Indischer "Exportschlager" Am 21. Juni ist Weltyogatag – dahinter steckt ein politischer Schachzug

Indiens Premierminister Narendra Modi übt Yoga mit zahlreichen weiteren Menschen
Zum Weltyogatag praktiziert Indiens Premierminister Narendra Modi mit Tausenden Menschen zusammen. Die Einführung des Aktionstages hatte für den Staatschef einen politischen Hintergrund.
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Seit 2015 wird am 21. Juni der Welttag des Yoga gefeiert. Damit rückt Indien als Ursprungsland der uralten Lehre in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Doch für Premierminister Narendra Modi ist der Aktionstag mehr als ein Grund zum Feiern.

Luftaufnahme der indischen Hauptstadt Neu-Delhi: Tausende Menschen in weißen Gewändern sitzen im Lotus-Sitz auf dem Boden und meditieren. Währenddessen begeben sich auf dem Times Square in New York Hunderte mit Leggings in den "Herabschauenden Hund". In Berlin dröhnen zur gleichen Zeit Techno-Beats durch ein Yoga-Studio, in dem schweißgebadete Kursteilnehmer synchron durch eine Bewegungsabfolge fließen. Am 21. Juni ist nicht nur Sommersonnenwende und damit der längste Tag des Jahres, sondern auch Welttag des Yoga. Längst hat die indische Lehre Millionen Anhänger auf der ganzen Welt. Allein in Deutschland rollen zehn Millionen Menschen regelmäßig die Matte aus.

Frauen üben Yoga auf dem Times Square in New York
Zur Ruhe kommen auf dem sonst so hektischen Times Square: Eine Aktion zum Weltyogatag
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Zum Weltyogatag gibt es jährlich – zumindest in Zeiten vor Corona – zahlreiche Veranstaltungen. Sie reichen von Schnupperkursen über Mitternachtsyoga bis hin zu Atem-Workshops. Die Angebote sind genauso zahlreich wie die Stilrichtungen, die sich über die Jahre aus der indischen Lehre entwickelt haben. Für den Subkontinent ist der Aktionstag eine Möglichkeit, sich jährlich als Herkunftsland des Yoga ins öffentliche Bewusstsein zu rufen. Das gilt sowohl für das Ausland als auch für Indien selbst. Für die Regierung ist die im Hinduismus verankerte Lehre nämlich auch ein politisches Instrument.

Yoga förderlich für die Gesundheit der Weltbevölkerung

Ende 2014 schlug der indische Premierminister Narendra Modi den Vereinten Nationen einen Weltyogatag vor. Seinen Vorstoß unterstützen 175 Staaten. Als "unschätzbares Geschenk" bezeichnete der Staatschef die spirituelle Lehre. "Das ist ein Programm für menschliches Wohl, für eine spannungsfreie Welt und zur Verbreitung der Botschaft des Wohlwollens", zitierte der Österreichische Rundfunk damals den Politiker. Der Weltyogatag solle eine "neue Ära des Friedens" einläuten. In der Resolution der UNO heißt es, Yoga zahle auf das langfristige Entwicklungsziel globaler Gesundheit ein. Denn man habe erkannt, "dass Yoga einen ganzheitlichen Ansatz für Gesundheit und Wohlbefinden bietet". Daher sei die Verbreitung von Informationen über die Vorteile des Yoga förderlich für die Gesundheit der Weltbevölkerung.

Am ersten Weltyogatag im Jahr 2015 organisierten indische Botschaften in über 190 Ländern entsprechende Veranstaltungen. Premierminister Modi selbst übte in Delhi mit 36.000 anderen Yoga-begeisterten Menschen. Drei Jahre später stellte die nordindische Stadt Kota den Weltrekord für die Yogastunden mit den meisten Teilnehmern auf. Mehr als 100.000 Menschen kamen zur gemeinsamen Praxis zusammen. Modi selbst präsentiert sich als begeisterter Yoga-Fan, bezeichnet die Praxis als "unschätzbares Geschenk". Zum ersten Weltyogatag sagte er: "Es verkörpert die Einheit von Geist und Körper, Denken und Handeln, Zurückhaltung und Erfüllung, Harmonie zwischen Mensch und Natur, einen ganzheitlichen Ansatz für Gesundheit und Wohlbefinden." Offiziell stellen die Events am 21. Juni den gesundheitlichen Aspekt des Yoga in den Vordergrund.

Dass Yoga tatsächlich einen positiven Effekt auf Körper und Geist hat, steht in der Wissenschaft mittlerweile fest. Die heilsame Wirkung einer regelmäßigen Praxis ergründen Mediziner und Psychotherapeuten seit Jahrzehnten. Immer wieder konnten sie dabei feststellen, dass sie die Kombination aus Bewegung, Meditation und Atemtechniken sowohl das körperliche Befinden als auch die psychische Verfassung verbessert.

Premierminister Narendra Modi praktizierte beim Weltyogtag mit tausend anderen Menschen in Delhi
Premierminister Narendra Modi praktizierte beim Weltyogtag mit Tausend andere. Menschen in Delhi
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Yoga als indischer "Exportschlager"

Trotzdem steckt hinter dem Weltyogatag vor allem ein politischer Schachzug, wie die "Neue Zürcher Zeitung" und der "Deutschlandfunk" analysiert haben. Modis hindunationalistische Partei Bharatiya Janata (BPJ) setzt sich seit dem Amtsantritt Modis im Jahr 2014 stark für die nationale und internationale Popularisierung von Yoga ein. Dahinter steht laut "Deutschlandfunk" die Absicht, den Hinduismus zu stärken.

