Washington Memo Die Krankenakte der Kandidaten

  • von Katja Gloger
Vorbei die Zeiten, in denen sich die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten als kerngesunde Strahlemänner inszenierten. Krebsleiden und Herz-OPs werden nun in Talkshows diskutiert. Der Bürger soll wissen: Er wählt einen Menschen wie du und ich.

November 2004. Die Nacht der Präsidentenwahl. Für die Demokraten zeichnet sich eine Niederlage ab. Eine bittere Enttäuschung für den Vizepräsidentschafts-Kandidaten John Edwards, den Charmebolzen aus North Carolina. Dann kommt der Anruf seiner Frau Elizabeth. Sie hat die Ergebnisse einer Untersuchung. Eine schreckliche Diagnose. Brustkrebs. Das Ehepaar reagiert, wie man wohl nur in Amerika reagiert. Sie gehen an die Öffentlichkeit, verkünden den Befund, diskutieren. Sie wollen kämpfen, sagen sie. Sie vergießen keine Träne. Und sie kämpften, zwei Jahre lang. Elizabeth Edwards, 58, scheint den Krebs zu besiegen. Sie schreibt ein anrührendes Buch über ihren Krieg gegen die Krankheit.

Edwards bekam mehr Beifall als Hillary

John Edwards stürzte sich sofort in den nächsten Präsidentschaftswahlkampf. Zielstrebig arbeitete der Anwalt, der mit seinen Fällen Millionen verdient hatte, an seinem politischen Comeback. Profilierte sich als mitfühlender Linker, besetzte das Thema "soziale Gerechtigkeit", suchte die Nähe der Gewerkschaften, gründete ein Armuts-Forschungsinstitut. Vor allem aber reiste er so oft es ging nach Iowa. In den Bundesstaat, der als erster über einen möglichen Präsidentschaftskandidaten abstimmt und damit einen Trend setzen kann. Seine Zahlen, seine Umfrageergebnisse wurden immer besser.

Und im vergangenen Dezember trat er gegen die beiden Super-Stars Hillary Clinton und Barack Obama an. Er hielt eine kämpferische Rede vor demokratischen Delegierten in Washington. Man jubelte ihm mehr zu als Hillary Clinton.

Metastasen in den Knochen

Doch dann - eine schmerzende Rippe. Eine Untersuchung. Vergangene Woche traten Elizabeth und John Edwards vor die Mikrofone. Erklärten, der Krebs ist wieder da. Mit Metastasen in den Knochen, in der Hüfte. Der Wahlkampf, sagte John Edwards, er geht weiter. Wie gehabt. Seine Frau sagte: Ich will es so. Sie wird ihren Mann begleiten, seine wichtigste Ratgeberin bleiben. Seine härteste Kritikerin. Sie vergossen keine Träne.

Und seitdem diskutiert man in Amerika über diese Entscheidung - und zwar jenseits aller Parteigrenzen. Auf keinen Fall dürfe Edwards seinen Wahlkampf fortsetzen, meinen die Einen, er stehle seiner Frau und seinen Kindern nur kostbare Zeit. Und einen Kandidaten mit einer womöglich todkranken Frau werde man ohnehin nicht wählen. Im Gegenteil, so die Anderen, so beweise die Familie Edwards echte Stärke. Könne gar ein landesweites Beispiel setzen, ein Symbol der Hoffnung: Schließlich sehen sich Zehntausende Familien jedes Jahr vor ähnlich dramatische Entscheidungen gestellt.

Komplette Privatisierung der Politik

So offenbart das tragische Beispiel des Ehepaar Edwards eine neue Dimension im US-Wahlkampf, der jetzt schon tobt: Die komplette Privatisierung der Politik. Offen wie nie berichten Kandidaten über ihren Gesundheitszustand, über die Krankheiten ihrer Ehemänner, über die Probleme ihrer Gattinnen. "Es ist ganz im Stil des 21. Jahrhunderts", schreibt die New York Times, "diese öffentlichen Geständnisse zeigen: man will die politischen Botschaften kontrollieren, bevor es die Presse macht. Man kann ohnehin nichts mehr geheim halten. Und außerdem kann man sich so menschlicher und verletzbarer darstellen."

Also berichtet Hillary Clinton bei ihren Wahlkampfauftritten ebenso regelmäßig wie ausführlich über die dramatische Herzoperation ihres Gatten Bill. Der Republikaner Mitt Romney saß mit seiner Frau Ann bei CNN, um dort über ihren Kampf gegen Multiple Sklerose zu plaudern, und Konkurrent Rudolph Giuliani erläutert seine Krebserkrankung. Allein Vietnam-Veteran und Folteropfer John McCain ziert sich. Er weiß, sein hohes Alter ist ein großes Handicap. Der Mann ist schließlich schon 70. Die große Narbe über seiner linken Gesichtshälfte ist die Folge einer Krebsoperation. Manchmal scherzt er: "Ich habe mehr Narben als Frankenstein."

Schwächen ja, aber nicht zu viel

Nie hätten etwa ein John F. Kennedy (eine Hormonerkrankung) oder Franklin Roosevelt (das Herz) ihre Krankheiten öffentlich gemacht. Lieber logen sie. Sie waren überzeugt, es hätte dem Präsidentenamt geschadet. Sie glaubten: Ein Präsident darf nicht schwach sein. Diese schwierige Balance müssen die Kandidaten auch heute halten: Man muss menschlich sein, Schwächen zeigen. Aber bitte nicht zu viel. Das Amt des Präsidenten ist auch Mythos. Und man wählt immer auch eine Hoffnung.

In den vergangenen Tagen zumindest sicherten Tausende dem Ehepaar Edwards ihre Unterstützung zu. "Doch wer mich aus Mitleid wählt, soll es bitte gleich lassen", mahnt John Edwards. Und seine Frau ergänzt: "Ich wollte es so. Dieser Mann verdient es, Präsident zu werden. Ich werde alles tun, um ihn dabei zu unterstützen. Es wäre mein Vermächtnis." Ob es Wählerstimmen bringt? Sie weiß es nicht. Sie hat ihre Entscheidung getroffen. "Ich weigere mich, dass der Krebs die Kontrolle über mein Leben übernimmt." Eine mutige Frau. Ein mutiges Paar.