Ukraine-Krieg "Wahre Freunde" und peinliches Schweigen: Was Selenskyjs Tweets über das Verhältnis zu seinen Verbündeten verraten

olodymyr Selelnskyj und Nancy Pelosi schütteln sich die Hände
Wolodymyr Selenskyj begrüßt die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, während ihres Treffens in Kiew
© Uncredited / Ukrainian Presidential Press Office / AP / DPA
Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto deutlicher zeigt sich, wer zum Helfen bereit ist. Auf wen kann sich das von den Russen überfallene Land am ehesten verlassen? Und zählt Deutschland noch zu den engsten Verbündeten? Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eindeutige Antworten.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hängt Präsident Selenskyj in einer Dauertelefonschleife. Zumindest legt das sein Twitter-Account nahe, der sich dieser Tage vor allem wie eines liest: ein Telefonprotokoll. Akribisch hat der ukrainische Präsident dort vermerkt, wann er mit welchem Staatsoberhaupt telefoniert hat. Begleitet wird die lange Liste von Dankes- und Wertschätzungsbekundungen. Fehlen dürfen in dem Protokoll natürlich nicht die Themen, um die es bei den Gesprächen ging, also Friedensverhandlungen, atomare Bedrohungen, Kriegsverbrechen, militärische und humanitäre Unterstützung und ein möglicher Beitritt der Ukraine in die EU. Auch das hat der Präsident öffentlichkeitswirksam vermerkt.

So lässt sich nach mehr als 60 Kriegstagen anhand von Selenskyjs Tweets sehr eindeutig ablesen, wen der Präsident zu den engsten Verbündeten des Landes zählt und wer in der Rangliste eher weiter hinten steht. Kleiner Spoiler: Deutschland steht ziemlich weit unten. Selenskyjs Unterstützer in fünf Kategorien:

Selenskyjs engste Verbündete

Zu den engsten Verbündeten zählen demnach die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Kanada, die EU-Vertreter Ursula von der Leyen und Charles Michel sowie die Türkei. Das lässt sich zum einen an der Anzahl der Telefonate festlegen. Dem Twitter-Protokoll nach hat Selenskyj seit Kriegsbeginn am häufigsten mit dem britischen Premier Boris Johnson telefoniert (17 Mal), gefolgt von Vertretern der Europäischen Union (14 Mal), Joe Biden (zwölf Mal), Frankreich (acht Mal) der Türkei und Kanada (sieben Mal).

Die Gespräche mit Boris Johnson, Charles Michel und Recep Tayyip Erdodan bezeichnete Selenskyj in seinen Tweets mehrfach als "reguläre" Telefonate. Thematisch ging es dabei vor allem um die beschlossenen Sanktionen gegen Russland und die Planung weiterer Maßnahmen im Kampf gegen die russischen Truppen. Es dürfte sich demnach überwiegend um Beratungsgespräche gehandelt haben. Ähnliches lässt sich über die Telefonate mit US-Präsident Joe Biden sagen.

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Dass sich Selenskyj so gut mit den Alliierten versteht, dürfte allerdings nicht nur an den regelmäßig per Telefon gepflegten Kontakten liegen. Auch die von den Partnern eingelösten Versprechen haben das ihre dazu beigetragen. So hatte Ankara wiederholt Treffen zwischen russischen und ukrainischen Unterhändlern in Istanbul und der Außenminister beider Länder in Antalya organisiert. Jetzt will Erdogan den Weg für ein Gipfeltreffen zwischen Selenskyj und Kreml-Chef Wladimir Putin ebnen. Dass Selenskyj seinen türkischen, aber auch den kanadischen Amtskollegen auf Twitter als "glaubhafte", "wahre" und "echte "Freunde" betitelt, kommt deshalb nicht von ungefähr. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sich von Kriegsbeginn an immer um eine friedliche Konfliktlösung bemüht. Zudem hat Frankreich bisher 615 Tonnen humanitäre Hilfsgüter in die Ukraine geschickt. Macron hatte zudem angekündigt, die französischen Militärhilfen weiter ausbauen zu wollen.

Den größten Beitrag leisten allerdings die USA. Zuletzt hatte der US-Kongress ein Unterstützungspaket von 33 Milliarden Dollar freigegeben. Zuvor hatte eine US-Delegation den ukrainischen Präsidenten in Kiew besucht. Die Chefin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sicherte der Ukraine die fortdauernde Unterstützung Washingtons zu. Per Twitter bedankte sich Selenskyj für den amerikanischen Beitrag "zum Schutz der Souveränität und Integrität unseres Staates". Er veröffentlichte zugleich das Video, das ihn flankiert von Pelosi und bewaffneten Soldaten vor dem Präsidentschaftsgebäude in Kiew und während des gemeinsamen Gespräches zeigt.

Erfreuen dürfte Selenskyj zudem das von der EU-Kommission geplante Embargo für russisches Öl. Während vor allem Ungarn noch als potenzieller Blockierer eines dafür nötigen einstimmigen Sanktionsbeschlusses gilt, unterstützt Deutschland diesen Schritt nach Angaben mehrerer Diplomaten mittlerweile. In den Reigen der engsten Verbündeten erhoben hat sich Deutschland damit allerdings noch nicht.