Als eine in der Religion verwurzelte Tradition habe Yoga deshalb unter der Führung Modis an noch mehr Bedeutung gewonnen. Die rechtskonservative BJP sei bemüht, die indische Gesellschaft grundlegend zu verändern, heißt es in der Fachzeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte". Politikwissenschaftler Pierre Gottschlich schreibt: "Premierminister Narendra Modi versucht weniger politisch-institutionell als vielmehr gesellschaftlich-kulturell, Indien zu einem Hindu-Staat zu formen."

Dazu scheint der Staatschef unter anderem auch die Verbreitung von Yoga zu nutzen. Laut "Neuer Zürcher Zeitung" wolle Modi durch den Weltyogatag die "Soft Power" seines Landes stärken. Damit gemeint ist die Machtausübung eines Staates über seine kulturelle Attraktivität. Yoga als "Exportschlager", wie es Nancy Krüger, Autorin für praktische Yoga-Philosophie, beschreibt, fällt in diese Kategorie. Ein Kulturgut, das Indien internationale Aufmerksamkeit verschaffe und ein positives Licht auf den Staat werfe. Hinzu komme der wirtschaftliche Faktor, auf den ein Großteil des Parteiprogramms der BJP aufbaut. Um den "Hindu-Staat" zu verwirklichen, setzen die konservativen Politiker laut Gottschlich weniger auf das Bewerben einer religiösen Identität, sondern wollen durch ökonomische Reformen an Beliebtheit gewinnen. Dies hätte der Partei laut dem Politikwissenschaftler zum Wahlsieg 2014 verholfen.

Daran anknüpfend gründete Narendra Modi im gleichen Jahr ein eigenes Ministerium für traditionelle indische Heilkunde, kurz "AYUSH" genannt. Seitdem kümmert sich ein Minister gezielt um die Förderung alter Praktiken wie Yoga und Ayurveda. Zwei Jahre später erkannte die UNESCO Yoga als immaterielles Weltkulturerbe an. Erneut betonte die zuständige Kommission den gesundheitlichen Aspekt. "Basierend auf der Vereinigung von Körper, Geist und Seele, zielt Yoga auf das mentale, spirituelle und physische Wohlbefinden ab", heißt es in der Erklärung. Erwähnt wird auch der hohe Stellenwert, den Yoga in der indischen Gesellschaft einnimmt, "beispielsweise in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Bildung und Kunst."

Kritik von muslimischen Gruppen

Auf Seiten religiöser Minderheiten haben diese Entwicklungen Sorgen geschürt. Wie der Österreichische Rundfunk 2015 berichtete, kritisierten muslimische Gruppen, die in Indien immer wieder Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden, den Weltyogatag als hinduistische Propaganda. Politikwissenschaftler Gottschlich weist darauf hin, dass die BJP eine "Politik der Angst" betreibe und insbesondere die Furcht einer "Islamisierung" der Gesellschaft gezielt anheize. Mahadev Sadashivrao Golwalkar, langjähriger Führer der RSS, einer hindu-nationalistische Kaderorganisation, betonte, dass Nicht-Hindus sich der hinduistischen Kultur anpassen müssen. "Wenn nicht, können sie nur in unserem Land bleiben, wenn sie sich der Hindu-Nation ganz und gar unterordnen", steht in seiner Schrift über die indische Nation.

Tausende Inder üben in Delhi gemeinsam Yoga
Zwar praktizieren auch viele Muslime Yoga, doch den religiösen, hinduistischen Teil lehnen sie ab
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Doch auch wenn die Ursprünge des Welttag des Yoga politisch motiviert sind und die Geschichte hinter dem Aktionstag auf besorgniserregende Entwicklungen im indischen Staat hinweist, sollte dennoch der von der UNO festgelegte Zweck des Aktionstages nicht aus dem Blick geraten: Gesundheit und Wohlbefinden. Der 21. Juni solle laut UNO-Resolution dazu beitragen, dass die Menschen mit Hilfe der traditionellen Yoga-Lehre "gesundheitsfördernde Entscheidungen treffen und gesunde Lebensweisen führen".

Neben Bewegung und Entspannung ist das ursprüngliche Ziel der indischen Praxis die Erleuchtung, die man über Prozesse der Bewusstwerdung und der Selbstreflexion erlangen soll – in anderen Worten: Yoga soll zu einem achtsameren Leben verhelfen. Das unterstreicht selbst Premierminister Modi: "Es geht nicht um Bewegung, sondern darum, das Gefühl der Einheit mit sich selbst, der Welt und der Natur zu entdecken." Yoga könne dazu beitragen, den eigenen Lebensstil zu ändern und ein Bewusstsein zu schaffen. Ein Bewusstsein, das auch negative Aspekte des Yoga nicht ausklammern sollte.

Quellen: AFP, "Aus Politik und Zeitgeschichte", "Deutschlandfunk", Deutsche Presse-Agentur, Deutsche UNESCO-Kommission, "Die Welt", "Foundation Teacher Training. An Introduction to Yoga", "Guinness World Records", "Neue Zürcher Zeitung", Österreichischer Rundfunk, "Spektrum",  "Statista", Vereinte Nationen, "Yoga Me Home" (I), "Yoga Me Home" (II)