Professor McCoy, Sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit Folter. Können die neuen Bilder aus Abu Ghreib Sie noch schocken?
Oh ja. Es wird immer verstörender. Auf einigen Fotos ist die Freude der Peiniger regelrecht zu erkennen. Es ist sadistisch, pervers und hat System. Das passiert, wenn die Dinge komplett außer Kontrolle geraten. "Ein bisschen Folter" gibt es eben nicht. Ich bin gespannt, was für Material noch an die Öffentlichkeit gelangen wird. Denn diese Bilder stammen von frustrierten Leuten aus dem Pentagon.
Die dafür weltweite Proteste und weiteren Imageverlust ihres Landes in Kauf nehmen?
So ist es. Ich weiß von genügend Militärs, die von der Art und Weise, wie die Bush-Regierung mit Folter umgeht, derart angewidert sind, dass sie sogar Geheimnisse preisgeben. Sie tun das nicht gern, aber das ist ihr einziges Mittel des Protestes. Sie wollen Aufmerksamkeit, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen.
Sie behaupten, dass Folter und Missbrauch in Abu Ghreib auf die CIA zurückgehen. Was macht Sie so sicher?
Als ich die ersten Bilder aus Abu Ghreib sah, wusste ich sofort, dass das die Handschrift der CIA ist. Das berühmte Foto von dem verkabelten Kapuzenmann auf der Holzbox ließ nicht den geringsten Zweifel zu: Dies ist ein Produkt offizieller Politik und alter CIA-Verhörmethodik. Die neuen Bilder bestätigen das nur. Diese Gefangenen wurden psychologischer Folter ausgesetzt.
Woran erkennen Sie das?
Es gibt zwei klare Merkmale: die ausgestreckten Hände, die dazu führen, dass sich das Opfer selbst Schmerz zufügt. Und das Vermummen. Die Kombination aus diesen beiden Methoden gehört zu den eindeutigen Mustern der psychologischen Folter. Und die wurde im Auftrag der CIA und anderer alliierter Geheimdienste schon vor mehr als 50 Jahren während des Kalten Krieges entwickelt. Das ist eine Tatsache.
Aber Sie reden von Techniken, nicht von direkter Beteiligung von CIA-Personal.
Doch. Die Zellblöcke in Abu Ghreib teilten sich die CIA und der US-Militärgeheimdienst. Auf einigen der neuen Fotos ist die Abkürzung "OGA" zu erkennen, was für "Other Government Agency" steht. Das ist die CIA. Deren Verhörmethoden wanderten im Laufe der Jahre ins Repertoire der Militärs. Die CIA exportierte sie rund um den Globus. Und nun bedient sich auch das US-Militär aus diesem Fundus.
Können Sie diese Methoden etwas genauer beschreiben?
Sie gehen zurück auf die frühen 50er Jahre. Ich nenne es das "Manhattan Project des Geistes". Ähnlich wie zuvor beim Bau der Atombombe versammelten Briten, Amerikaner und Kanadier damals Wissenschaftler und setzten ein geheimes Forschungsprogramm in Gang. Sie experimentierten mit bewusstseinserweiternden Drogen, ohne großen Erfolg. Der Durchbruch kam, als ein kanadischer Psychologe die Wirkung von Sinnesentzug entdeckte. Es war eine Revolution in der Folterpraxis.
Sinnesentzug?
Ja, diese Art Folter attackiert die Sinne. Sie beraubt die Menschen der Sinneswahrnehmungen des Sehens, Hörens und Riechens und des Gefühls für Zeit. Man setzt Gefangenen eine dunkle Brille auf oder zieht ihnen eine Kapuze über den Kopf und versiegelt die Ohren mit Stöpseln - binnen 48 Stunden werden aus diesen Leuten Psychotiker. Sie brechen zusammen. Die Opfer leiden unter unglaublicher Isolation und wenden sich schließlich in ihrer Not sogar an die Befrager. Sie wollen reden, sie flehen, sie brauchen Kontakt. Sie machen sich sogar selbst für die Situation verantwortlich. Dieser psychische Kollaps führt schließlich zu einer tiefen Verbindung mit den Befragern. Ganz anders als physische Folter, die lediglich Feindseligkeit und Abneigung auslöst. Physische Folter, das wussten schon die Römer, bringt nichts. Menschen gestehen alles unter Schmerzen.
Und dennoch ließen und lassen die Amerikaner auch physisch foltern?
