Wo liegt Transnistrien?
Transnistrien ist ein etwa 200 Kilometer langer Landstreifen im Osten der Republik Moldau. Mit 4000 Quadratkilometern ist Transnistrien flächenmäßig etwa 1,5-mal so groß wie Luxemburg. Die Region grenzt direkt an den Süden der Ukraine und ist an ihrem südlichsten Punkt nur wenige hundert Kilometer von der russisch besetzten Halbinsel Krim entfernt. In der Region leben etwa 350.000 Menschen, 150.000 davon in der Hauptstadt Tiraspol.
Welche Geschichte hat die Region?
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs trat Moldau, das Land, von dem sich Transnistrien später abspalten sollte, der Sowjetunion bei. Während dieser Zeit setzte ein schleichender Prozess der Russifizierung besonders im Osten des Landes ein. Der Einfluss der russischen Sprache und der russischen Kultur nahm Stück für Stück zu. Russisch wurde neben Rumänisch zur Amtssprache des Landes. Wer im Staat Karriere machen wollte, war durch die Nähe zu Russland und der Sowjetunion gezwungen, russisch und nicht rumänisch zu sprechen. So entwickelte sich eine vorwiegend russischsprachige Elite im Land.
Auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes trieb einen Keil zwischen Ost und West. Während der Sowjetzeit entwickelte sich die Region Transnistrien zum wirtschaftlichen Rückgrat Moldaus. So lebten in dem Gebiet zwar nur 15 Prozent der Landesbevölkerung, dennoch wurden hier 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet und fast der gesamte Strom für das Land erzeugt. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Region ließen sich Menschen aus allen Teilen der Sowjetunion in Transnistrien nieder. Menschen moldawischen Ursprungs wurden Stück für Stück aus dem Osten verdrängt, bis sie 1989 sogar in der Minderheit waren. Im Rahmen der Reform-Politik von Michail Gorbatschow kam es in den 80er Jahren dann zu einem rapiden Anstieg nationalistischer Bestrebungen in der gesamten Sowjetunion, auch in Moldau. Doch fühlte sich speziell die Region Transnistrien stärker Russland und der Sowjetunion zugehörig als einem unabhängigen Moldau.
Als die Sowjetunion schließlich zusammenbrach und Moldau aus der Sowjetunion austrat, kam es zu offenen Konflikten zwischen Ost und West. In einem symbolischen Akt setzte die neue politische Führung Moldaus Russisch als Amtssprache ab, obwohl weite Teile des Landes muttersprachlich Russisch sprachen. Durch die nationalistische Politik der neuen Moldauregierung sahen besonders Bevölkerungsteile aus dem Osten ihre Rechte als bedroht an und erklärten sich schließlich für unabhängig. Nicht zuletzt auf Grund der dort ansässigen Industrie und Wirtschaft war die neu entstandene Republik Moldau nicht bereit, die Abspaltung Transnistriens hinzunehmen. Es kam zu einer kriegerischen Auseinandersetzung, dem Transnistrien-Konflikt.
Wie verlief der Konflikt?
Der Konflikt dauerte von 1990 bis 1992 an. Während er zu Beginn hauptsächlich politisch ausgetragen wurde, eskalierte die Situation schließlich im März 1992. Militärische Kräfte in der abgespaltenen Region Transnistrien versuchten zu diesem Zeitpunkt, die letzten der von ihnen beanspruchten Gebiete einzunehmen, die noch von der Republik Moldau kontrolliert wurden. Ergebnis dieser Vorstöße war ein offener Bürgerkrieg zwischen der Republik Moldau und der Region Transnistrien. Moldau zog für den Konflikt eine Armee von etwa 20.000 Soldaten zusammen, die vor allem aus unerfahrenen Rekruten, Freiwilligen und Polizisten bestand. Es kam zu mehreren Zusammenstößen im Grenzgebiet Transnistriens, die insgesamt 500 Todesopfer forderten.
