Ein Jahr nach seinem leidenschaftlichen Plädoyer für ein Eingreifen im Irak vor dem Weltsicherheitsrat hat US-Außenminister Colin Powell Zweifel an der Entscheidung für den Krieg geäußert. Auf die Frage, ob er sich für den Krieg ausgesprochen hätte, wenn damals bekannt gewesen wäre, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen hatte, antwortete Powell in einem am Dienstag veröffentlichten Interview der "Washington Post": "Ich weiß es nicht." Unterdessen kündigte einen Tag nach US-Präsident George W. Bush auch der britische Premierminister Tony Blair eine Untersuchung zu möglichen Geheimdienstpannen vor dem Irak-Krieg an.
Die Berichte über irakische Lager mit Massenvernichtungswaffen seien das letzte entscheidende Glied in der Erkenntniskette gewesen, wonach der Irak eine echte und akute Gefahr für die Region und die Welt dargestellt habe, sagte Powell zur Begründung seiner Zweifel. Der Außenminister betonte jedoch, der gestürzte irakische Präsident Saddam Hussein habe die Absicht gehabt habe, biologische und chemische Waffen zu erwerben. Die Geschichte werde zeigen, dass die Entscheidung zum Krieg richtig gewesen sei.
Die Abwesenheit von Waffen-Lagern bringt Powell zum Nachdenken
Powell hatte in seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003 detaillierte Informationen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen vorgelegt und damit der Welt die Begründung für einen Krieg präsentiert. Wie die "Post" berichtete, versuchte Powell in dem Interview nun die damalige Begründung mit der heutigen Realität in Einklang zu bringen. Er gestand aber ein, dass die "Abwesenheit von (Waffen)-Lagern die politische Berechnung verändere".
Tony Blair ringt sich zu einem parteiübergreifenden Gremium durch
Blair sagte vor einem Ausschuss des Unterhauses in London, ein parteiübergreifendes Gremium solle "das Geheimdienstmaterial prüfen, das wir bekommen haben, und ob es korrekt war oder nicht". Er wolle aber nicht, dass nun wieder der Vorwurf untersucht werde, die Regierung habe das Geheimdienstmaterial aufgebauscht, sagte Blair. Diese Beschuldigung habe bereits der Untersuchungsbericht von Lord Hutton widerlegt. Kritiker des Irak-Krieges wie der ehemalige Außenminister Robin Cook warfen Blair vor, er wolle die Schuld für den ungerechtfertigten Krieg jetzt wohl auf die Geheimdienste abwälzen.
Spitzfindig: "Massenvernichtungswaffen-Programm" auch ohne Waffen
Geleitet wird die Untersuchung von dem ehemaligen Spitzenbeamten Lord Robin Butler, der sowohl unter Blair als auch unter dessen konservativen Vorgängern diente und deshalb als unabhängig gilt. Blair erläuterte, er habe sich nach den Aussagen des zurückgetretenen US-Waffeninspekteurs David Kay zu der Untersuchung entschlossen: "Es ist wahr, dass David Kay sagt: „Wir haben keine großen Lager richtiger Waffen gefunden.“", sagte Blair. Kay habe jedoch nicht gesagt, dass Saddam Hussein kein "Massenvernichtungswaffen-Programm" besessen habe. Der Krieg sei auf jeden Fall richtig gewesen.
Weiterhin Opfer von Gewalt im Irak
Der andauernden Gewalt im Irak fielen am Dienstag sechs Iraker zum Opfer, darunter ein Kind, das nahe der Stadt Kirkuk von einer amerikanischen Granate getroffen und getötet wurde. Drei weitere Kinder seien dabei verletzt worden, hieß es in Polizeikreisen. Die Kinder hätten fünf Kilometer außerhalb der Stadt Ball gespielt. Soldaten auf einem US-Stützpunkt im Flughafen von Kirkuk hätten vermutet, dass in der Gegend Angriffe gegen die Koalitionstruppen geplant würden.
Nach Angaben des arabischen Nachrichtensenders El Dschasira erschossen US-Soldaten und irakische Polizisten in Kirkuk noch zwei weitere Iraker. Die Männer hätten den Stützpunkt im Flughafen mit Katjuscha-Raketen angreifen wollen, hieß es unter Berufung auf Polizeiquellen. In der zentralirakischen Stadt Kerbela erschossen Unbekannte drei irakische Polizisten. Ein weiterer Polizist habe den Angriff überlebt, berichtete der Sender.