Wahlkampf an der Basis Auf ein Abendessen mit den Obamas

  • von Nora Schmitt-Sausen
Chicken Wings mit dem Präsidenten? In den USA kein Problem. Barack Obama lädt regelmäßig Unterstützer seiner Graswurzelbewegung zum Essen ein. Diese Basisnähe könnte ihm die Wiederwahl sichern.

Mit einem lockeren "Hallo zusammen" betritt Barack Obama ein Restaurant. Er begrüßt seine Gäste per Handschlag. "Hey, Sie müssen der Feuerwehrmann sein, was? Es ist schön, Sie kennenzulernen." Er umschmeichelt seine Gäste: "Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich ist das hier ein großer Spaß." Normalerweise müsse er jetzt mit Mitarbeitern Akten wälzen, statt mit "wirklichen Leuten" zu essen. Am Tisch gibt sich der Präsident offen: "Fragen Sie mich, was immer Sie wollen." Er plaudert mit vollem Mund über Gott und die Welt und seine Präsidentschaft. Zum Abschied nimmt der mächtigste Mann der Welt seine vier Mitesser in den Arm und klopft ihnen freundschaftlich auf die Schulter.

Die Aktion verfehlt ihren Sinn nicht: "Das war eines der besten Essen meines Lebens", sagt Bill Blackwelder und strahlt über das ganze Gesicht. Auch Val Grossmann, Postangestellte aus Colorado, ist rundum happy: "Präsident Obama hat mir Hoffnung gegeben. Als alleinerziehende Mutter aus der Mittelschicht kann ich sagen, dass er sich wirklich kümmert." Mit dem Präsidenten gemeinsam zu essen, sei fast so gewesen als hätte man mit Freunden zusammen gesessen.

Barack, Präsident Clinton und Du

Die "Dinner with Barack"-Aktion ist eine unkonventionelle Idee des Obama-Lagers, um Nähe zum Volk zu demonstrieren. Doch hinter der Initiative steckt ebenso klares Kalkül. Jedes Essen wird nicht nur gnadenlos vermarktet. An jede Einladung, die von Obamas Graswurzel-Bewegung, "Obama for America" verschickt wird, ist der Aufruf zum Geldspenden geknüpft. In den Genuss einer ungestörten Stunde auf Tuchfühlung mit dem US-Präsidenten kommt nur, wer sein Portemonnaie öffnet. Meist reicht aber eine kleine Summe (fünf Dollar), um als potenzieller Tischnachbar Obamas ausgelost zu werden. Doch bei mehr als zehn Millionen Adressaten der digitalen Einladung, füllt sich Obamas Wahlkampfkasse schnell.

"Obama for America" ist wie schon im Jahr 2008 das Herzstück der Kampagne des Demokraten. Und seine effektivste Geldeintreibe-Maschine. Wenn Obamas Anhänger via Internet oder Handy spenden, können sie mit etwas Glück nicht nur ihren Präsidenten treffen, sondern dazu auch noch First Lady Michelle Obama, Bill Clinton oder Stars wie George Clooney und Beyoncé Knowles. Sie alle lassen sich bereitwillig vor den Karren der Obama-Kampagne spannen.

Die Kumpel-Masche zieht

Die ungewöhnliche Nähe zum Volk zahlt sich für Obama tatsächlich in barer Münze aus: Nachdem er als erster amtierender Präsident gleich mehrere Monate hintereinander von Herausforderer Mitt Romney ausgestochen wurde, hat der Demokrat im August wieder den Olymp in der Dollarschlacht erklommen. Er holte mehr Wahlkampfspenden rein als Romney. Im September stellte Obama sogar einen Spendenrekord für dieses Wahljahr auf: Gemeinsam mit der demokratischen Partei sammelte er 181 Millionen Dollar ein.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Seine Nähe zum Durchschnittsamerikaner könnte Obama den Wahlsieg sichern. Denn trotz aller Probleme finden ihn seine Landsleute sympathisch

Betteln auf die erfolgreiche Art

Obama gelang dies auch deshalb, weil sein Wahlkampf - im Gegensatz zu dem der Republikaner - stark auf Kleinspender ausgerichtet ist. 98 Prozent der Spenden seien durch Kleinsummen unter 200 Dollar zusammengekommen, verkündete Obamas Wahlkampf-Manager Jim Messina aus dem Kampagnen-Hauptquartier in Chicago. Im Schnitt gäben sie 53 Dollar. Fast vier Millionen Amerikaner haben bislang Geld für Obamas Wahlkampf gespendet - ein Rekord. Dabei: Obama bittet inzwischen nicht mehr um Geld. Er bettelt darum. "Falls Du darüber nachdenkst, irgendwann in der Zukunft etwas zu geben, zögere nicht. (…) Kannst Du eine Spende von drei Dollar oder mehr machen? (…) Ich kann Dir gar nicht sagen, wie dankbar ich Dir bin. Danke, Barack." Doch an diesen wenig präsidialen Formulierungen scheint sich seine Anhängerschaft nicht zu stören. Im Gegenteil.

Immer noch Mr. Cool

Dass Obamas Spendenzahlen mit Beginn der heißen Wahlkampfphase steigen, zeigt: Es gibt nicht nur enttäuschte Obama-Jünger im Wahljahr 2012. Für viele ist der US-Präsident auch vier Jahre nach seinem umjubelten Amtsantritt immer noch eines: Mr. Cool. Obama singt Bluessongs in Mikrofone, chattet live mit der Internet-Community, macht es sich im Talk-Show-Sessel von David Lettermann bequem, drückt Gattin Michelle beim Basketball-Spiel vor laufender Kamera einen Kuss auf den Mund. Es sind Szenen, wie sie seine Anhänger lieben.

Seine Nähe zum Durchschnittsamerikaner könnte sich für Obama am 6. November, dem Wahltag, auszahlen. Denn trotz der verheerenden Wirtschaftslage der USA, weit verbreiteter Skepsis gegenüber der Zukunft, eines völlig verpatzten TV-Duells und eines mächtig aufholenden Herausforderers mögen viele Amerikaner ihren Präsidenten. Obamas Beliebtheitswerte lagen lange höher als die von Romney.

Ehrlich und authentisch

Selbst diejenigen, die nicht "oder nicht mehr völlig" hinter Obamas Politik stehen, sind weiter von seiner Persönlichkeit überzeugt. "Obama macht eine weitaus konservativere Politik als es viele erwartet haben. Das ist enttäuschend", sagt Malcolm Sondock. "Aber er ist authentisch, ehrlich und hat viel, was Amerikaner an einem Präsidenten mögen." Der 30-Jährige gehörte vor vier Jahren zu denjenigen, die begeistert Wahlkampf für Obama gemacht haben. Sondock hing stundenlang am Telefon, um Wähler davon zu überzeugen, dem Demokraten ihre Stimme zu geben. Bei dieser Wahl leistet er zwar keine Überzeugungsarbeit mehr, "aber wählen werde ich Obama trotzdem, das ist für mich klar."

Für Scott Zoebisch, den Feuerwehmann vom "Dinner with Barack", steht völlig außer Frage, wem er im November seine Stimme gibt. Er ist nach dem Essen mit dem Präsidenten elektrisiert: "Ich werde alles geben, um diesen Präsidenten zu unterstützen."