Beendet wurde der Konflikt schließlich durch ein militärisches Eingreifen Russlands. Die 14. russische Armee, die zu diesem Zeitpunkt noch in Transnistrien stationiert war, ergriff Partei für die Region Transnistrien. Die militärische Übermacht der russischen Streitkräfte beendete die militärische Phase des Konflikts fast augenblicklich. Die besiegten Truppen der Republik Moldau zogen sich zurück. Die Regierung Moldaus übte daraufhin scharfe Kritik an Russland, sich unrechtmäßig an den Konflikt beteiligt zu haben. Dennoch stimmte Moldau im Juli 1992 einem Waffenstillstand zu. Der Konflikt gilt seither als eingefroren. Faktisch hat die Republik Moldau ihre Kontrolle über die Region Transnistrien durch den Konflikt eingebüßt.
Wie ist der Status Quo in Transnistrien?
1992 erklärte sich die Region Transnistrien für unabhängig und hielt eigene Wahlen ab. Das Land ist jedoch maßgeblich auf wirtschaftliche und militärische Unterstützung Russlands angewiesen. Kein anderes Land hat die Unabhängigkeit Transnistriens von der Republik Moldau anerkannt. Aus völkerrechtlicher Sicht gehört die Region weiterhin zu Moldau. Dennoch versucht Transnistrien seit seiner Entstehung, seine staatlichen Strukturen zu festigen. So gibt es im Land mittlerweile eine eigene Währung, eigene Pässe und selbstständige Verwaltungsorgane.
Der Fortbestand Transnistriens wird vor allem durch die dort stationierten russischen Truppen gesichert. Russland hatte sich 1999 zwar verpflichtet, sämtliche Streitkräfte aus Transnistrien abzuziehen, ist dieser Verpflichtung allerdings bis heute nicht nachgekommen. Im Jahr 2014, kurz nach der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim durch Russland, stellte Transnistrien einen offiziellen Antrag, um der Russischen Föderation beitreten zu können. Diesen zogen die Separatisten allerdings wieder zurück, nachdem Moskau signalisierte, sich zunächst voll auf die Krim konzentrieren zu wollen.
Vor kurzem machte die politische Führung in Transnistrien erneut Schlagzeilen, indem sie sich an Moskau wandte. In einer offiziellen Erklärung bittet Transnistrien Russland um "Schutz" gegen den angeblich zunehmenden Druck aus Moldau. Die Separatisten werfen der Republik Moldau unter anderem eine wirtschaftliche Blockade der Region vor, die die "Zerstörung der Grundlagen von Unabhängigkeit und Staatlichkeit" zu Folge habe. 220.000 russische Bürger seien laut dieser Erklärung in Transnistrien, die auf Schutz durch Russland angewiesen seien. Welche Maßnahmen die Separatisten in Transnistrien aber konkret vom russischen Staat fordern, bleibt unklar.
Was möchte Russland in Transnistrien?
Russland hat seinen Einfluss auf Transnistrien und damit auf Moldau selbst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nie ganz aufgegeben. Auch wirtschaftlich hält Moskau die Region am Leben. Die Regierung des Separatistengebiets ist im Grunde also eine politische Marionette Moskaus. Es ist davon auszugehen, dass in Transnistrien keine weitreichenden politischen Entscheidungen getroffen werden, die zuvor nicht durch Putin und seine Regierung abgesegnet worden sind. Das gilt besonders für die öffentlichkeitswirksame Bitte um "Schutz" vor Moldau.
Dieses Ersuchen der transnistrischen, in Putins Augen russischstämmigen Bevölkerung, gibt Putin innen- wie außenpolitisch das Werkzeug in die Hand, eine aktivere Rolle im eingefrorenen Konflikt mit Moldau einzunehmen und seine imperialen Pläne nicht mehr nur auf die Ukraine zu beschränken. Das Vorgehen erinnert stark an die Situation in der Ukraine kurz vor dem Angriff Russlands 2022. Auch hier wendeten sich Separatisten im Osten des Landes an Russland und baten um Hilfe gegen die Unterdrückung der russischstämmigen Bevölkerung durch die Ukraine. Wenig später folgte Russlands Angriff.
Auch wenn ein sofortiger Einmarsch russischer Truppen in Moldau als Reaktion auf die Bitte Transnistriens als unwahrscheinlich gilt, sind Experten zunehmend besorgt, wie Russland mit der Situation umgehen will. Kurzfristig, so die Vermutung, möchte Russland die Republik Moldau politisch destabilisieren und den dort aufkeimenden Einfluss des Westens brechen. Langfristig könnten die Bestrebungen in Transnistrien zum Ziel haben, ganz Moldau wieder zu einem Teil Russlands zu machen.