Ja. Wenn Sie Tausende von Leuten foltern, erhalten Sie natürlich Informationen. Die Frage ist nur, welchen Wert die haben und welche politische Kosten sie verursachen. Die Franzosen folterten vor der Schlacht um Algier, die sie gewannen. Aber sie verloren den Krieg. Die Amerikaner folterten in Vietnam und verloren den Krieg. Auch jetzt erleben wir, dass körperliche Misshandlungen Falschaussagen produzieren. Der Terrorverdächtige Ibn al-Sheikh al-Libi wurde mit großer Wahrscheinlichkeit gefoltert und erzählte seinen Befragern, dass die Iraker Al-Qaeda-Mitglieder im Umgang mit Chemiewaffen trainiert hätten. Das benutzte Colin Powell sogar in seiner Rede vor den Vereinten Nationen. Nichts davon stimmte. Psycho-Folter, ich bezeichne sie als "No-touch-Folter", ist effektiver. Und was im so genannten Krieg gegen den Terrorismus passiert, ist die Perfektionierung des Ganzen.
Was meinen Sie mit Perfektionierung?
Die Vorgehensweise bezieht inzwischen auch die kulturellen Eigenarten und Sensibilitäten mit ein. Maßgeschneiderte Folter gewissermaßen. Nacktheit beispielsweise löst in der arabischen Welt große Scham aus. Und nun schauen Sie sich die Bilder an. Nackte Männer, masturbierend, erniedrigt. In Guantánamo wurden sogar Psychologen und Psychiater integriert, die individuelle Schwächen der Gefangenen ausloten und mit ihren Ängsten und Phobien arbeiten. Etwa die Angst vor Hunden, auch das sehen Sie verstärkt auf den neuen Fotos. Guantánamo ist de facto ein Folter-Laboratorium. Von dort breiteten sich die Verhörmethoden wie ein Lauffeuer aus.
Buchhinweis
Alfred McCoy: "Foltern und Foltern lassen - 50 Jahre Folterforschung und -praxis von CIA und US-Militär", Zweitausendeins-Verlag, 14,90 Euro
UN-Generalsekretär Kofi Annan hat in der vergangenen Woche die Schließung des Stützpunktes gefordert. Ist das Träumerei?
Das war ein außerordentlich mutiger Vorstoß, fast ein historischer Tag. Annan hat die Vereinigten Staaten in noch höflichen Worten als Geächtete gebrandmarkt. In den Augen der Welt sind wir so etwas wie ein moralischer Schurkenstaat. Amerika ist am Scheideweg: entweder Folter tatsächlich abschaffen oder der internationalen Gemeinschaft weiter trotzen. Sie können sich ja vorstellen, wie das ausgeht.
Außenministerin Condoleezza Rice und Präsident Bush betonen immer wieder ...
... dass die amerikanische Regierung Folter nicht unterstützt und genehmigt. Ich weiß. Es ist eben alles eine Frage der Definition. Die USA haben ja auch 1994 die Anti-Folter-Konvention der UN unterschrieben. Allerdings mit vier kleinen und entscheidenden Zusätzen. Alles, was in den Bereich der psychologischen Folter fällt, ist davon ausgeschlossen.
Aber es gibt doch auch genügend dokumentierte Fälle von körperlicher Tortur. Sprechen die Bilder nicht für sich?
Das stimmt. Aber falls Sie Frau Rice damit konfrontieren könnten, würde die sagen: "Das verurteilen wir. Leute, die so etwas machen, gehören angeklagt." Achten Sie darauf: Wenn die Bush-Regierung von Folter spricht, geht es immer nur um physische, nie um psychologische Folter. Das ist kein Zufall. Das ist Methode. Und die Verantwortung dafür trägt am Ende der Präsident. Die Befehle nach dem 11. September kamen von ganz oben, aus dem Weißen Haus. Aber in diesem Land herrscht eine merkwürdige Zurückhaltung vor allem in den Medien, die Spuren bis ins Oval Office zurückzuverfolgen.
Immerhin hat Bush, wenn auch widerwillig, die Gesetzesinitiative von Senator John McCain unterstützt. Sie verbietet fortan "inhumane Behandlung von Gefangenen" ...
Wenn's so wäre. Dies war der vierte Anlauf in 30 Jahren, Folter zu bannen. Das vierte Mal! Und immer fand die Regierung ein Schlupfloch, und sie machten weiter. Genau das ist wieder passiert. Kaum waren die Hände geschüttelt und der Gesetzentwurf offiziell abgesegnet, machte ihn der Präsident wieder zunichte. In einem schriftlichen Zusatz, einem "signing statement", heißt es, dass es ihm nach wie vor freisteht, alles zu veranlassen, was zur Verteidigung Amerikas dient. Das hat Bush am Abend vor Silvester unterzeichnet, und niemand hat's richtig mitbekommen. McCains Gesetzentwurf ist also genau ins Gegenteil verkehrt worden - in die Legalisierung der Folter. Es war eine legislative Scharade und viel schlimmer, als ich in meinen düstersten Albträumen befürchtet hatte.
Interview: Michael Streck, Jan Christoph Wiechmann