Bis tief in den Magen kann man die Druckwellen der Böller spüren. Abertausende haben sich am Rathausmarkt in Valencia versammelt, stehen so eng, dass einem die Haare des Nachbarns ins Gesicht flattern. Alles, um dieses Spektakel zu erleben: Die besten Pyrotechniker des Landes feuern eine ausgeklügelte Abfolge an Knallern ab, die so stark sind, dass jeder illegale Böller in Deutschland dagegen verblasst. Es ist die letzte der sogenannten Masclètas – Feuerwerksshows, die Anfang März jeden Nachmittag um 14 Uhr stattfinden. Jetzt leiten sie den letzten und wichtigsten Tag des größten valencianischen Volksfestes "Las Fallas" ein – einer der Tourismusmagneten für die Stadt.
Doch dort, wo jetzt gefeiert wird, wurde vor Kurzem noch getrauert: Fünf Monate sind seit der schlimmsten Flutkatastrophe in Spaniens jüngerer Geschichte, die mehr als 200 Menschen das Leben kostete, vergangen. Vor allem die Bilder aus Valencias Vororten sind in Erinnerung geblieben. Der Schlamm, die zerstörten Häuser, die verzweifelten Anwohner. Wie passt das zu Strand, Sonne, Kultur? Denn dafür steht Valencia eigentlich. Kann man wieder dorthin reisen – oder sollte man es sogar jetzt tun, um der Region zu helfen?

"Wir spüren die Einbrüche bis heute", sagt Touristenführer Boris Strzelczyk während er gemeinsam mit Eline Van den Heuvel, ebenfalls Touristenführerin, durch das Innenstadtviertel El Carmen läuft. Auch hier stehen die gewaltigen, quietschbunten Ninots: Statuen, über ein Jahr lang geplant, gestaltet, liebevoll gebaut – nur damit sie an diesem Märzabend in Flammen aufgehen. Mehrere hundert Nachbarschaftsvereine, Fallas-Kommissionen genannt, organisieren den Bau der Statuen. Eine Tradition zu Ehren des heiligen Josefs, Schutzpatron der Handwerker.
Alle Kunden hatten ihre Reisen abgesagt
Deutschspanier Strzelczyk ist Touristenführer für Architekturinteressierte. Meist führt er Deutsche zu den interessantesten Bauten, wie etwa der ikonischen Stadt der Künste und Wissenschaften. Eine Nische im Tourismus, die vor allem über lang im Voraus geplante Gruppenreisen funktioniert. Als die Bilder der Überflutungen um die Welt gingen, hätten praktisch alle seine Kunden ihre Reisen abgesagt, erzählt er. Er habe 80 Prozent seiner Aufträge für das Frühjahr verloren. "Das merkt man natürlich in der Kasse."

Las Fallas sind, wie der deutsche Karneval, zumindest in Teilen politisch. Strzelczyk und Van den Heuvel bleiben an einem riesigen blauen Kreisel stehen, der in aufgeschüttetem Sand liegt. Ein Ninot, der auf die Folgen der Katastrophe hinweist: Unten am Kreisel ist ein Muster eingelassen, das eine Karte der Flutgebiete in den Sand drückt – und dann wieder auslöscht. Aus "Dana", dem Namen des Unwetterphänomens, wird auf der Rückseite des Kreisels "Nada" – nichts.

