Sie musste angreifen. Endlich zeigen, was sie wirklich kann. Endlich beweisen, dass sie eine Niederlage wegsteckt, als ob nichts passiert sei. Dass Hillary Clinton eine echte Kämpferin ist. Jetzt will sie sich die Wähler holen. Und ihr Motto würde sein: "Ich verkörpere Veränderung!"
Denn unterschiedlicher konnten die Bilder aus Iowa kaum sein: da hatte sie in der vergangenen Woche auf der Bühne gestanden, umringt von müden Getreuen, einem General außer Diensten, einer ehemaligen Außenministerin und auch von ihrem Mann, das Lächeln gefroren. Es hatte wohl eine Demonstration der Stärke, der Kompetenz und der geballten Erfahrung sein sollen - doch an diesem vergangenen Donnerstag sah alles um Hillary Clinton herum einfach nur alt aus, wie eine Reise in die Vergangenheit. Es war der Abend, an dem Hillary Clinton bei den Vorwahlen auf Platz drei kam. "Sie kapieren es einfach nicht", stöhnte ein Wahlkampf-Berater aus dem Hillary-Lager verzweifelt. "Es geht doch um Jugend, und es geht um Veränderung."
Er dagegen, Barack Obama, der Herausforderer: Ruhig stand er da, die beiden kleinen Töchter an der Hand, umringt von Tausenden jubelnden, enthusiastischen Wählern. Er - das Neue, das Morgen.
Auf einmal überschlagen sich die Kommentatoren der großen Zeitungen: "Ein Erdbeben im Mittleren Westen" machte die "Washington Post" aus, "Warum Amerika Obama braucht" weiß der "Boston Globe", und selbst der konservative Kommentator David Brooks ließ seinen Gefühlen freien Lauf: "Welcher politischen Partei auch immer sie angehören, die Amerikaner begrüßen den Sieg Obamas. Es ist die Story der Jugend, der Möglichkeiten, der Einheit - und dies sind die grundlegenden Themen Amerikas. Man muss schon ein Herz aus Stein haben, um davon nicht angerührt zu werden."
Denn die Wahlanalysen aus Iowa zeigen: Dieser Barack Obama wurde von den Jungen gewählt, von Frauen und Gewerkschaftern - und vor allem von denen, die sich "independent" nennen - von den Unabhängigen, den Wechselwählern. Die Wähler, auf die Hillary Clinton bislang gesetzt hat.
Unerwartetes Ergebnis
Mit diesem Ergebnis hatte sie, hatten ihre auf Meinungsumfragen fixierten Strategen, nicht gerechnet. "Erfahrung" und "Unausweichlichkeit" galten bislang als die beiden Pfeiler ihres Wahlkampfes, und Iowa sollte die erste Etappe auf dem Spaziergang zum Weißen Haus werden. In den vergangenen Wochen hatte sie dort alles aufgeboten, was sie zu bieten hatte. Ihre stille Tochter, ihren sentimentalen Mann, ihre Mutter. Sie tourte im Hubschrauber übers Land, kletterte auf Heuhaufen, ließ sich in Viehauktionshallen begutachten. Es reichte gerade einmal für den dritten Platz. Und was sagte sie? "Es war ein großartiger Abend für Demokraten" und bestieg ihr Flugzeug.
Noch in der Nacht ihrer Niederlage, im Charterflugzeug auf dem Weg nach New Hampshire, begann die Diskussion über Plan B, über eine neue Taktik. Iowa? Dort, wo man gerade rund sechs Millionen Dollar allein für TV-Werbung gezahlt hatte? "Iowa ist so klein, es ist doch nicht mehr als eine Bürgermeisterwahl von geringer Bedeutung", tat ihr Sprecher Jay Carson scheinbar geringschätzig ab. "Obamas Sieg dort hat keine weitere Auswirkung." Jetzt würde man endlich angreifen, den jungen, unerfahrenen Senator aus Illinois entblättern, auseinandernehmen. Viel zu nett sei man bislang mit diesem Obama gewesen, schäumten Hillarys Wahlkampfmanager, man habe nicht nach seinen Fehlern, seinen Versäumnissen gesucht. Und Gatte Bill Clinton tobte hinter den Kulissen: Wenn Obama den Kampf um die Nominierung gewinne, dann sei auch die Presse daran schuld, wenn die Demokraten erneut die Wahl verlieren.
Gelingt ihr die Wende - wie einst ihrem Mann?
Es steht eine Menge auf dem Spiel für Hillary Clinton. Hier, in dem kleinen Bundesstaat an der Atlantikküste, haben die Clintons seit Jahren einen guten Stand. Hier sind sie gut vernetzt, haben viele Gönner, und hier begann vor 16 Jahren das legendäre Comeback des damaligen Kandidaten Bill Clinton. Der drohte damals im Strudel seiner Affären unterzugehen. Doch in New Hampshire kam er auf Platz zwei - unterstützt von seiner Händchen haltenden Frau. Er wurde das "Comeback Kid".
