Schon die Rufe draußen vor dem College sind eindeutig. "Denver", rufen ihre Anhänger, "wir tragen den Kampf weiter nach Denver." Und: "Rocky Mountains. Wir sehen uns in den Rocky Mountains." An diesem sommerwarmen Abend verliert Hillary Clinton den Kampf um die Nominierung ihrer Partei, aber davon ist hier im Baruch College in Manhattan nichts zu spüren. Mach weiter, ist die Botschaft ihrer Anhänger. Bis zum Parteitag in Denver im August. Bis zur Wahl im November. Bis zum bitteren Ende. "Zeig es allen, Girl!"
Die Stimmung im College schwankt zwischen Trauer und Wut, aber die Wut dominiert. Wut auf die Parteispitze, auf Obama, auf die Medien, auf alles und nichts, eine Wut, die nicht gerecht sein will. "Wir haben die meisten Stimmen und wurden betrogen", rufen Clintons Anhänger den Journalisten zu. "Es ist wie im Jahr 2000, das gleiche noch mal." "Diese Wahl haut uns um 200 Jahre zurück", sagt Lois Feldman aus Queens. "Man brachte uns Frauen um den Sieg. Hillary sollte niemals Vizepräsidentin unter Obama sein. Diesem Greenhorn. Da muss sie die ganze Arbeit machen und auch noch hinter ihm aufräumen. Nein, Hillary gebe nicht auf. Niemals."
Kein "for President" mehr
Um 21.30 Uhr gibt sie auf. Oder doch nicht? CNN meldet, dass Barack Obama nach diesen letzten Vorwahlen als Kandidat der Demokraten feststeht, aber Hillary Clinton trägt wie immer ihr Strahlen im Gesicht, als Bill und Chelsea sie auf die Bühne des College geleiten. Ihr Vorredner Terry McAuliffe kündigt sie noch als nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika an, und dann steht sie dort im leuchtend blauen Hosenanzug, an der Wand neben ihr noch das große Plakat "Hillary for President". Hinter ihr nur eines mit der Aufschrift Hillaryclinton.com. Kein Zusatz. Kein "for President" mehr.
Sie gratuliert Barack Obama zu einem "hervorragenden Wahlkampf", aber weiter geht sie nicht. Sie nennt Obama ihren Freund, aber nicht den Sieger. Sie gratuliert ihm nicht zum Erfolg, sie bringt es nicht über die Lippen. Im Stil einer konzilianten Siegerin bittet sie das Publikum um Anerkennung für Obama, um etwas Applaus, doch der fällt spärlich aus in der großen, voll besetzten Turnhalle. Sie zählt die Staaten auf, in denen sie gewann, die "Swing States" Ohio, Pennsylvania, Florida, Michigan, und heute Abend auch noch South Dakota, sie fragt in den Saal, wer der bessere Kandidat für die Wahl im November ist, und erhält prompt die Antwort: "Du." - "Wer ist in der Lage, das Weiße Haus zurückzuerobern?" - "Du." - "Ihr habt stets meine Hand gehalten und mir gesagt: Gebe nicht auf, kämpfe weiter."
"Denver", rufen die Menschen da. "Denver, Denver."
Hillary Clinton muss dies tun. Sie muss ihren Anhängern den Stolz lassen, und doch hat ihr Auftritt nichts von dem eleganten Abgang, den sich viele versprochen haben. Sie verspricht die Einheit der Partei, aber überzeugend klingt dies nicht. Spätestens nach fünf Minuten ihrer Rede ist klar: Sie will etwas. Sie will eine Menge. Sie ist noch nicht am Ende. Dies ist nicht ihre Kapitulation.
"Obama muss sich was einfallen lassen"
Ihre Unterstützer laufen zwischen den Journalisten herum und verbreiten die Botschaft des Abends: "Obama muss sich richtig was einfallen lassen", sagt der Abgeordnete Anthony Weiner. "Er ist der Kandidat, der morgen früh 18 Millionen gebrochene Herzen vorfinden wird."
Barack Obama ist ihr bei den Delegiertenzahlen uneinholbar enteilt, aber Clinton belehrt alle noch einmal, dass sie die meisten Stimmen in der Geschichte amerikanischer Vorwahlen erhalten habe, fast 18 Millionen, mehr als Obama. Den Sieg bringt ihr das nicht. Sie kann nichts mehr machen, außer die Entscheidung der Partei zum Wahlausgang in Michigan anfechten, was unklug wäre, oder auf einen Skandal im Obama-Lager hoffen, was sie nicht ernsthaft hoffen kann. Die Frage bleibt, worauf sie denn hoffen kann.
Was sie will. "Ich verstehe, dass viele Menschen sich fragen: Was will sie?" ruft sie - und antwortet gleich selbst: Ein Ende des Krieges, ein Ende der Wirtschaftskrise, Krankenversicherung für alle, es folgt eine lange Liste politischer Ziele. Was sie wirklich will, sagt sie nicht. "Ich will es von Euch hören", ruft sie den Anhängern zu und weiß, was kommen wird: Denver, Rocky Mountains, keine Kapitulation, und wenn, dann nur im Tausch mit dem Posten der Vizepräsidentin. Das Dream Team: Obama und Clinton.
Am Nachmittag erwähnte sie gegenüber New Yorker Abgeordneten erstmals, dass sie sich den Posten der Vizepräsidentin vorstellen könne, wenn es der Partei hilft. Aber das wiederholt sie jetzt auf der Bühne nicht mehr. Das eine Mal hat gereicht. Alle sollen wissen: Sie würde sich erbarmen, den Posten anzunehmen. Sie würde die Nr.2 akzeptieren, auch wenn ihr in Wahrheit die Nr.1 gebührt. Nun muss Obama handeln. Nun muss er sich überlegen, ob er darauf eingeht oder all ihre Anhänger verprellen will, die Armen der Gesellschaft, die Bauern, Arbeiter und vor allem die Frauen, Millionen Frauen. Das soll er sich mal trauen.
Will sie pokern?
Bei Hillary Clinton wirkt selbst diese Niederlage wie der Auftakt zum nächsten Sieg. Niederlagen kommen bei ihr im Leben nicht vor. Sie verliert nicht. Sie hat die Nominierung nicht verloren. Sie ist schon wieder auf dem Sprung in den nächsten Kampf. Aber man weiß bei ihr an diesem Abend nicht genau, was der Kampf wirklich soll. Will sie nur Muskeln spielen lassen? Der Parteispitze noch eines auswischen? Obama den Triumph verderben? Oder nur pokern? Auf seine Niederlage im November hoffen, damit sie in vier Jahren wieder antreten kann? Das kann sie nicht wirklich hoffen, aber ganz überraschen würde es einen nicht.
Nach 30 Minuten verlässt sie mit den Worten: "Es gibt keine Hürde, die wir nicht überspringen können" winkend und lächelnd die Bühne, und die passende Musik setzt ein: Tina Turners "You are simply the best" gefolgt von Tom Pettys "I won't back down."
Da geht, im Moment ihrer größten Niederlage: eine stolze Siegerin.