"Es war merkwürdig makaber, in der Zeit nach der Flut mit Touristen zu telefonieren, die wissen wollten, ob sie ihre Reise jetzt noch machen können", sagt Van der Heuvel. Viele Touristen hätten nicht verstanden, dass die Stadt Valencia keinen Schaden davongetragen habe. Es waren vor allem die südlichen Vororte und umliegende Dörfer, wo die Zerstörung am größten war. Die Verwirrung kam auch deshalb auf, weil die Region, das Bundesland und auch die Stadt Valencia heißen. "Ich habe besorgte Anrufe bekommen, ob es mir gut geht", sagt Van der Heuvel. Dabei hatte es im Stadtzentrum bloß genieselt.
Einen Appell haben beide an die Touristen, die nun nach Valencia kommen: Die sollten Interesse an der Flut zeigen und Anteil nehmen am Schicksal der Menschen. Das ginge auch bei den Fallas, indem man sich nicht ausschließlich die großen, bunten Statuen ansehe, sondern auch die kleineren, sozialkritischeren, sagt Strzelczyk. Die seien häufig auch aus nachhaltigeren Materialien gebaut – statt Styropor kommt wieder mehr Spanholz zum Einsatz.
Valencia lebt vom Tourismus
Mittlerweile normalisieren sich die Besucherzahlen. Das zeigen Daten der Tourismusstiftung Visit Valencia. Demnach haben im Januar 2025 157.537 Menschen in der Stadt übernachtet, das sind zwar 4,3 Prozent weniger als im Vorjahresmonat, aber beinahe genauso viele wie im Januar 2023. Besonders unter den deutschen Besuchern gingen die Zahlen aber zurück. Von den ausländischen Touristen machen sie eigentlich eine der wichtigsten Gruppen aus. Für Valencia ist der Tourismus eine der Haupteinnahmequellen. 280.000 Arbeitsplätze hängen davon ab.
Der Tourismussektor habe monatelang Aufklärung betrieben, dass die touristischen Sehenswürdigkeiten der Stadt unbeschadet geblieben seien, sagt Tono Franco, Direktor der Stiftung. Das Beste, was die Menschen tun könnten, um jetzt zu helfen: weiter herkommen. "Viele der Betroffenen der Flut arbeiten im Tourismussektor. Ihr Lebensunterhalt hängt davon ab."
Am letzten Tag der Fallas ist auf den Straßen Valencias kaum ein Durchkommen. Ganz in der Nähe des Rathausmarktes schiebt sich Roland Harbinger mit seinem Freund Uwe durch die Menschenmenge. Mit seinem braunen Lederhut fällt der Lautersteiner in der Menge auf.
"Valencia ist die schönste Stadt in Spanien", schwärmt er. Die Flut sei für ihn kein Faktor in seiner Urlaubsplanung gewesen. Er habe schon seit Jahren zu den Fallas kommen wollen – und nun, da habe es endlich geklappt. Die Stimmung sei "gigantisch", trotz des Nieselwetters, sagt Harbinger und grinst breit.
Wurde zu spät vor der Flut gewarnt?
Freund Uwe, der eine Wohnung in der Stadt hat, ist etwas pessimistischer: Die Bewohner seien gereizter, sagt er. Die politischen Streitigkeiten seit der Flut hätten hier einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Immer wieder gingen in den letzten Monaten tausende Menschen in Valencia auf die Straße, um gegen Regionalpräsident Carlos Mazón zu protestieren. Die Regionalbehörden – so der Vorwurf – hätten die Anwohner zu spät vor der Flut gewarnt. "Davon bekommt der normale Tourist aber bisher nichts mit", sagt Uwe.
Offiziellen Angaben zufolge haben die Besucherzahlen des Festes dieses Jahr Rekorde gebrochen – obwohl das Abschlussfest auf einen Mittwoch fiel und die Sonne nicht wie sonst ununterbrochen schien. Mehr als eine Million Menschen sollen das Fest demnach besucht haben. Es klingt wie ein Neuanfang nach einer furchtbaren Pause. Und die Fallas locken Touristen an, aber eben nur eine bestimmte Art von Tourismus. Eher den, der durch die Straßen zieht und an den vielen Ständen Churros und Bueñuelos de Calabaza isst, die für die Fallas typischen frittierten Kürbiskringel.
Niemand will schick essen gehen, wenn fünf Kilometer weiter die Leichen ausgegraben werden
In Ruzafa, einem valencianische Szeneviertel, wirft ein Hilfskoch Fischköpfe in einen Topf. Daraus wird der Fischfonds für den Arroz brut, den "schmutzigen Reis", den Sternekoch Bernd Knöller neu auf der Karte hat. Geheimzutat: getrocknete, pulverisierte Tintenfischinnereien. "Die Fallas sind für Restaurants wie meines nicht attraktiv", sagt der gebürtige Schwarzwälder, der seit 2001 das Edelrestaurant Riff in Valencia führt. Rund 50 Prozent seiner Kunden kommen aus dem Ausland, hin und wieder auch Deutsche, aber eher selten. "Der Deutsche, der nach Valencia kommt, sucht Authentizität und keinen Mann aus dem Schwarzwald", sagt Knöller.

Reservierungen durch ausländische Kunden seien zwei Monate nach der Flut komplett weggefallen. Erst langsam füllen sich die Reihen wieder. "Niemand will schick essen gehen, wenn fünf Kilometer weiter die Leichen ausgegraben werden." Wichtiger sei ohnehin die Hilfe für die Menschen vor Ort gewesen. Ein Teil seiner Mitarbeiter wohne in den betroffenen Gebieten. "Der Tourismus kommt ja wieder – wichtig war es, in diesem Moment denjenigen zu helfen, die es wirklich brauchen."
Es wird Abend. Die Fallas neigen sich ihrem Ende zu, langsam kriechen Feuerwehrwagen zu den Kreuzungen und Straßenecken, an denen die bunten Fantasie-Statuen aus Styropor und Holz aufragen.
Dann ist es so weit: Auftritt der Fallera Mayor, einer auserwählten Frau des Nachbarschaftsvereins, vielleicht vergleichbar mit einer Weinkönigin. Sie tritt in traditionellem Rüschenkleid, Haarschmuck und Schärpe an eine Lunte heran und setzt sie in Brand. Jetzt geht alles ganz schnell: Kleine Explosionen verwandeln sich in größere und der Ninot geht in Flammen auf. Allerdings nur kurz: Zu nass sind viele der Statuen geworden. Die Einsatzkräfte müssen immer wieder mit Benzin nachhelfen und Einzelteile des Gebildes in die Flammen werfen.
Und am Ende, gegen Mitternacht, brennen sie doch, die Ninots, in der ganzen Stadt. Das Feuer hat das Wasser besiegt – zumindest an diesem Abend.