Wenn David Potori heute daran denkt, wie sein Bruder James am 11. September 2001 im World Trade Center umkam, dann macht ihn das trauriger als je zuvor. Fast täglich bekommt er Briefe und E-Mails von Amerikanern, die seinen Patriotismus anzweifeln und die ihn auffordern, endlich den Mund zu halten. Potori ist der Koordinator einer Gruppe von Hinterbliebenen, die Präsident George W. Bush die politische Ausbeutung der Tragödie des 11. September vorwirft; erst für den Irak-Krieg und nun für seinen Kampf um die Wiederwahl.
Kurz bevor am Samstag zum dritten Mal mit einer Trauerzeremonie am Ground Zero der Terroropfer gedacht wird, sind die rund 130 Mitglieder der Initiative "Familien des 11. September für ein friedliches Morgen" auf die Straße gegangen. Sie demonstrierten gegen den Wahlparteitag der Republikaner in New York, auf dem Bush als Garant für einen erfolgreichen "Krieg gegen Terrorismus" gepriesen wurde.
Giulianis "schmerzlicher" Auftritt
Als "besonders schmerzlich", so berichteten Mitglieder der Gruppe, hätten sie den Auftritt des früheren New Yorker Bürgermeisters Rudolph Giuliani empfunden. Der hatte an die Horrorbilder von Menschen erinnert, die aus den brennenden WTC-Türmen in den Tod sprangen, um dann immer wieder zu sagen "Gott sei Dank, dass George Bush unser Präsident ist".
Militärische Gewalt, so lautet die Botschaft der "Familien für ein friedliches Morgen", sei die falsche Antwort. Auch sie wollen, dass die Täter und Hintermänner der Terroranschläge verfolgt und vor Gericht gestellt werden. Doch sie warnen, dass "kriegerische Vergeltung nur zur Eskalation der Gewalt und dazu führt, dass noch mehr Familien ihre Lieben verlieren und dass die Spirale von Vergeltung und Gewalt außer Kontrolle gerät".
Mit solchen Ansichten kann sich James Boyle keineswegs anfreunden. Am 11. September 2001 starb sein Sohn Michael, ein Feuerwehrmann, im World Trade Center. Am 2. November wird der Vater bei der Präsidentenwahl seine Stimme "unbedingt George Bush geben, denn dieser Mann geht das Problem (des Terrorismus) richtig an". Und von der Bühne des Parteitags aus appellierten drei New Yorker Frauen, die ebenfalls am 11. September Angehörige verloren hatten, an alle Amerikaner, im Gedenken an die Terroropfer den "Kampf von George Bush" zu unterstützen.
Bush oder Kerry?
In ihrer Trauer mögen die Angehörigen der Opfer vereint sein, die jetzt wieder am Ground Zero zusammenkommen. Doch zur Frage, ob Bush oder dessen Herausforderer John Kerry von den Demokraten das bessere Konzept zur Eindämmung des Terrorismus hat, gehen auch bei den Hinterbliebenen die Ansichten weit auseinander.
Knapp die Hälfte der Angehörigen von Opfern der Anschläge auf das WTC ist nach einer Umfrage der "New York Times" der Meinung, dass der Bush-Parteitag unweit vom Ground Zero so kurz vor dem 3. Jahrestag fehl am Platze war. Ein Viertel der Befragten stimmte zwar der Auffassung zu, die Republikaner beuteten den 11. September für ihren Wahlkampf aus. Doch eben so viele erklärten, Bush habe mit dem Parteitag in New York seine Unterstützung für die Stadt glaubhaft bekundet.
"Nicht dauernd solche Bilder an die Wand malen"
Und manche werfen beiden Seiten vor, im Bestreben, sich als die besseren Anti-Terror-Kämpfer zu profilieren, die Trauer um die Opfer zu politisieren. So schrieb Carie Lemack, deren Mutter in jenem Flugzeug saß, das Terroristen in den Nordturm des WTC rasen ließen, einen Brief an die Republikaner und die Demokraten, in dem sie beide Parteien aufforderte, keine Bilder des 11. September im Wahlkampf zu verwenden. "Der beste Weg, die Ermordeten zu ehren, besteht darin, Amerika sicherer zu machen. Das wird nicht erreicht, indem man dauernd solche Bilder an die Wand malt."