Parteigranden zollen ihren Basisarbeitern Tribut, auch Nancy Pelosi schaut vorbei, im perfekt sitzenden, fliederfarbenen Hosenanzug, sie bedankt sich, etwas hölzern, mit heiserer Stimme. "Amerika will eine neue Richtung" ruft sie. "Pretty Woman" hat die Ball-Band gerade gespielt.
Pelosi gilt als Parteilinke, eine erklärte Gegnerin des Irak-Krieges. In den ersten 100 Stunden ihrer Herrschaft möchte sie die Mindestlöhne erhöhen, ein Gesetz zur Stammzellen-Forschung durchbringen und die Empfehlungen der Untersuchungskommission zum 9. September 2001 für verbindlich erklären.
Die Demokraten wieder hoffähig machen
Doch vor allem muss Nancy Pelosi die siegestrunkene Partei auf Linie halten. Soll aus der liberalen Kakophonie "messages" destillieren - jene knappen Botschaften, die sich so überzeugend anhören in den Fernseh-Talk Shows. Sie muss die Demokraten wieder hoffähig machen für das Weiße Haus. Sie muss die Balance halten zwischen Rache und Realismus.
Denn viele Demokraten wollen den Präsidenten und seine Kabale jetzt endlich vorführen. Jetzt, da sie wieder den Vorsitz in den 19 Parlamentsausschüssen übernehmen. Deren Tagesordnung wurde in den vergangenen zwölf Jahren von den Republikanern beherrscht. Und die nahmen ihre Aufsichtspflicht selektiv nach Parteilinie wahr: So untersuchte man 140 Stunden lang akribisch, ob Präsident Clinton seine Adressenliste für Weihnachtskarten möglicherweise auch benutzte, um Parteispender anzuschreiben. Später wurde auch der Folterskandal von Abu Ghraib untersucht. Den Republikanern reichten zwölf Stunden.
Sie werden ihre Chance nutzen. Werden Anhörungen zu den Korruptionsskandalen der Republikaner und den angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak veranstalten, die Lügen der Bush-Regierung noch einmal entlarven, die Inkompetenz, die Propaganda. Sie werden Bush zappeln lassen. Der Präsident, die nunmehr "lahme Ente".
Einige fordern bereits ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush. Nein, machte Nancy Pelosi unmissverständlich klar, das Kapitol sei kein Gerichtssaal. Rachefeldzüge werde es nicht geben.
Triathlon-Sportler als Top-Stratege
Die neuen Demokraten sollen vielmehr staatsmännisch sein. "Wir können zeigen, dass man kompetent und effizient regieren kann", sagte der ehemalige demokratische Senator Tom Daschle. Denn es geht um den wirklich entscheidenden Sieg. Um den im Jahr 2008.
Und neben Nancy Pelosi soll ein alter Freund der Familie Clinton dafür sorgen, dass der demokratische Kongress auf moderater Linie bleibt: der millionenschwere Investmentbanker Rahm Emanuel, 47, bislang Vorsitzender des einflussreichen Demokratischen Wahlkomitees. Der Triathlon-Sportler gehörte zu den Top-Strategen von Präsident Clinton, noch heute treffen sie sich einmal im Monat.
Und in diesem Wahlkampf schaffte er die Spenden heran, setzte zentristische Kandidaten durch, schaufelte Millionen in umkämpfte Wahlkreise. Gegen einen erklärten demokratischen Kriegsgegner setzte er auch Tammy Duckworth als Kandidatin durch, jene junge Frau, die im Irak-Krieg beide Beine verloren hatte. Eine Patriotin.
"Mischung aus Hämorrhoiden und Zahnschmerzen"
Rahm Emanuel gilt als "Feldmarschall" und "Macher". Das ist eine sehr höfliche Umschreibung. "Sein Stil ist eine Mischung aus Hämorrhoiden und Zahnschmerzen", jammern selbst seine Fans. Mit dem linken Parteichef Howard Dean legte er sich so an, dass die beiden Männer wochenlang nicht mehr miteinander sprachen.
Seine Agenda ist klar: die Demokraten sollen die vergessene Mittelklasse zurückerobern, die "Donkin-Donuts-Wähler". All die, denen es unter Bush schlechter geht als früher. Die Amerikaner, die frühmorgens vor den Donkin-Donuts-Läden Schlange stehen, um sich auf dem Weg zur Arbeit Kaffee und billige, klebrigsüße Hefekrapfen zu holen. Zu Emanuels "Großen Ideen für Amerika" gehören eine Renten- und Gesundheitsreform ebenso wie erleichterter Universitätszugang und die teilweise Rücknahme der Steuersenkungen für die Superreichen.
Es sind große, es sind wichtige Themen für Amerika. Es sind die Themen einer demokratischen Präsidentschaftskandidatin, die Wähler aus der Mitte braucht. Noch in der Wahlnacht bot Emanuel dem Präsidenten "Zusammenarbeit" an. Eine neue Ära beginne, sagte er, eine Ära der Verantwortung.
Ein Desaster ohne Ausweg
Denn über allem aber liegt, tonnenschwer, der Krieg im Irak. Der "Sumpf", wie einst in Vietnam. Das Desaster, aus dem es kaum einen Ausweg gibt.
Dieser Krieg ist die größte Bürde, auch für die Demokraten. Denn sie haben den Krieg mehrheitlich unterstützt. Sie müssen ihn auch weiterhin finanzieren - denn auf keinen Fall dürfen sie als unpatriotisch gelten. Einen raschen Abzug aus dem Irak kann es nicht geben, das wissen auch die Demokraten. "Wir haben nur schlechte und ganz schlechte Optionen", sagt der populäre demokratische Senator Barack Obama.
Verängstigtes Land als Geisel
Bislang versprechen sie eine "neue Richtung", konzipieren, wie etwa Hillary Clinton, vage einen Teilrückzug ab Ende des Jahres sowie eine mögliche Neugruppierung der dann verbleibenden US-Truppen. Viele hoffen auf diesen "Paradigmenwechsel", auf eine neue Strategie für den Irak. Der Bericht der überparteilichen "Iraq Study Group" unter Leitung des ehemaligen Außenministers James Baker soll den Ausweg bringen. Auf ihre Empfehlungen - eventueller Teilabzug sowie Gesprächangebote an Syrien und den Iran - könnten sich Demokraten und moderate Republikaner verständigen. Sie könnten den Ausweg zeigen, den der Präsident schon lange nicht mehr hat.
Immer noch setzt er stur auf Sieg. Kämpft, immer einsamer, die große "ideologische Schlacht des 21. Jahrhunderts", wie er sagt. Generationen werde sie dauern, die Auseinandersetzung zwischen dem demokratischen Westen und den islamistischen Extremisten. Diesen Krieg, diesen Sieg um jeden Preis betrachtet er als sein politisches Erbe.
Nach dem 11. September hatte George W. Bush ein verängstigtes Land als Geisel nehmen können. Jetzt beginnt dieses Land, sich aus der tödlichen Umarmung zu befreien. Es hat einfach "Nein" gesagt.