US-Wahl Kinder würden Barack wählen

Von Jan Christoph Wiechmann, New York
Die Kinder Amerikas haben sich schon längst auf die Seite von Barack Obama geschlagen. Und sie finden es ziemlich daneben, wenn die Alten sich dem versperren.

In unserem Wohnzimmer steht ein Junge und ballt seine Faust, als habe Michael Ballack gerade ein Tor geschossen - so wie andere Jungen seines Alters das wahrscheinlich tun. "Gib's ihm", ruft der Junge, "schlag zurück, lass dir das nicht gefallen". Es klingt weniger nach Fußball als nach einem Boxkampf, aber im Fernsehen läuft weder Fußball noch Boxen, sondern eine Rede Barack Obamas aus dem Staat Indiana. Es ist 22.15 Uhr am Freitagabend in einem ganz normalen Wohnzimmer in Brooklyn, New York.

Der Junge ist 10 Jahre alt und mein Sohn und muss morgen wieder früh aufstehen, aber soll man ihm an einem Freitagabend seine Leidenschaft nehmen, die Politik? Weniger die Politik, eher Obama. Mein Junge ist nicht politisiert, sondern obamasiert. Um 23 Uhr sagt er: "Ich will jetzt noch die Bill-Maher-Show gucken, um zu sehen, wie sie McCain da fertig machen."

Er hat immer eine Entschuldigung. Er muss die TV-Debatten zwischen McCain und Obama sehen, weil es auf den Ausgang der Debatten eben ankomme, und dann muss er Obamas Rede in Ohio sehen, weil es nun wirklich auf das Ergebnis im umkämpften Staat Ohio ankomme. Er trägt sein Obama-T-Shirt, das ziemlich ausgewaschen aussieht, weil er seit einem halben Jahr kaum etwas anderes trägt und gern noch ein anderes Obama-Shirt hätte, das mit der Sonnenbrille und dann noch eines mit der Aufschrift "Making History" und eines mit der Aufschrift "Mission Possible". Es gibt inzwischen etwa 250 verschiedene Obama-T-Shirts und Obama-Bettwäsche und Obama-Lollis. Man stelle sich für einen Augenblick einen 10jährigen Jungen in Angela-Merkel-Bettwäsche vor.

Es ist ja gut, dass sich Kinder für die große Politik interessieren, denke ich, aber ihre Leidenschaft geht ziemlich weit. Fast alle Kinder seiner Klasse tragen Obamashirts - die schwarzen Kinder, die weißen, die Latinos, man wird keine Freundin abkriegen mit einem McCain-Shirt, sagt mein Junge. Sie tragen die Shirts in der Schule. Sie tragen sie auf Ausflügen. Sie tragen sie als Nachthemden. Die Lehrer könnten es verbieten, aber weit würden sie damit nicht kommen. Die Lehrer selbst legen die Elternabende so, dass man ja keine Fernsehdebatte zwischen Obama und McCain verpasst.

Barack Obama ist so etwas wie der erste Star im Leben unserer Kinder, nicht etwa Miley Cyrus oder Beyonce oder P.Diddy oder Kobe Bryant oder Derek Jeter, der so etwas wie der Michael Ballack des amerikanischen Baseballs ist. Sie werden sich ewig an den Schwarm ihrer Jugend erinnern, so wie wir uns an die Bay City Rollers oder Smokie erinnern. Wenn es nach der amerikanischen Jugend geht, würde Obama Resultate wie in Europa erzielen. 90 Prozent oder mehr. Erich-Honecker-Ergebnisse.

Man ahnt, was andere Eltern dazu sagen. Die Kinder seien indoktriniert von ihren Eltern. Für einige mag das zutreffen, aber viele dieser Kinder brachten Obama mit nach Hause wie einen guten Freund. Sie brachten das Obama-Musikvideo "Yes we can" nach Hause. Sie kennen es auswendig. Sie singen: "We want Change. Yes we can. To opportunity and prosperity. Yes we can. Heal this nation. Yes we can. Repair this world." Ihre Eltern mochten für Hillary Clinton sein (davon gab es ein paar in New York) oder für John McCain (davon gibt es eher keine in New York), aber die Kinder sind allesamt für Obama. Da gibt es manche Kämpfe zu Hause. Wie kannst du nur für Hillary sein, sagten einige Kinder. Es geht ihnen dabei nicht um das Wahlprogramm, sondern um die Coolness. Aber auch um etwas mehr als Coolness. Um Zukunft. Vertrauen. Hoffnung. Irgendwie gehört ihnen dieser Kandidat, glauben sie, und sie finden es ziemlich daneben, wenn die Alten sich dem versperren.

Es wächst da eine politische Generation heran. Sie werden sich genau so an diese politischen Jahre erinnern, wie die 68er sich an John F. Kennedy erinnern. Man kann einiges gegen Obama sagen - die manchmal inhaltsfreien Reden, den etwas irrationalen Starkult - aber er elektrisiert die Kinder, die Jugend, die Studenten. Wenn man sie fragt, wofür er steht, sagen sie, dass er cool ist, aber sie sagen auch: für Frieden, Gerechtigkeit, gegen Rassismus. Nicht das Schlechteste. In erster Linie symbolisiert Obama für sie - die im sehr bunten, sehr gemischten New York aufwachsen - eine friedliche, bunte Zukunft. Obama ist schwarz, aber auch ein bisschen weiß, ein bisschen Hawaii und Indonesien und Kenia, irgendwie ein bisschen wie New York. Er ist jung und seine Kinder sind noch jung, und sie finden sein Lachen niedlich und seinen Gang cool und wie er Basketball spielt und wie er seine Frau mit der Faust grüßt. Nicht das Schlechteste, wenn ihr Vorbild ein sportlicher, eloquenter, intelligenter Kopf ist, denken sich da die Eltern. Statt eines sexistischen Rappers oder einer koksenden Sängerin.

Inzwischen ist natürlich auch unsere siebenjährige Tochter für Obama und unser fünfjähriger Sohn, und schon beschweren sie sich, warum der Älteste spät am Abend Obama gucken darf und sie nicht. "Papa, wir sind doch Obama", fragt der Jüngste, und es klingt wie: Wir sind doch Katholiken. Oder: Wir sind doch Deutsche. In drei Tagen sind Wahlen. Die Kinder werden bis zum Ende aufbleiben dürfen, bis Obama gegen 23 Uhr in Chicago seine Siegesrede halten wird. Und wenn er nicht gewinnt? Dann wird ihr Herz brechen. Ernsthaft. Das könnten sie nicht verstehen. Da nähme ihnen jemand etwas von ihrer Zukunft. Dann nähmen ihnen die Alten etwas weg.

Und wenn er gewinnt? Dann werden sie vielleicht noch ein paar Wochen glücklich sein und irgendwann wieder den Kinderkanal gucken.

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