Unterstützer bei den EU-Beitrittsverhandlungen

Im Selenskyjs Twitter-Telefonprotokoll tauchen zudem vermehrt Dankesmeldungen an direkte Nachbarn und Länder des europäischen Ostblocks auf. Ganz oben auf der Liste steht Polen, gefolgt von Litauen, Bulgarien und Rumänien, mit denen der ukrainische Präsident eigenen Angaben nach zuletzt immer wieder telefonierte. Dankbar zeigt sich der Präsident vor allem deshalb, weil Polen und die baltischen Republiken einen EU-Beitritt der Ukraine offen unterstützen – während sich andere Mitgliedstaaten, ebenso wie die EU-Kommission, der Europäische Rat und das EU-Parlament eher zurückhaltend äußern. Ende Februar, kurz nach der russischen Invasion, hatte Selenskyj einen Antrag auf EU-Beitritt unterzeichnet. Die Ukraine sei ein Teil von Europa, betonten damals sowohl EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen als auch Deutschlands Außenministerin Annalena Bearbock. Gleichzeitig sagte die Grünenpolitikerin jedoch, "dass ein EU-Beitritt nichts ist, was man in einigen Monaten vollzieht".

Den dritten Alliierten-Komplex bilden die Schweiz, Italien, Israel und Indien, die sich laut Selenskyj – wie die Türkei – als Vermittler im Krieg mit Russland hervorgetan hätten. Der ukrainische Präsident bedankte sich per Twitter mehrfach für die Vermittlungsbemühungen.

In einem vierten Block lassen sich sämtliche Hilfs- und Geldgeber zusammenfassen, zu denen unter anderem Italien, Kanada, Japan, Pakistan, Irland, Griechenland und Abu Dhabi gehören. Dabei handelt es sich um Staaten, die der Ukraine militärische, humanitäre oder finanzielle Unterstützung im Kampf gegen die russischen Invasoren zukommen ließen. Allerdings handelt es sich hier nur um einen Bruchteil der Länder, die die Ukraine entsprechend unterstützen.

Den letzten Block bilden Vertreter aus Afrika, Südamerika, Lettland und Korea. Telefoniert hatte Selelnskyj mit den jeweiligen Vertretern, um sie über die aktuelle Lage in der Ukraine in Kenntnis zu setzen und Beziehungen zu den Staaten auf- oder auszubauen. Zumindest geht das aus den Tweets hervor.

Die Angst, zur Kriegspartei zu werden

Und Deutschland? Angesichts der Waffenlieferungen, die nun doch an die Ukraine gehen sollen, fiele die Bundesrepublik wohl noch am ehesten in die vierte Kategorie der Sachleister. Den Twitter-Telefonprotokollen nach zu urteilen würde Selenskyj Deutschland jedoch nicht einmal in dieser Gruppe zuordnen.

In den zwei Kriegsmonaten hat der ukrainische Präsident demnach fünf Mal mit Bundeskanzler Olaf Scholz telefoniert – zweimal davon allerdings gemeinsam mit Vertretern weiterer Staaten. Aus dem Twitter-Telefonprotokoll geht nicht hervor, dass tiefgehende Beratungsgespräche, vergleichbar mit denen der USA oder Frankreich, stattgefunden hätten. Auch von der Bezeichnung als "wahrer" oder "echter Freund" ist Olaf Scholz meilenweit entfernt. Während sich Selenskyj per Twitter teils überschwänglich bei den Unterstützern bedankt, die Tweets mit bunten Flaggen und hin und wieder mit Herzchen versieht, lässt sich die Kommunikation mit Deutschland bestenfalls als unterkühlt beschreiben. Das Dankeschön fehlt. Selbst beim österreichischen Kanzler Karl Nehammer bedankte sich Selenskyj für die Unterstützung. Und das obwohl der ukrainische Präsident vom österreichischen Nationalrat ausgeladen worden war und sich Österreich der Neutralität zu Liebe nicht in den Krieg einmischen wollte – auch nicht um die Ukraine zu unterstützen.

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Stattdessen nennt Selenskyj lediglich die Forderungen, die die Ukraine an Deutschland und seine Partner stellt – und lädt den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier prompt aus Kiew aus. Für Vizekanzler Robert Habeck kommt das einer Ausladung Deutschlands gleich. Um die Geschichte ranken sich widersprüchliche Aussagen. Während Selenskyjs Berater sowie der ukrainische Präsident selbst darauf beharren, weder ein Besuchsangebot erhalten, noch dieses ausgeschlagen zu haben, wurde der deutschen Botschafterin in Kiew von der ukrainischen Präsidialverwaltung schriftlich mitgeteilt, dass Steinmeier in der Hauptstadt nicht erwünscht sei.

Angesichts der Verbindungen zu Russland über Ex-Kanzler Gerhard Schröder, dem hadernden Kurs bei den Waffenlieferungen an die Ukraine und einem zurückhaltenden Bundeskanzler dürfte sich die deutsche Bundesregierung über die ukrainische Abwehrhaltung nicht zu sehr wundern. Selenskyjs Twitterei ist nur ein Indiz dafür, dass Kiew zu Berlin lieber auf Abstand gehen möchte. Dass Deutschland mit Verspätung Jahrzehnte alte Waffen an das kriegsgebeutelte Land verscherbelt, sorgt für Unmut.

Trotzdem fordert Kiew von Deutschland weiterhin modernste Waffen. Konkret nannte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, die zügige Ausfuhr von 88 Leopard-Panzern, 100 Marder-Panzern, Panzerhaubitzen "und vielem mehr". Die Befürchtung, durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei zu werden, bezeichnete Melnyk als völligen Quatsch: "Für Putin ist Deutschland längst Kriegspartei." Er könnte damit Recht haben. Einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag nach, könnten zwar nicht die Waffenlieferungen, wohl aber die Ausbildung ukrainischer Soldaten an ihnen völkerrechtlich als Kriegsbeteiligung gewertet werden

Vielleicht ist das für Deutschland ein Ansporn, seine Beziehungen zur Ukraine zu verbessern und damit unter deren Top-Verbündeten zu landen. Aber möglicherweise kann nur die deutsche Bundesregierung einschätzen, wie erstrebenswert das ist.