Zwar werden die beiden kleinen Bundesstaaten Iowa und New Hampshire nur rund hundert der insgesamt über 4000 Delegierten zum Wahlparteitag der Demokraten im Sommer entsenden. Zwar haben drei Präsidenten Wahlen gewonnen, obwohl sie in Iowa verloren hatten. Und richtig ist auch, dass Hillary Clinton in den wichtigen, bevölkerungsreichen Staaten wie New York und Kalifornien in den Umfragen immer noch weit vorne liegt. Sie wählen am 5. Februar, dem entscheidenden "Tsunami-Dienstag". Doch die Ergebnisse in den "early states" setzen einen Trend. Sie küren strahlende Sieger. Und verbitterte Verlierer.
Obama steht für Wechsel - und Versöhnung
Und der Sieger bei den Demokraten heißt im Moment Barack Obama. "Es wird in New Hampshire einen Iowa-Bonus für Obama geben", meint der Meinungsforscher John Zogby. Noch vor wenigen Wochen lag er auch in New Hampshire weit hinter Hillary Clinton zurück. Gestern lagen die beiden bereits gleichauf. Denn offenbar spricht seine Botschaft der Versöhnung, der Einheit und des guten Amerikas auch die wichtigen Wechselwähler an - jene rund 20 Prozent der Wähler, die bei der Präsidentenwahl im kommenden November möglicherweise entscheidend werden. Und in New Hampshire gelten mehr als 40 Prozent der Wähler als "unabhängig".
"Go negative", heißt das Motto, das Hillary Clinton am kommenden Dienstag den dringend notwendigen Sieg in New Hampshire bringen oder zumindest eine zweite klare Niederlage verhindern soll. Sie werde die "Gegensätze schärfer herausarbeiten", hatte sie angekündigt. Die Phase "Nett in Iowa" sei vorbei, orakelten ihre Berater. Und folgerichtig kam es gestern Abend zum ersten Showdown. Während der Fernsehdebatte in der traditionsreichen katholischen St. Anselm Universität in Manchester. musste Hillary Clinton eine beinahe unmögliche Aufgabe meistern. Sie musste aggressiv sein und gleichzeitig warmherzig, sie musste ebenso unnachgiebig sein, wie einfühlsam. Und sie musste das Zauberwort "Change" endlich, endlich für sich reklamieren.
"Nett in Iowa" ist als Taktik vorbei
Rechts außen saß sie, in grüner Bluse, grün wie die Hoffnung wohl. Ernst, angespannt, im Publikum saß ihre Tochter Chelsea, blass, angespannt. Und dann legte sie los. Stellte Obama als wankelmütigen Nichtstuer dar. Seine angeblich wechselnden Positionen in wichtigen Fragen wie bei der Finanzierung des Irak-Krieges und der Gesundheitsreform. "Man sollte die Bilanz jedes einzelnen Kandidaten prüfen", forderte sie. Und präsentierte sich als Garant der Veränderung, als harte Arbeiterin, die im Senat Gesetze durchsetzte. "Ich habe Veränderung gebracht", rief sie, laut und wütend, und beinahe überschlug sich ihre Stimme dabei. "Ich biete 35 Jahre Erfahrung darin an, Veränderung zu schaffen. Ich verkörpere Veränderung!" Die Lippen gespitzt, den Rücken durchgestreckt, die Augen funkelnd. "Und ich kann Ergebnisse vorweisen. Taten, nicht nur Worte." Trotzig klang sie, wütend, nunmehr die alte Hillary, ganz auf Angriff gepolt. Sie, die schon immer gegen den Rest der Welt gekämpft hat.
Wohl wahr. Sie hat 35 Jahre Erfahrung, ein ganzes Leben. Aber er will das ganze Land mitnehmen auf eine Reise in die Zukunft. Und er will die Welt verändern. Knapp und freundlich konterte Barack Obama, stets positiv: "Wir haben alle gute Arbeit geleistet." Und präsentierte sich cool als Oberkommandierender, als einer mit echtem Präsidentenformat. Eisenhart entgegnete John Edwards, zweiter Sieger von Iowa: "Immer, wenn die Rede auf echte Veränderung kommt, dann schlagen die Vertreter des Status Quo zurück."
Hillary will Taten - nicht Worte
Hillary Clinton, die Vertreterin des Status Quo. Sie fordert Taten, nicht nur nette, hoffnungsfrohe Worte. Doch die Uhr tickt. Sie hat noch zwei Tage. Sie weiß, jetzt erreicht der "Iowa-Effekt" den Bundesstaat New Hampshire. In den vergangenen 24 Stunden wurden vier Umfragen aus New Hampshire veröffentlicht - zwei davon zeigen Barack Obama in deutlicher Führung. "Warum mag man Obama eigentlich mehr als Sie?" wurde sie gestern Abend gefragt. Da lachte sie zum ersten Mal und sagte: "Ja, er ist wirklich nett. Aber ich denke, so schlecht bin ich wohl auch nicht." Vielleicht.