Invasion in die Ukraine Brisantes Bundestagsgutachten: Auch die Ausbildung an westlichen Waffen könnte eine Kriegsbeteiligung sein

Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard
Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard (Archivbild): Stellt die Ausbildung ukrainischer Truppen an dem Waffensystem bereits eine Kriegsbeteiligung dar?
© Thomas Imo / Photothek / Picture Alliance
Ab wann wird ein Land zur Kriegspartei? Schon bei Waffenlieferungen? Oder erst wenn sich eigene Truppen direkt an den Kämpfen beteiligen? Der Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages hat das jetzt untersucht.

Bloß nicht zur Kriegspartei werden. Das ist im Ukraine-Krieg erklärtes Ziel der westlichen Staaten, auch Deutschlands. Das Soldatinnen oder Soldaten der Nato ukrainischen Boden betreten und sich an dem Krieg beteiligen, wird seit Russlands Überfall Ende März von den Regierenden immer wieder ausgeschlossen. Bloß nicht zur Kriegspartei werden.

Doch möglicherweise ist die Schwelle, als Kriegspartei zu gelten, schon bald überschritten – auch ohne dass es eine direkte Beteiligung an den Kampfhandlungen gibt. Eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kommt zu dem Ergebnis, dass die Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten an westlichen Waffen, die ins Kampfgebiet geliefert werden, völkerrechtlich bereits eine Kriegsbeteiligung darstellen könnte. Das berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) unter Berufung auf das zwölfseitige Gutachten des Dienstes.

Reine Waffenlieferungen sind demnach völkerrechtlich nicht als Kriegseintritt zu bewerten – ganz gleich, um wie viele und welche Waffen es sich handelt. Das Völkerrecht erlaube ausdrücklich, einen "angegriffenen Staat zu unterstützen, ohne dabei selbst Konfliktpartei werden zu müssen".

Wann wird ein Land zur Partei im Ukraine-Krieg?

"Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei beziehungsweise Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen", zitiert das RND aus dem Gutachten weiter – man würde sich dann also in einer völkerrechtlichen Grauzone befinden.

Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages soll die Abgeordneten des Parlaments neutral beraten. Der Sachstandsbericht mit dem Titel "Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch Nato-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme" wurde im März erstellt, noch bevor die Bundesregierung die Lieferung von Gepard-Panzern an die Ukraine beschlossen hatte.

Das heißt: Sollte die Bundeswehr wie angekündigt ukrainische Soldatinnen und Soldaten an den Flugabwehrpanzern vom Typ Gepard ausbilden, die Deutschland an die Ukraine liefern will, könnte die Rolle der sogenannten "Nichtkriegsführung" bereits verlassen sein – und Deutschlands Vorgehen könnte für den Kreml unter Umständen als Kriegsführung gelten. Genau das, was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf gar keinen Fall will.

Noch vor gut einer Woche sagte er in einem "Spiegel"-Interview: "Ich habe sehr früh gesagt, dass wir alles tun müssen, um eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, zu vermeiden." Vor diesem Hintergrund schreibt das RND von einem "brisanten Bundestagsgutachten".

Wladimir Putin dürfte die völkerrechtliche Definition egal sein

Doch bei aller Brisanz: Die Ausbildung ukrainischer Armeeangehöriger durch den Westen findet sowieso schon statt. Das US-Verteidigungsministerium erklärte am Freitag, dass ukrainische Soldatinnen und Soldaten bereits an westlichen Waffensystemen übten. Das Training finde auf US-Militärstützpunkten in Deutschland in Absprache mit der Bundesregierung statt, hieß es. Bundesverteidigungsministerin Christine Lamprecht (SPD) sagte weitere Unterstützung bei der Ausbildung ukrainischer Truppen auf deutschem Boden zu.

Die Bundesregierung widerspricht der Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ohnehin: Es sei klar, dass man sich bei der Unterstützung der Ukraine "immer wieder in einer schwierigen Abwägung" befinde, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "Unsere Überzeugung ist, dass auch die Ausbildung von ukrainischen Soldaten in Deutschland an Waffensystemen weiterhin keinen direkten Kriegseintritt bedeutet." Die Regierung gehe in der Ausbildungsfrage davon aus, dass man sich weiter im gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung befinde.

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Ob und wie der russische Präsident Wladimir Putin auf das verstärkte Engagement des Westens bei der Ausbildung der ukrainischen Armee reagieren wird, ist ungewiss. Dass ihm jedoch völkerrechtliche Konventionen eh vollkommen egal sind, hat er spätestens mit dem Angriff auf das Nachbarland bewiesen.

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