Wenn US-Präsident George W. Bush in die nicht allzu weite Ferne blickt, sieht er blühendes Leben im Nahen Osten. Demokratische Regierungen, friedliebende Nachbarn für Israel und ein künftiges Palästina, dynamisches Wirtschaftswachstum und munteren Handel. Der Aufbruch in die schöne neue Welt kommt nach Überzeugung von Bush mit der Beseitigung des Saddam-Regimes in Bagdad. Nahostexperten und Kongressabgeordnete betrachten die rosige Zukunftsvision allerdings mit Skepsis.
Irak als leuchtendes Beispiel
Geht es nach Bush, wird der neue Irak ein leuchtendes Beispiel für die anderen Nationen im Nahen Osten. "Ein befreiter Irak kann die Macht der Freiheit demonstrieren, die eine wichtige Region umkrempeln kann, in dem sie Hoffnung und Fortschritt in das Leben von Millionen Menschen bringt", sagte Bush. "Eine neue Regierung im Irak würde als dramatisches und leuchtendes Beispiel der Freiheit für andere Nationen der Region dienen." Das hält der Nahostexperte des Sarah Lawrence College, Fawaz Gerges, für blauäugig. "Die US-Regierung scheint die komplexe und schwierige Aufgabe des Wiederaufbaus einer Nation im Irak zu unterschätzen, ganz zu schweigen von einer Demokratisierung", sagte Gerges der "Washington Post".
Nahostexperten fragen sich, ob die US-Regierung die wütende Stimmung in den Straßen von Algiers, Kairo und Beirut nicht unterschätzt. Sie fürchten, dass die jungen Leute sich, empört über die amerikanische Einmischung im Nahen Osten, radikalen Gruppen anschließen könnten. Zaghafte Versuche, auf eine moderate Öffnung der geschossenen Gesellschaften zu setzen, hätten damit kaum eine Chance. "Wenn dies mit einer amerikanischen Präsenz im Irak endet, haben die Leute nur eine Bezeichnung dafür: Besatzung", sagte der ägyptische Professor Mohammed Kamal der "Washington Post". Die Konsequenz, so US-Senator Edward Kennedy: "Krieg im Irak, besonders ohne breite internationale Unterstützung, wird wahrscheinlich mehr El-Kaida-Terrorattacken gegen Amerikaner hervorbringen."
Es sei eine Utopie anzunehmen, dass der Irak und andere Länder der Region nach jahrzehnte langer Unterdrückung plötzlich als blühende Demokratien wieder auferstehen könnten, warnen andere. Bush weist diese Kritik zurück. "Es ist anmaßend und beleidigend zu behaupten, dass eine ganze Region der Welt oder das Fünftel der Menschheit, das moslemischen Glaubens ist, von den ganz grundsätzlichen Bedürfnissen des Lebens unberührt ist", sagte Bush. "Freiheit und Demokratie werden immer und überall stärker geschätzt als die Schlagworte des Hasses und die Taktik des Terrors."
Bushs Vision gleicht Zwangsbeglückung
Die Bush-Regierung will den Irakern den Start in die demokratische Zukunft mit allerlei Hilfen schmackhaft machen. Mit den ersten Truppen sollen hunderttausende Nahrungsmittelrationen in den Irak gebracht werden, "damit die Leute merken, dass es ihnen mit der US- Präsenz auf einen Schlag besser geht", wie es ein Regierungsbeamter formulierte. 17 Kommissionen sollen Reformen im Irak vorantreiben: von einer neuen Verfassung über die Gesundheitsversorgung und das Bankenwesen. In den anderen Ländern der Region sollen zarten Pflanzen der Öffnung, die Bush bereits ausmachte, nach Kräften gefördert werden. Die Regierung will Bürgerinitiativen starten und fördern, die mehr Mitspracherechte fordern. Dafür sind im Kongress 145 Millionen Dollar beantragt.
Eine Art Zwangsbeglückung sieht der demokratische Kongressabgeordnete Charles Rangel in Bushs Vision: "Es ist arrogant, das Leben unserer Soldaten zur Befreiung eines Landes aufs Spiel zu setzen, das nicht darum gebeten hat. Es ist arrogant zu glauben, wir können (den ganzen Nahen Osten) befreien, ob die Leute es wollen oder nicht."