Die Sozialdemokraten (SPÖ) haben überraschend die Parlamentswahl in Österreich gewonnen. Mit der Niederlage der konservativen Volkspartei (ÖVP) dürfte Wolfgang Schüssel sein Amt als Kanzler verlieren. Dass künftig SPÖ und ÖVP gemeinsam regieren, gilt als sehr wahrscheinlich. "Es gibt eine klare Logik in Richtung Große Koalition", sagte der Politikwissenschaftler Anton Pelinka. Laut dem vorläufigen amtlichen Ergebnis lag die SPÖ mit 35,7 Prozent vor der ÖVP mit 34,2. Die ÖVP verlor ihre Regierungsmehrheit mit dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ).
Gusenbauer stürmisch bejubelt
Die SPÖ erhob bereits Anspruch auf die Regierung. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer wurde von tausenden Anhängern als neuer Kanzler stürmisch bejubelt und gefeiert. "Ich gestehe, dass ich gerührt bin", sagte der 46-Jährige. Im Festzelt der SPÖ wurde mit "Gusi, Gusi" Gusenbauers Spitzname skandiert. "Das ist so ein schönes Gefühl", sagte die Rentnerin Gertraude August. "Ich hab' meinen Freunden gesagt, dass ich meinen Fernseher rauswerfe, wenn Schüssel noch einmal gewählt wird - ich konnte den echt nicht mehr sehen." Nun könne sie ihr TV-Gerät behalten. Schüssel gestand seine Niederlage ein und gratulierte Gusenbauer.
Das von Jörg Haider gegründete BZÖ schaffte es mit 4,2 Prozent über die Vier-Prozent-Hürde. Die ÖVP rutschte im Vergleich zur Wahl 2002 acht Prozentpunkte ab. "Es ist eine herbe Enttäuschung", sagte Schüssel. Das Ergebnis mache ihn nachdenklich. "Ich denke, dass die Situation Österreichs wirklich sehr gut ist. Vergleichen Sie nur unser Land mit anderen Ländern", sagte Schüssel.
Haiders FPÖ verbessert sich
Politikwissenschaftler Pelinka sah Schüssel nach der ÖVP-Niederlage vor dem Ausscheiden aus der Regierung. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schüssel Vizekanzler werden würde", sagte Pelinka. "Wenn es sich nicht noch umdreht, dann ist das der Anfang vom Ende der politischen Karriere von Wolfgang Schüssel."
Die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) konnte trotz der Abspaltung des BZÖ mit 11,2 Prozent ihren Stimmenanteil von 2002 etwas verbessern. Die Grünen steigerten sich leicht und erreichten mit 10,5 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte.
Keine Chance für Rot-Grün
"Für Rot-Grün dürfte es nicht reichen - dieses Ziel haben wir erreicht", sagte der BZÖ-Fraktionsvorsitzende Herbert Scheibner. Die Liste des EU-Abgeordneten Hans-Peter Martin verfehlte den Einzug ins Parlament.
Von den Mandaten her wäre auch eine Mehrheit der ÖVP mit FPÖ und BZÖ möglich. Vor der Wahl hatten jedoch alle Parteien eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sagte dagegen am Wahlabend, seine Partei sei gesprächsbereit.
Peter Hajek vom Meinungsforschungsinstitut OGM sagte, die Große Koalition sei die einzige Möglichkeit für eine stabile Mehrheit. Die Option eines Bündnisses rechts der Mitte hielt er für kaum realistisch. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu einer Koalition von ÖVP, FPÖ und BZÖ kommt", sagte Hajek. FPÖ und BZÖ sind zudem seit der Spaltung zerstritten.
ÖVP feiert gedämpfte Party
"Das ist eine Katastrophe", sagte ein ÖVP-Anhänger zum Ergebnis seiner Partei. "Ich befürchte jetzt eine Große Koalition, was das Schlechteste wäre, was passieren kann", sagte ein anderer Gast bei der sehr gedämpften ÖVP-Wahlparty. Die ÖVP habe nicht ausreichend Wähler mobilisieren können, sagte Hajek. Sie habe den Wahlkampf stark auf den Kanzler ausgerichtet und sei damit gescheitert. "Die ÖVP hat den Wählern angeboten, dass alles so bleibt wie es ist und auf den Kanzler gesetzt", sagte Hajek.
Die ÖVP bildete unter Kanzler Schüssel seit 2000 mit der FPÖ die Regierung. Seit dem vergangenen Jahr regierte sie mit dem BZÖ, das sich unter der Führung von Jörg Haider von der FPÖ abspaltete.
Zur Wahl aufgerufen waren 6,1 Millionen Österreicher. Der Sieg der SPÖ kam überraschend. In Umfragen lag die ÖVP seit Monaten vorn. Im Vergleich zur Wahl 2002 verlor die SPÖ 0,8 Prozentpunkte.